7. Sonntag im Jahreskreis – Heilig, oder besser doch nicht?

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Entweder: Sich einschwingen in Gottes Vollkommenheit…

Und immer noch hören Sie im Sonntagsevangelium Jesus in seiner Bergpredigt, seinem „Grundsatzprogramm“, der ersten großen Ansprache an das Volk, das zu ihm strömt, unmittelbar nach seiner Rückkehr von der Versuchung in der Wüste. