5. Sonntag der Fastenzeit – Geh! …: Ein zweites Momentum der Umkehr

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Noch einmal: Eine Geschichte von Abkehr und Umkehr

Diese Fastenzeit bringt eine Menge bekannter Begegnungen mit sich. Am letzten Sonntag konntest du mit dem „verlorenen Sohn“ mitgehen. Du hörtest seine Abkehr aus der Familie, besonders vom Vater und seinem älteren Bruder; du teiltest seinen Moment der Umkehr nahe dem Schweinestall, wo die Schweine mehr zum Fressen vorgeworfen bekam als ihm blieb; und du konntest ihn auf seinem Weg in das Haus seines Vaters und seines Bruders begleiten; der eine nahm ihn mit großer Barmherzigkeit wie einen Wiedergeborenen oder Wiedergefundenen auf, der andere konnte sich zu dieser Barmherzigkeit nicht durchringen.

„Da ging er in sich“ (Lk 15,7): Für mich war der Moment seiner Umkehr wichtig, und ich habe ihn mit der Phönix-Erfahrung in Verbindung gebracht, die Anne Vonjahr in ihrem Buch[1] und mit ihrem dazugehörenden Kartenset[2]beschreibt.

Mit der Geschichte von der Ehebrecherin, die die Schriftgelehrten und die Pharisäer zu Jesus bringen, wird das Evangelium des letzten Sonntags wunderschön ergänzt. Beim „Verlorenen Sohn“ und dem „Barmherzigen Vater“ geht es darum, dass nach der Abkehr des Sohnes die Umkehr durch Besinnung, durch Deutung von erlebter Wirklichkeit aus ihm selbst kam. Er gab aus sich heraus seinem Leben eine neue Richtung. Er richtet den Blick auf sein Vaterhaus, und doch kommt er als ein völlig anderer zurück, als der er gegangen ist. Das ist bei den Schriftgelehrten, den Pharisäern und bei der Ehebrecherin im heutigen Evangelium anders – der richtende Spruch, die Richtungsänderung kommt von außen!

» Menschen vergessen manchmal,
dass ein Ruf sie ruft, nicht sie den Ruf.«
Vonjahr, Anne (2023). Die Phönixerfahrung. Wie du auf einer magischen Reise deine Schatten heilst und dein wahres Selbst erkennst, München, 238.

Eine Phönixerfahrung der anderen Art

Das Evangelium von der Ehebrecherin schließt mit den Worten Jesu: „Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ Dem geht voran, dass Jesus den Schriftgelehrten und Pharisäern, die ihn als Richter der Ehebrecherin gegenüber bloßstellen und dann ihn richten wollten, als Richter begegnet. Jesu Richtspruch: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe als Erster einen Stein auf sie.“ Johannes schreibt in seinem Evangelium weiter: „Als sie das gehört hatten, ging einer nach dem anderen fort.“ Wieder einmal kannst du Abkehr und Umkehr im Evangelium miterleben, diesmal zuerst bei den Schriftgelehrten und den Pharisäern, die von Jesus mit ihrer eigenen Sünde konfrontiert und damit „gerichtet“ werden, auf die Richtung hingewiesen werden, die sie einschlagen sollen – sie mag der Barmherzigkeit des Vaters im Evangelium des letzten Sonntags ähneln. Anders als der verlorene Sohn, anders auch als der Phönix im Mythos, setzen sich Pharisäer und Schriftgelehrte nicht ins Nest und warten die Sonne ab in der Bereitschaft, dass ihr Nest und alles, was ihnen lieb ist, verbrennen mag. Es ist Jesus, der sie mit seiner Frage in dieses Nest setzt. Die, die auf das jüdische Gesetz pochend die Ehebrecherin gesteinigt sehen wollen, die ihren Richtspruch über sie schon fertig mitbringen und Jesus damit zu Fall bringen wollen, verbrennen vor Scham angesichts des Hinweises auf ihre eigene Sünde, auf ihre eigene Gesetzlosigkeit.

