5. Sonntag der Osterzeit: Ich bin Dir (!) Weg, Wahrheit und Leben

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Geistliche Berufungen – Anknüpfen an den vergangenen Sonntag

Am vergangenen Sonntag haben wir eines von sieben Ich-bin-Worten Jesu gehört, die uns das Johannesevangelium anbietet. Jesus sprach von sich als dem guten Hirten, dessen Stimme all die kennen und hören, die ihn, die Jesus kennen. Und mit dieser starken Selbstaussage Jesu im Evangelium verwundert es nicht, dass seit 1934 an diesem Sonntag vom guten Hirten der Weltgebetstag der geistlichen Berufungen terminiert wurde. Wohlgemerkt: geistliche Berufungen – der Weltgebetstag für geistliche Berufe ist eine Verkürzung!

Um aus dem „Wer darf was“ und „‘Wer darf was nicht“ in den geistlichen Berufen herauszukommen, um die Frage der christlichen Berufung zu betonen weiter zu denken als die Frage nach dem Zölibat, nach Frauenordination und nach den angeblich ewigen Wahrheiten und Offenbarungen, hat vor knapp zehn Jahren der Salzburger Fundamentaltheologe Franz Gmainer-Pranzl einen ersten  Ansatz zu einer „Theologie der Lebensformen“ versucht.

Darin geht es weniger um die Frage nach der Berufung zum Ordensleben oder zum Leben als Diakon oder Priester. Ganz im Mittelpunkt steht die weitere Frage, in welche Lebensform Gott den Menschen ruft oder welche Lebensform der Mensch wählen kann, um dem Ruf Gottes zu folgen.

Drei Lebensformen, in die Gott ruft

Eine dieser Lebensformen ist die exklusive Bindung im Verbundensein in einer der Partnerschaft, eine zweite ist die inklusive Bindung in der Solidarität einer Gemeinschaft. Es bleibt die dritte Lebensform, für die ich zumindest vor dieser „Theologie der Lebensformen“ noch keinen Begriff außer dem „Alleine leben“ kannte: Diese Lebensform kann als Antwort aus Glauben heraus bewusst und oft ohne ein kirchliches Amt zwar alleine, aber nicht beziehungslos gewählt und gelebt werden.  Wenn sie als Antwort auf einen Ruf Gottes gewählt wird, spricht Gmainer-Pranzl hier von der „Gefährtenschaft“, deren Kennzeichen das Unterwegssein und deren Ziel Partizipation am Leben anderer ist. Er sieht darin eine Weise, die allen geschenkte Berufung zum Christsein in einer bestimmten – zu Ehe und Gemeinschaft alternativen – Weise zu leben. Gefährten und Gefährtinnen sind Menschen, die selbst-ständig und allein-stehend eine ganz bestimmte Form christlicher Existenz leben. Es geht um eine partizipative, teilnehmende Weggemeinschaft, in der – Sie kennen den Anfang der Pastoralkonstitution GS 1 – Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen geteilt wird. Das weist auch dem Weltpriester seinen Platz zu. Der Zölibat ist hier nicht in Kauf genommen, um Kleriker zu werden, sondern ist bewusst angenommen, um Gefährte oder Gefährtin sein zu können, um in dieser beschriebenen Form von Gefährtenschaft leben zu können. Es geht nicht darum, wieder einmal ein kirchliches Alleinstellungsmerkmal zu beschrieben: Ihr seid Eheleute, Ihr seid Ordensleute, ich bin Gefährte – Gefährte und Gefährtin können in allen Lebensformen erfahren werden. Nur: die Eheleute haben ihre exklusive Bindung, die davorsteht, die Ordensleute ihre solidarische Bindung in Gemeinschaft, der „Gefährte“ hat das Unterwegssein, seinen Selbst-Stand und seinen Allein-Stand, neben den Beziehungen. Er lebt zwar allein, aber auch in Bezügen und Beziehungen und ist nicht notwendig einsam.

Die Ich-bin-Worte Jesu als Impuls für das Leben in der Gefährtenschaft

Das alles im Hinterkopf, besser im Herzen, habend, nehmen Sie doch die Ich-bin-Worte Jesu einmal für sich auf in der Lebensform, in der Sie leben: als Eheleute oder Paare, als Menschen in Gemeinschaften, als Allein-Stehende in der Lebensform der Gefährtenschaft. Egal, in welcher Lebensform Sie leben, Sie dürfen glauben, dass Gott in Ihnen Wohnung genommen hat. Und in dieser Haltung, in diesem Glauben stellen Sie sich vor, der Gott-in-Dir würde diese Ich-bin-Worte (zugegeben, um einen Buchstaben verändert) Ihrem Gegenüber sagen: Ihrem Partner oder Ihrer Partnerin, Ihrem Mitbruder oder Ihrer Mitschwester, der oder dem, dem Sie jetzt Gefährte oder Gefährtin sind.

Wie klingt das für Sie, wenn Sie sagen würden: „Ich bin Dir Brot des Lebens“ – oder Sie würden bitten: „Sei Du mir Brot des Lebens.“

Wie klingt das für Sie, wenn Sie sagen würden: „Ich bin Dir Licht der Welt“ – oder Sie würden bitten: „Sei Du mir Licht der Welt.“

Wie klingt das für Sie, wenn Sie sagen würden: „Ich bin Dir Tür“ – oder Sie würden bitten: „Sei Du mir Tür.“

Wie klingt das für Sie, wenn Sie sagen würden: „Ich bin Dir ein guter Hirte“ – oder Sie würden bitten: „Sei Du mir ein guter Hirte.“

Wie klingt das für Sie, wenn Sie sagen würden: „Ich bin Dir Auferstehung und Leben“ – oder Sie würden bitten: „Sei Du mir Auferstehung und Leben.“

Wie klingt das für Sie, wenn Sie sagen würden: „Ich bin Dir Weg, Wahrheit und Leben“ – oder Sie würden bitten: „Sei Du mir Weg, Wahrheit und Leben.“

Wie klingt das für Sie, wenn Sie sagen würden: „Ich bin Dir ein wahrer Weinstock“ – oder Sie würden bitten: „Sei Du mir ein wahrer Weinstock.“

So reden wir nicht, so bitten wir nicht – aber so können und dürfen wir uns begegnen. Ich würde es den Eheleuten und den Paaren wünschen, ich würde es den Ordensleuten wünschen – am meisten würde ich es den Menschen wünschen, die Gefährtenschaft suchen und die einander Gefährten und Gefährtinnen sind. Es wäre ein unglaubliches Zeugnis von Kirche und Jesus Christus, wenn diese Weise der Gefährtenschaft mitten in der Welt erkannt, angenommen und gelebt wird. Es mag uns in der Kirche und in den Klöstern an geistlichen Berufen fehlen, aber noch mangelt es der Welt – und vielleicht mehr noch in der Kirche – an wirklichen Gefährtinnen und Gefährten. Lassen Sie uns darum bitten, und mehr noch: lassen Sie es uns einander sein.

Amen.

Köln, 09.05.2020
Harald Klein