4. Adventsonntag – Gott Raum geben

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Von inneren und von äußeren Räumen

Am vierten Advent wird in den katholischen Gottesdiensten als Evangelium immer der Besuch der schwangeren Maria bei ihrer Verwandten Elisabeth gelesen. Theologisch ein wichtiger Text, ist darin doch von der „Mutter meines Herrn“ die Rede, aus der später dann auf dem Konzil von Ephesos (431 n.Chr.) die „Gottesgebärerin“, die Mutter Gottes wurde. Im Evangelium ist aber auch die Freude des Johannes im Mutterleib der Elisabeth thematisiert, und der Zuspruch der Seligkeit Mariens, die geglaubt habe, was der Herr ihr sagen ließ.

Da tauchen innere Räume auf, in denen Gott wirkt – beide Frauen sind schwanger und tragen ihre Kinder aus, Johannes und Jesus. Und da tauchen äußere Räume auf, in denen Gott wirkt, etwa der Weg durch das Bergland Judäas, vertont in Johannes Eccards schönem Adventlich „Übers Gebirge‘ Maria geht“ und volkstümlich ausgemalt in „Maria durch ein‘ Dornwald ging“. Oder nehmen Sie das Haus der Elisabeth, in dem sich die beiden Frauen treffen und in dem Maria etwa drei Monate bleibt.

Doch genug der Theologie, die Mystiker und deren spirituelle Lesart mögen übernehmen.

» Ein Kaiser trifft mit dem Urpatriarchen Bodhidharma zusammen. Mit der Wichtigtuerei und der Ahnungslosigkeit eines Laien und Weltmanns fragt er ihn: ‚Welches ist der höchste Sinn der heiligen Wahrheit?‘ Der Patriarch antwortete: ‚Offene Weite – nichts von heilig.‘ Die nüchterne Größe dieser Antwort, Carlo, wehte mich an wie ein Hauch aus dem Weltraum. «
Hesse, Hermann (1931): Mein Glaube, in: Unseld, Siegried (Hrsg.) (1971): Hermann Hesse. Mein Glaube, Frankfurt/Main, 47.

„Offene Weite – nichts von heilig!“

Der kleine Hinweis auf das Konzil, auf den 400 Jahre dauernden Streit, ob Maria nun die Mutter Jesu, die Mutter Gottes oder die Gottesgebärerin sei, zeigt, wohin Theologe führen kann – in rechthaberischen Streitereien und in lehrhaft-dogmatische Festlegungen, die heute (und vielleicht früher auch nicht) kaum oder keinerlei lebensrelevante Aussagekraft mehr haben. Die, die „drinnen“ sind, mag es interessieren, nach außen strahlt nichts, außer denen, die Außen sind!

Anders als die, die „drinnen“ sind, ist die Mystik oder ist die spirituelle Lesart. Hermann Hesse erinnert in einem dem Umfeld des „Glasperlenspiels“ zuzuordnenden Text an einen fiktiven Brief des Hauptakteurs Josef Knecht an seinen Freund Carlo Ferramonte. Auf die Frage an einen Patriarchen des Ostens, Bodhidharma, welches der höchste Sinn der heiligen Wahrheit sei, antwortet dieser: „Offene Weite – nichts von heilig!“

Mir umschreibt diese Antwort das, was uns als Evangelium vorgelegt wird. Die Offene Weite der Maria und der Elisabeth – im inneren Raum. Der Weg „übers Gebirg“, das Rosenwunder im Lied: „Da haben die Dornen Rosen getragen“, die Begegnung mit und das Wohnen bei Elisabeth – in den äußeren Räumen.

