32. Sonntag im Jahreskreis – „Wie, im Himmel?“

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„Es ist ein Abenteuer, das eigene Paradies zu finden“

Nun ist es schon beinahe zwanzig Jahre her, dass der Kinofilm „Wie im Himmel“ auf den Markt kam. Ursprünglich ein Schauspiel mit Musik, erzählt die Adaption des Filmes die Geschichte von Daniel, einem international erfolgreichen Dirigenten, der mit jungen Jahren einen Herzinfarkt erleidet und sich in das Dorf seiner Kindheit in Nordschweden zurückzieht. Sein Traum ist die Komposition einer Musik, die den Menschen zu Herzen geht und sie verbindet. Er bietet Gesangsunterricht für die Menschen des Dorfes an. In den Begegnungen wird die Wirklichkeit des Dorfes – sie soll hier um der Predigt willen einmal „Welt“ genannt werden – deutlich. Da ist die begabte Sängerin Gabriella und ihr gewalttätiger Mann Conny; da ist das Pfarrersehepaar Stig und Inger, sie weltoffen und weitsichtig, er engherzig und eifersüchtig auf den Daniels Erfolg. Die Geschichte endet mit der Teilnahme des Chores an einem internationalen Wettbewerb in Innsbruck, mehr sei nicht verraten.

Was aber unbedingt verraten werden muss, ist die Tatsache, dass durch das Singen, durch die Solidarität der Chorsänger*innen untereinander und mit ihrem Chorleiter, sich die Lebenswelt wirklich aller Beteiligten wandelt, und zwar – zumindest unter dem Aspekt des respice finem, des Bedenkens vom Ende her, wohin das Leben sonst gegangen wäre – zum Guten hin. Als Untertitel steht auf der Hülle der DVD: „Es ist ein Abenteuer, das eigene Paradies zu finden.“

» Viele von ihnen gehörten dem Erbadel der Hohenpriester an, - sie hatten kein anderes Interesse als ‚Blaublütige‘ zu allen Zeiten: sie sind konservativ im wörtlichen Sinne (von lat.: conservare - bewahren), liegt ihnen doch nichts so sehr am Herzen, als ihre Privilegien als Gotteswille festzuschreiben. Darum gilt für sie am liebsten die Devise: Wie es schon immer war, muss es für immer bleiben. ‚Gott‘ ist in einer solchen ‚Religion‘ wesentlich die Umschreibung für das Unveränderliche, das Vergangene. Wenn die Pharisäer für das tote Lebendige stehen (oder für den Tod des Lebenden), so stehen die Sadduzäer für das lebendige Tote (oder für das Leben des Toten). «
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium Bd.2: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 629.

Wozu ist Kirche da (I)

Wenn Sie das Evangelium des heutigen Sonntags lesen, wären, Sie, würden Sie den Film kennen, an den lutherischen Pfarrer Inger erinnert. Engherzigkeit und Eifersucht. Die Sadduzäer stellten Jesus eine religiöse Falle. Sie wollen wissen, ob am Beispiel einer geschiedenen und verwitweten Frau im Himmel die gleichen Gesetze gelten wie auf Erden, ob im Himmel die Gebote zu beachten sind – und was das für die Welt heißt. Hat ihr Gesetz wohl über den Tod hinaus noch Bestand und Geltung? – Diese Sadduzäer sind die zweite große Gruppe in der Gegnerschaft Jesu. Eugen Drewermann beschreibt sie in ihrer Eigenart: „Viele von ihnen gehörten dem Erbadel der Hohenpriester an, – sie hatten kein anderes Interesse als ‚Blaublütige‘ zu allen Zeiten: sie sind konservativ im wörtlichen Sinne (von lat.: conservare – bewahren), liegt ihnen doch nichts so sehr am Herzen, als ihre Privilegien als Gotteswille festzuschreiben. Darum gilt für sie am liebsten die Devise: Wie es schon immer war, muss es für immer bleiben. ‚Gott‘ ist in einer solchen ‚Religion‘ wesentlich die Umschreibung für das Unveränderliche, das Vergangene. Wenn die Pharisäer für das tote Lebendige stehen (oder für den Tod des Lebenden), so stehen die Sadduzäer für das lebendige Tote (oder für das Leben des Toten).“[1]

Privilegien als Gotteswillen festzuschreiben – das ist die Haltung der Christen, deren Lieblingsbebet sicher das „Wie im Anfang, so auch jetzt und alle Zeit, und in Ewigkeit. Amen!“ ist, und vor allem das „Amen!“, das „So bleibe es!“ liegt ihnen am Herzen. Beide Gruppierungen nehmen die Kirche der Gegenwart für „ihre Sache“ ein. Die „Pharisäer“, die am Toten festhalten und in ihm das Lebendige, schlimmer noch: den Lebendigen sehen. Und die „Sadduzäer“, die das Tote aus den Gräbern hervorziehen und darin das Lebende, schlimmer noch: den Lebendigen vorgeben. Für beide Gruppen war es übrigens zur Zeit Jesu gut, einen gemeinsamen Feind zu finden, gegen den sie vorgehen konnten, und für beide Gruppen ist es in heutigen kirchlich-theologischen Versammlungen ähnlich: gemeinsame Feinde, vor allem gemeinsame Feindinnen, tragen zum Burgfrieden bei, nach innen wie nach außen. Diesen Mechanismus hat René Girard als „Sündenbockmechanismus“ bereits 1983 in seinem Buch „Das Ende der Gewalt“ beschrieben. „Eine Analyse des Menschheitsverhängnisses“ nannte er diese Weise des Friedens, der letztlich doch mehr Hölle als Himmel erfahrbar machte.

» Der ’Symbolismus’ liegt darin, die ganze Welt mit Jesu Augen wahrzunehmen als ein ‚Gleichnis‘ Gottes: unser Leben als ein Bilderbuch der Ewigkeit. Nicht ‚Transzendenz‘, viel eher ‚Transparenz‘ entspricht der Grundeinstellung Jesu. «
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium Bd.2: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 638.

Wozu ist Kirche da? (II)

Meiner Einschätzung, aber vor allem meinem Erleben nach gehört es zu den Gründen des Auszugs aus der Kirche, dass die Deutungshoheit der „Pharisäer“ (i.S.v. „Tod dem Lebenden“) genauso wie die Deutungshoheit der „Sadduzäer (i.S.v. „Leben dem Toten“) auf das Leben der Menschen hin genau für diese Menschen keine Rolle mehr spielt. Der Verweis, das Festhalten auf Gesetze und Gebote der „Pharisäer“ wird von ihnen (von uns?) genauso wenig akzeptiert wie das Wiederbeleben alter, toter Formen und die Ableitung der Weisen des rechten Lebens daraus, wie es die „Sadduzäer“ lieben.

Was die Deutung des Lebens angeht, wäre es hilfreicher, einen „Durchblick“ durch die Welt und ihre Geschehnisse hindurch auf die Gegenwart eines lebendigen und liebenden Gottes anzubieten. „Der ’Symbolismus’ liegt darin, die ganze Welt mit Jesu Augen wahrzunehmen als ein ‚Gleichnis‘ Gottes: unser Leben als ein Bilderbuch der Ewigkeit. Nicht ‚Transzendenz‘, viel eher ‚Transparenz‘ entspricht der Grundeinstellung Jesu.“[2]

» Lieben, das heißt, in der Vergänglichkeit das Ewige zu erahnen, zu erwünschen und es glauben zu lernen; das heißt, den Augenblick nicht zu überfordern, und es bedeutet, den anderen als Menschen sein zu lassen und in seiner Eigenart zu mögen, - die Göttin, der Engel, die Fee, die Zauberin in der Geliebten ist selber nur ein Bild verzauberter Liebe, ein Phänomen bleibender Faszination, das sich einprägt dem eigenen Wesen. «
Drewermann, Eugen (2009): Das Lukasevangelium Bd.2: Bilder erinnerter Zukunft, Düsseldorf, 649.

Das eigene Paradies finden

„Es ist ein Abenteuer, das eigene Paradies zu finden“, steht auf der DVD-Hülle wie ein Untertitel zu „Wie im Himmel“. Die Aussage dahinter ist doch: Das eigene Paradies finden hat mit dem Himmel zu tun!

Nicht „Transzendenz“…: Das kann Theologie gut, immer wieder darauf hinweisen, dass das hier ja „nur“ die „Erde“ und nur „die „Schöpfung“ ist, und dass der „Himmel“ noch ausstünde und die „Gemeinschaft mit dem Schöpfer“. Theologie kann dem Menschen die Erde, das Leben hier ganz schön madig machen, und sie macht es sich selbst oft madig genug.

…sondern „Transparenz“…: Daniel, der Dirigent im Film, ist auf seine Weise „Theologe“. Er spricht nicht von Gott, er schafft einen Durchblick auf ihn hin mit seiner Musik. Er lässt die „Welt“ hinter sich und bleibt doch in ihr. Die Lebensverhältnisse der Sänger*innen ändern sich nicht, aber die Sänger*innen blicken durch – und sie verändern sichin den Verhältnissen oder sie ändern die Verhältnisse.

Wenn diese Transparenz wächst, wenn Sie sie einüben durch Hören, durch Sehen, durch Lauschen, durch Lesen, durch Singen – was immer Ihnen hilft -, dann rutschen Sie ganz automatisch hinein in dieses Abenteuer, das eigene Paradies zu finden. Den Sinn des Lebens können Sie an den fünf Fingern Ihrer Hand abzählen: Ein liebender Mensch zu werden![3] Noch einmal Eugen Drewermann zu dieser Evangelienstelle: „Lieben, das heißt, in der Vergänglichkeit das Ewige zu erahnen, zu erwünschen und es glauben zu lernen; das heißt, den Augenblick nicht zu überfordern, und es bedeutet, den anderen als Menschen sein zu lassen und in seiner Eigenart zu mögen, – die Göttin, der Engel, die Fee, die Zauberin in der Geliebten ist selber nur ein Bild verzauberter Liebe, ein Phänomen bleibender Faszination, das sich einprägt dem eigenen Wesen.“ [4]

Im Film löste die Musik den Durchblick zum Himmel aus, dann die neue, die mutige Begegnung. Eine Ahnung des Himmels, eine Transparenz auf ihn hin. Und ein Gefühl – wie im Himmel. Ich höre den Rheinländer ruppig, unddoch herzlich fragen: „Wie, im Himmel?“ Und bestens Wissens und Gewissens, voll für mich überzeugt antworte ich ihm: „Ja, wie im Himmel!“

Amen.

Köln 03.11.2022
Harald Klein

[1] Drewermann, Eugen (2009): Das Lukas-Evangelium. Bilder erinnerter Zukunft, Bd. 2, Düsseldorf, 629.

[2] a.a.O., 638.

[3] Mir ist wichtig, bei dieser eigenen kleinen Definition das „werden“ am Ende zu haben, nicht das „sein“; man wird nicht fertig mit diesem „werden“!

[4] Drewermann, Eugen (2009): Das Lukas-Evangelium. Bilder erinnerter Zukunft, Bd. 2, Düsseldorf, 649.