Die Frage nach dem „Warum?“
Gewohnheiten und mehr noch Routinen geben Sicherheit und schenken so Entlastung. Ihr Nachteil ist aber auch, dass Gewohnheiten und mehr noch Routinen wie eine Mauer zwischen Ihnen und dem, was an Leben neben Ihren Gewohnheiten und über Ihre Routinen hinaus einerseits geschieht und andererseits auch auf Sie wartet.
Eine Methode, die eigenen Gewohnheiten und Routinen zu hinterfragen, heißt „Five Why“ – also „Fünf Warums“. Mit einer fünfmal gestellten „Warum?“-Frage können Sie Ursache-Wirkung-Beziehungen auf den Grund gehen, tiefer liegende Gründe erahnen und erkennen und dann eine Motivation entwickeln, vielleicht andere Gewohnheiten und Routinen zu etablieren, die Ihrer jetzigen Lebenssituation viel eher entsprechen. Das gilt auch für Ihr Glaubensleben.
Ein jetzt für Sie geltendes Beispiel: Sie lesen diesen Text. Warum? Geben Sie sich doch selbst eine Antwort. Und dann fragen Sie diese Antwort an: Warum? Und das wiederholen Sie noch einige Male – Sie werden wundern, wo Sie am Ende landen! Und welchen Nutzen Sie aus diesen Antworten auf das wiederholte Warum? ziehen können.
Ein anderes „Christ in der Gegenwart“
Aber jetzt zum Evangelium. Das heutige Evangelium schließt an die Seligpreisungen des letzten Sonntages an. Da sprach Jesus zur Menge, dass sie selig seien, wenn… – und es klang wie eine zukünftig sich erfüllende Perspektive: wenn Ihr dieses oder jenes macht, dann seid ihr selig oder werdet ihr selig. Dieser zukünftigen Perspektive hängt Jesus heute eine gegenwärtige Zusage an: Ihr seid das Salz der Erde…; ihr seid das Licht der Welt…! Da gibt es keine zukünftige Perspektive mehr, da gibt es nur die Perspektive der Gegenwart, nur das Jetzt.
Wieder das jetzt für Sie geltende Beispiel: In dem Moment, in dem Sie das Evangelium oder diesen Text lesen, sindSie Salz der Erde und Licht der Welt. Ohne Wenn und Aber, ohne das, was gestern war und was morgen sein wird. Mit den Gedanken der Stoiker im Rücken, aber auch mit der „Kraft der Gegenwart“, die Eckhart Tolle beschreibt, dürfen Sie sagen, Christ sind wir immer nur jetzt, immer nur im Jetzt, in der Gegenwart. Hier, in der Gegenwart, zeigt es sich, da wirkt es sich aus, hier leben Sie es. Alles andere war einmal oder wird einmal sein, es spielt aber keine Rolle. Du bist das Salz der Erde, Du bist das Licht der Welt – Jesus verweist weder auf Vergangenheit oder auf Zukunft.
Vom Nutzen des Christseins
Weiter: Mir fällt auf, dass anders als bei der Gerichtsrede Jesu in Mt 25 („Wann haben wir Dich hungrig gesehen und Dir zu essen gegeben?“ usw.) im heutigen Evangelium keiner fragt! Da gibt es kein „Warum bin ich Salz der Erde?“ oder „Warum bin ich Licht der Welt?“ Und vor allem gibt es kein „Warum soll mein Licht vor den Menschen leuchten, damit sie meine guten Taten sehen und den Vater im Himmel preisen?“ Die Methode des „Five Why“ versagt angesichts der Bergpredigt. Diese Zusage scheint für die Hörenden (und Lesenden) selbst-verständlich (ein schönes Wort!) zu sein!
Schon kurios, wenn Sie bei diesen Zusagen Jesu fragten: „Warum?“ Die Antwort klingt genauso kurios: Weil Christsein nutzlos ist, weil es zu nichts nutze ist.
Aber Vorsicht! Sie müssen das richtig verstehen wollen! Wenn Sie als Synonyme für „zu nichts nutze“ – so wie der Open Thesaurus[1] – Begriffe wählen wie „der Mühe nicht wert“, „entbehrlich sein“, „fruchtlos“, „ohne Sinn und Zweck“, „überflüssig“, „verzichtbar“, dann schießen Sie am Ziel vorbei.
Christsein, zu Christus gehören, mit ihm mitgehen, für ihn einstehen und ihn wie ein Gewand anziehen (Gal 3,27) ist insofern nutzlos, weil es auf nichts und niemand anderes abzielt als auf Christus und weil es nicht und niemand über ihn und mich hinaus erreichen will. Es ist zu nichts anderem nutze als dass Christus sein Leben in mir und ich mein Leben in ihm leben kann.
DANN (!) und SO (!) wird mein, wird unser Licht vor den Menschen leuchten und vielleicht über uns hinausweisen auf den, für den wir gehen, in dem wir leben und der in uns lebt. Ich darf mich, Sie dürfen sich fragen, „warum“ ich so lebe bzw. „warum“ Sie so leben. Aber in dem Moment, in dem ich provoziere, dass andere mich fragen, oder dass ich mein Licht ungefragt leuchten lasse und hochhalte, bekommt es den Charakter des „Heimleuchtens“ oder geht aus.
Lassen Sie das Salz nicht schal werden, aber tun Sie das diskret. Und lassen Sie Ihr Licht leuchten, ohne anderen heimzuleuchten – das tun nur Armleuchter, das tut niemand, der für Christus brennt.
Amen.
Köln 03.02.2023
Harald Klein
[1] vgl. [online] https://www.openthesaurus.de/synonyme/zu+nichts+nutze [03.02.2023]