6. Sonntag der Osterzeit – Ein Konzil für die Westentasche

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Da sind sie – die ersten interkulturellen und interreligiösen Streitigkeiten

Eine winzig kleine Ikone zeigt die beiden Apostel Petrus (links) und Paulus (rechts), den ersten in Lockenpracht, den zweiten mit einem bundeskanzlerähnlichen Puschel auf dem ansonsten bloßen Haupt, der Denkerstirn, die dem Paulus wohl in der Ikonographie eigen ist. Sie umarmen sich, die eigenen Hände liegen auf der Schulter des anderen – aber ihr Blick geht nicht zueinander, sie schauen aus der Ikone hinaus auf die Betrachtenden, auf die, die vor und mit der kleinen Ikone beten.

Der Weg zu dieser Umarmung war steinig. Petrus verkündete das Wort der Auferstehung den Judenchristen, zu ihnen wusste er sich gesandt. Die Wirkung dieses Wortes war beinahe so etwas wie die Bildung einer neuen Sekte, einer Splittergruppe, die sich dem Judentum zugehörig fühlte. Die Wahrheit dieses Wortes konnte sich – heute würde man sagen interkulturell und interreligiös – nur zeigen durch das friedvolle Neben- und teilweise Miteinander in der einenjüdischen Gemeinschaft. Die Haltung der Hohepriester, die Haltung also des Establishments, verstärkt durch deren politische Verstrickungen, war Gegenstand der vergangenen Sonntage und ist Gegenstand, ist roter Faden, durch die Apostelgeschichte hindurch. Der Feind der frühen Kirche liegt in der Kirche selbst. Es geht um das Bezeugen der Auferstehung Christi, beginnend in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien bis an die Grenzen der Erde vgl. Apg 1,8) – und Petrus hat in Jerusalem genug zu tun!

Ganz anders Paulus. Ihm, der ehemals Saulus hieß und dem die Kleider des gesteinigten Stephanus zu Füßen gelegt wurden, werden die Augen nicht in Jerusalem, sondern in Damaskus, in Syrien geöffnet. Sein Umfeld ist „heidnisch“, will sagen: „nicht jüdisch“.[1] In dieser Kultur, in dieser Religion beginnt Paulus zusammen mit anderen, die zum Glauben an Christus gefunden haben, dieses Bezeugen der Auferstehung Christi, die am Anfang der Apostelgeschichte beschrieben wird.

Und jetzt geht es „wie im richtigen Leben“. Solange Petrus und Paulus und das, wofür sie stehen, nebeneinander wirken, solange man „sich lässt“, gibt es keine Konflikte. Sie entstehen erst – wie meist – durch eine Frage nach der Macht, nach der Autorität, nach dem Ranking, nach dem, der letztlich das Sagen hat.

Und so geht es los: „In jenen Tagen kamen einige Leute von Judäa herab und lehrten die Brüder: Wenn ihr euch nicht nach dem Brauch des Mose beschneiden lasst, könnt ihr nicht gerettet werden“ (Apg 15,1). Heißt: die „Heiden“ müssen erst „Juden“ werden, um dann „Christ“ sein zu können. Es ist wie ein (vielleicht verzweifelter ) Versuch, das Leben in und mit Christus in das Gesetz des Judentums einzubauen. Wenn du das passende Wort oder die passende Haltung Jesu oder der Evangelisten dazu findest, gib mir Bescheid, ich finde nichts – aber das ist ja oft genug das Vorgehen der Religion, der Lehre, die man zu glauben habe.

» Die Engstirnigen müssen erst einmal lernen, dass es möglich ist, im eigenen Geist Raum zu schaffen, Raum für das Undenkbare, für das Miteinander von Gegensätzen, für Zwischentöne und den Blick über den eigenen Tellerrand. Und wie wohltuend ist es, wenn man Jahre später feststellen kann, dass sich ein verbohrter Geist wirklich zu ändern vermag. «
Mannschatz, Marie (2019): Vollkommen unvollkommen. Zehn Qualitäten, die das Beste in uns zum Vorschein bringen, München, 156.

Auf dem Weg zur Lösung

Wie aus diesem „Zwist und Streit“ (Apg 15,29) herausfinden? Bemerkenswert ist hier, dass „Zwist und Streit“ nicht zwischen den Heiden- und den Judenchristen gezeigt wird, sondern „Judenchristen-intern“ zwischen Paulus und Barnabas einerseits und den „Leuten von Judäa“, die auf der „Beschneidung der Heiden“ bestehen. Du könntest diesen Streit heute „innerkirchlich“ nennen.