Ihre Abkehr vom Gesetz führt nicht zur Umkehr, sondern maximal in eine Kehrtwende in die angestammte Form des Lebens, in den angestammten Orten und in die angestammten Riten. Das wirklich Neue in der Botschaft Jesu zerfällt zur Asche, bevor das ewig Alte – die Hartherzigkeit eines Stammesgesetzes – verbrennen konnte.

» Wo die Scham Beziehungen bestimmt,
da lebt die Lüge. «
Vonjahr, Anne (2023). Die Phönixerfahrung. Wie du auf einer magischen Reise deine Schatten heilst und dein wahres Selbst erkennst, München, 182.

Richten über die Ehebrecherin? – Oder: Richten der Ehebrecherin

Jetzt aber zur Abkehr und Umkehr der Ehebrecherin! Das so ganz andere im Vergleich zum Verlorenen Sohn liegt darin, dass sie sich nicht von sich aus oder aus eigenem Entschluss zum Nachdenken, zur Reflexion oder zur Neuausrichtung ihres Lebens entschlossen hat. Die letzten beiden Verse des Evangeliums sprechen Bände: Jesus richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt? Sie antwortete: Keiner, Herr. Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!

Es ist jemand von außen, der ihr verdeutlicht: Von außen hat dich niemand wegen deines Tuns gerichtet! Und es ist derselbe von außen, der ihr die Möglichkeit aufzeigt, selbst eine neue Richtung im Leben und zum Lebeneinzuschlagen. Völlig offen ist und bleibt, ob und wie sie sich aufgrund ihres Tuns selbst gerichtet hat und wie sie sich in Zukunft ausrichten wird. Immerhin wird sie in manchen christlichen Traditionen mit Maria Magdalena identifiziert, der Frau, die Jesus liebte.

» Wie der Hirt ein jedes der Tiere kennt und beim Namen ruft (Joh 10,3), so verhält es sich mit Gott in Bezug auf uns. Ein jeder von uns ist gemeint, ein jeder, mit anderen Worten, trägt in sich ein bestimmtes Portrait, ein bestimmtes Bild seiner Schönheit und Bedeutung; Gott ruft ihn gerade in dem, was als Kostbarstes in ihm angelegt ist, auf dass er es entfalte und hervorbringe. Nur die Liebe vermag so etwas in dem Raum unserer Erfahrung, aber immer weist alle Liebe unter uns Menschen hin auf jene Liebe, die uns im Vorlauf zu allem eint und überstrahlt. «
Drewermann, Eugen (2003): Das Johannesevangelium. Bilder einer neuen Welt. Erster Teil, Düsseldorf, 469.

Sich richten – dem Leben Richtung geben

An diesen beiden Evangelien wird wieder einmal deutlich, wie groß die Unterschiede der drei Säulen des Glaubens sind: Die Religion beschreibt den Glauben, der geglaubt wird, und formuliert Gesetze, wie darüber gelehrt und gesprochen wird, auch wie sie eingehalten werden; die Frömmigkeit entwickelt Weisen, wie oder in denen der Glaube geglaubt wird und stößt die aus, die diesen Weisen widersprechen oder sie nicht leben; die Spiritualität sucht, handelt und spricht aus einem Geist, der sich der Glaubenslehre und der Glaubensweisen bedient, sofern sie für das Leben und die Lebendigkeit des Lebens – für den einzelnen wie für die Gemeinschaft – hilfreich sind.

Die Spiritualität des Verlorenen Sohnes liegt im Vertrauen auf die Barmherzigkeit seines Vaters und in der mutigen Bereitschaft, sein Fehlverhalten als Tagelöhner im Betrieb seines Vaters wiedergutzumachen. Er hört auf seine „inneren Bewohner“ (Anne Vonjahr), auf sein „inneres Team“ (Friedemann Schulz von Thun), auf sein „Gewissen“ (traditionelle Moraltheologie). Es kommt ganz anders, sein Vater schenkt ihm eine neue „Richtung“.