Das lässt mich nicht kalt. Ich möchte neu und wieder beginnen, achtsam nach innen zu schauen und darüber zu staunen, dass Gott in mir, in meinem inneren Raum Mensch werden will, und ich möchte mich in meinem inneren Raum weit öffnen für ihn: „Offene Weite – nichts von heilig!“

Ich möchte dasselbe mit wachem Blick nach außen tun: Dankbar staunen, wer mir wie begegnet oder wem ich wie zu begegnen vermag. Aus dem Weg Mariens durch das Bergland Judäas wird das Auf und Ab meiner Wege in Köln; der Dornwald meines Lebens will mich festhalten und schmerzen, und manche Beregnung mit mir selbst und anderen wird dornig, wird schmerzhaft sein, und doch gehört es zum Advent, sich zum Glauben durchzuringen, dass die Dornen Rosen tragen. Die Kommunikation und die Begegnung:  „Offene Weite – nichts von heilig!“

» Ich habe nie ohne Religion gelebt, und könnte keinen Tag ohne sie leben, aber ich bin mein Leben lang ohne Kirche ausgekommen.«
Hesse, Hermann (1931): Mein Glaube, in: Unseld, Siegried (Hrsg.) (1971): Hermann Hesse. Mein Glaube, Frankfurt/Main, 62.

Die „Hauskirche“ Elisabeths (I) – Gott inneren und äußeren Raum geben

Hermann Hesse unterscheidet klar zwischen Religion und Kirche, letztlich hat Elisabeth dies auch getan. Ein gewagter Vergleich, aber Maria besucht Elisabeth in ihrem Haus, Elisabeths Mann Zacharias ist Priester im Tempel, sowohl der Priester als auch der Tempel tauchen hier nicht auf. Das Entscheidende der tief spirituellen – Hesse würde sagen: der „religiösen“ – Begegnung geschieht im Zusammenkommen, im Zusammenleben der beiden Frauen sowohl im Geist der Begegnung als auch in der Wahl des Ortes, im Haus. Wer will, wem es hilft oder wer es braucht, kann von „Hauskirche“ reden, nicht vereinnahmend, sondern unbedingt als „Offene Weite – nichts von heilig!“

» Selten, überaus selten sind die Menschen, deren Seele auch schon im täglichen Reden sich äußert. Sie sind schon mehr als Dichter, sind fast schon Heilige.«
Hesse, Hermann : Über die Seele, in: Unseld, Siegfried (Hrsg.) Hermann Hesse. Mein Glaube, Frankfurt/Main, 14.

Die „Hauskirche“ Elisabeths (II) – Die Seele sich äußern lassen

Und dann die Regungen in dieser offenen Weite: Das Kind der Elisabeth hüpft vor Freude, als ihr Mutter den Gruß Mariens hört; Elisabeth wird vom Heiligen Geist erfüllt, sie spricht Maria und dem Kind unter ihrem Herzen Segen zu, nennt sie die Mutter ihres Herrn. Im Evangelium fehlt es leider, denn Maria antwortet mit dem „Meine Seele preist die Größe des Herrn“, den Worten, die als „Magnificat“ zum festen Gebetsbestand der christlichen Kirchen gehört.

Nicht, dass es mein Ziel wäre, nur in Gebetestexten miteinander zu reden, aber wenn Kommunikation und Begegnung in der Weise geführt werden, dass diese Seeleezustände sich einstellen, dass Segen, Zuspruch, Freude des Herzens und ein Erfülltsein vom Heiligen Geist spürbar wird, dann hat das immens viel mit der „Offenen Weite“ zu tun, an die Hermann Hesse erinnert, Und das „nichts von heilig“ gilt der Lehre von Heiligkeit, nicht aber der Erfahrung ihrer! Wenn diese Art der Begegnung nicht heilig sein soll, was denn dann?

» Da haben die Dornen Rosen getragen... «
GL 224: Maria durch ein Dornwald ging, 3. Strophe (nach August von Haxthausen, 1850)

Sich auf den Weg machen

„In jenen Tagen machte sich Maria auf den Weg und eilte in eine Stadt im Bergland von Judäa.“ Maria hätte all das nicht erfahren, wenn sie beim Gewohnten, in den eigenen vier Wänden, hinter verschlossenen Türen sitzen geblieben wäre. „Sich aufmachen“ hat eine wunderschöne doppeldeutige Bedeutung – Aufbruch als Losgehen und „Sich öffnen für Neues“.

Für den vierten Advent wünsche ich Ihnen und mir diese „Offene Weite“ gerade im Zusammenhang mit „nichts von heilig“. Machen Sie sich auf, und machen Sie die äußeren und die inneren Räume auf, in Kommunikation und Begegnung. Denn da, nur da haben die Dornen Rosen getragen.

Amen.

Köln, 14.12.2021
Harald Klein