Die Lösung des Konflikts ist genial! Beide Parteien machen sich mit dieser Streitfrage auf den Weg nach Jerusalem, zu den Aposteln und den Ältesten, allen voran zu Petrus. Man will „in Gemeinschaft“ bleiben. Doch Petrus kommt ihnen schon – im doppelten Sinne des Wortes – mit einem Schreiben entgegen. Ein erstes: Die, die solches fordern, haben keinen Auftrag von ihnen, den Aposteln und den Ältesten, dazu. Ein zweites: den Heidenchristen soll – nach Beschluss des Heiligen Geistes und ihnen, den Aposteln und den Ältesten – keine weitere Last aufgelegt werden als Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktes und Unzucht zu meiden. Das Schreiben endet mit „Wenn ihr euch davor hütet, handelt ihr richtig. Lebt wohl!“ (Apg 15,28f). Bonhoeffer würde hier wohl von der „billigen Gnade“ reden. Klug ist es trotzdem!

Eine Streitfrage in Sachen des Glaubens gemeinsam klären heißt heute „Konzil“ – und die Geschichte aus Apg 15 wird allgemein das erste oder auch das Apostelkonzil genannt. Das Wort ist dem lat. concilium = Rat, Zusammenkunftentlehnt. Anderes Wort, aber gleicher Sachverhalt: Eine Streitfrage in Sachen der Arbeit klären heißt heute „Meeting“, sei es „analog“ oder „digital“, und, so frage ich mich, gibt es wohl auch einen Begriff für die Klärung einer Streitfrage zwischen dir und mir, zwischen Partnerinnen und Partnern – oder heißt das einfach „Streit“? Ist „Streit“ dasselbe wie „Meinungs-Verschiedenheit“? Oder eher „Wert-Verschiedenheit“ oder Haltungs-Verschiedenheit“? Nur mal gefragt…

» Und dieser Glaube an Gott würde uns nämlich den Glauben an alle die anderen Mächte nehmen, unmöglich machen. Wer an Gott glaubt, der glaubt in dieser Welt an nichts anderes, denn er
weiß, es zerbricht und vergeht, aber er braucht auch an nichts 'anderes' zu glauben, denn er hat ja den, von dem alles kommt und in dessen Hände alles fällt. «
Bonhoeffer, Dietrich (2015): London 1933-1935, DBW 13, Gütersloh, 414f.

Zwei Lösungsversuche im Apostelkonzil: Dialog und Kompromiss

Zwei Haltungen werden beim Apostelkonzil in Antiochia in den Boden der Kirche wie ein Samenkorn hineingelegt: Der Dialog und der Kompromiss – oder besser: der Konsens.

Mike Kauschke, Redaktionsleiter des Evolve-Magazins und Dialogbegleiter im Netzwerk Ethik-Heute, fasst zusammen, was Dialog – etwa im Unterschied zum Gespräch – meint:[2] Im Dialog bewegen sich Menschen aufeinander zu und erschließen einen neuen Raum der Bedeutung, der Begegnung. Im aktiven Zuhören geht es um die Haltung des gegenseitigen Wertschätzens, nicht nur um die Suche nach Informationen, sondern auch nach dem, was diese Informationen bei den Dialogpartnerinnen und -partner bewegen. Statt einen „Sieger“ zu krönen (wie es etwa bei Debatten üblich ist), kann der Dialog aufzeigen, wie unterschiedliche Blickwinkel aufeinander wirken. Wichtiger ist, das zu hören und zu erfahren, was man noch nicht wusste und ahnte, statt die eigenen Positionen von anderen wiedergekäut zu bekommen. So kann der Dialog eine Möglichkeit zur persönlichen Entwicklung werden, als Schlüssel zur Resilienz dienen, und wird schließlich zum Königsweg der Konfliktlösung. Nur nebenbei: Ist dir mal aufgefallen, dass z.B. die Ukraine und Russland „Gespräche“ führen – und keine „Dialoge“? Oder das die Politik zurzeit Unmengen an „Gipfeln“ kennt, „Dialoge“ aber eher den NGOs vorbehalten sind? Oder – als Beispiel – dass du dringend mal mit deiner Tochter „sprechen“ musst, was ihr Benehmen in der Familie angeht; ob das viel vom „Dialog“ hat? Es könnte es haben! Aber das ist dann eine zweiseitige Entscheidung!

Zugegeben: Im Apostelkonzil ist vom Dialog kaum etwas zu spüren, außer dem Entschluss, dass die streitenden Parteien das Gespräch mit den Aposteln und den Ältesten suchen wollen, um ihren Zwist beilegen zu können – am ehesten in einem Kompromiss.