Die Spiritualität der Ehebrecherin wurzelt in der „äußeren Begegnung“ sowohl mit den Schriftgelehrten und Pharisäern als auch mit Jesus. Die, deren Urteil schon feststand, werden von Jesus „gerichtet“ und zur Erkenntnis ihrer selbst geführt. Jetzt urteilt sie über die anderen: „Frau, wo sind sie geblieben? Hat dich keiner verurteilt? Sie antwortete: Keiner, Herr.“ So ist sein Urteil über die Ehebrecherin folgerichtig: „Auch ich verurteile dich nicht.“ Trotz ihres bisherigen Tuns läuft sie nicht gegen die Wand, die andere ihr hinstellen, sondern ihr wird – auch trotz ihres Tuns – die Möglichkeit einer Kurskorrektur aufgezeigt: „Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“

War das Momentum der Umkehr beim „Verlorenen Sohn“ der Moment der inneren Einkehr, des In-sich-Gehens und das Hören auf die – kurz gesagt – innere Stimme, so ist dieses Momentum bei der „Ehebrecherin“ das Hören auf die Stimme des Außenstehenden, den sie als Richter annehmen kann – als ein Hören auf seine Worte wie auch als Annehmen und Aufgreifen der Möglichkeit, die darin liegt.

» Tatsächlich wird hier kein einziges Gebot erwähnt, auch nicht eines, und das kann doch nur heißen, dass es im Sinne Jesu kein inhaltlich fixierbares Gebot gibt, sondern dass, wer liebt, den Inhalt aller möglichen Gebote bereits in sich trägt; und umgekehrt: dass ein bestimmtes Wissen, was der andere braucht oder möchte, für den, der ein Liebender ist, immer schon besteht. «
Drewermann, Eugen (2003): Das Johannesevangelium. Bilder einer neuen Welt. Zweiter Teil, Düsseldorf, 136f.

Zwei Merkpunkte

Zwei Evangelien, die beide von Abkehr und Umkehr, von Momenten der Neuausrichtung, vom inneren und vom äußeren Richten und von der Möglichkeit, dem Leben eine neue Richtung geben zu können, erzählen. Sie bieten zwei Merkpunkte an: (1) Dem „Verlorenen Sohn“ sind seine „inneren Bewohner“ hilfreich, er geht in sich und hört auf die Stimmen, die in ihm untereinander ringen, welche Richtung er einschlagen könne, vielleicht sogar einschlagen soll. Sein „Ich will aufbrechen“ (Lk 15,18) zeigt, dass der Entschluss der Umkehr zum Vater „willentlich“ und aus ihm heraus entschieden ist. (2) Der „Ehebrecherin“ dienen mehr ihre äußeren Begegnungen. Das Ausgeliefertsein an die Schriftgelehrten und die Pharisäer, die leibhaftige Blöße, auf das Schiedswort Jesu warten zu müssen –dann die Worte Jesu an ihre Peniger, deren Abzug und die Frage, die Zusage und die ermöglichende Aufforderung Jesu an sie richten sie im Moment auf, und richten sie vielleicht auch für die künftige Zeit neu aus.

Wenn es eine Aufgabe für Seelsorge gibt, die in der Spiritualität ihre Wurzeln hat, dann ist es genau diese: Menschen auf ihre „inneren Bewohner“ hinzuweisen, auf die, die Leben behindern, die Leben ermöglichen und die Leben fördern; und als Seelsorger und Seelsorgerin an vielen Orten das Richten und die Richter zu richten[3] – auf Leben und Lebendigkeit hin, und klug die Geister zu unterscheiden.

So viel für heute – und für diese Woche.

Köln, 04.04.2025
Harald Klein

[1] vgl. Vonjahr, Anne (2023): Die Phönixerfahrung. Wie du auf einer magischen Reise deine Schatten heilst und dein wahres Selbst erkennst, München, hier: 54-59.

[2] vgl. Vonjahr, Anne (2024): Die Phönix-Karten. 44 Archetypen für dein inneres Licht, Königsfurt. Die Karten eignen sich sehr für ein Kennenlernen der eigenen „inneren Bewohner“, ihrer Verheißungen und ihrer Mahnungen für die eigene innere Ausrichtung – sei es im Rückblick, sei es im Einblick oder sei es für einen Ausblick.

[3] vgl. dazu die „Gedankensplitter: Die Richter richten“, eine kleine Wortspielerei mit der Wortfamilie des Verbes „richten“  [online] https://www.harald-klein.koeln/die-richter-richten/ [04.04.2025]