Wenn du dir einen Moment Zeit nimmst, könntest du versuchen, eine Definition dessen zu geben, was für dich ein „Kompromiss“ ist. Klingt der Begriff eher positiv für dich, oder eher negativ? Was leisten Kompromisse, was verhindern sie? „Kompromiss“ – wie der beim Apostelkonzil – meint Übereinkunft, meint eine Einigung durch gegenseitige Zugeständnisse. Wir tarieren untereinander aus, was wir lassen, was wir aufgeben, um zu einem Kompromiss zu gelangen. Typisch für einen Kompromiss ist das Verzichten auf Lösungselemente, bis sich alle auf einen kleinstmöglichen Nenner geeinigt haben. „Der israelische Philosoph Avishai Margalit sagt: ‚Ein guter Kompromiss teilt das Trennende auf.‘“[3] Das Trennende wird aufgeteilt – vom Verbindenden ist erst einmal keine Rede!

Ich stelle den Konsens dagegen: Beim Konsens versucht man eine Lösung zu finden, bei der niemand verzichten muss. Es ist die bestmögliche Entscheidung.

» Die Mystik des Christentums, sagt Metz, ist dagegen eine Mystik der „Mitleidenschaft“ (Compassion), in der ich mich vom Leid der anderen anrühren lasse und daraufhin engagiere. Der Imperativ des Christentums lautet nach Metz: „Aufwachen, die Augen öffnen. Das Christentum ist kein blinder Seelenzauber. Es lehrt nicht eine Mystik der geschlossenen, sondern eine Mystik der offenen Augen. Im Entdecken, im Sehen von Menschen, die im alltäglichen Gesichtskreis unsichtbar bleiben, beginnt die Sichtbarkeit Gottes, öffnet sich seine Spur."«
Metz, Johann, Baptist (1997): Zum Begriff der neuen Politischen Theologie 1967-1997, Mainz, 57, zit. in: Kuld, Lothar (o.J.): Theologie der Compassion. Biblische Grundlagen und theologische Reflexion sozialen Handelns [online]https://www.schulstiftung-freiburg.de/eip/media/forum/pdf_182.pdf [08.02.2024]

Auferstehung – Wort, Wirkung, Wahrheit im Apostelkonzil

Im Apostelkonzil spielt die Verkündigung, das Wort von der Auferstehung offensichtlich keine große Rolle. Es geht um Gebote, Riten und Gebräuche, die ich der Frömmigkeit zurechne, es geht weniger um die Lehre, die ich als Religionbezeichne, und am wenigsten um eine gemeinsame dialogische Suche nach dem Geist, um die Spiritualität, der zu einem Konsens oder zumindest zu einem lebensfähigen, lebendigen Kompromiss führt. Der Brief der Apostel und der Ältesten ist Diktat und wird diktiert.

Dem Vorgang und dem Vorgehen möchte ich aber doch zugutehalten, dass hier in einer Zeit der Stammeskulturen interkulturell und interreligiös gedacht und gehandelt wurde, ohne dass diese beiden Begriffe bekannt waren oder bisher in irgendeiner Weise diskursiv eine Rolle spielten. Dass Petrus den Paulus umarmt, dass sie gemeinsam in die Welt schaue, dass Judenchristentum und Heidenchristentum sich zusammentun im Gegenüber zur Welt, ist ein bislang unerhörter Vorgang! Und dass sich eine Religion der Welt öffnet, dass man im Raum der Religion, also der Lehre, und der Frömmigkeit, also der Gebote, Riten und Gebräuche, der Spiritualität, also dem Geist, der den Alltag leitet, der dialogisch und auf ein Mehr an Menschlichkeit ausgerichtet ist, das letzte Wort lässt, erkläre ich mir am ehesten mit der Wahrheit der Auferstehung: Der, um den es geht und der das vorgelebt und weitergegeben hat, lebt wieder und lebt weiter!

So viel für heute, und für diese Woche.

Köln, 21.05.2025
Harald Klein

[1] Es hat nicht lange gedauert, da waren diejenigen die „Heiden“, die keine Christen waren. Ausgenommen blieben m.W. die Juden, die immer „die Juden“ waren.

[2] vgl. für das Folgende [online] https://mike-kauschke.de/texte/artikel/#:~:text=Sprechen%20und%20Zuhören&text=Durch%20dialogische%20Gespräche%20kommt%20sie,Freiburg%20bietet%20ähnliche%20Gesprächsräume%20an. [21.05.2025] – die genannten Kennzeichen de Dialogs sind in verschiedenen Artikel grundgelegt und von dort entnommen.

[3] vgl. Littgen, Charlotte: Lexikon – Kompromiss, in: Philomag 03/2025, 09.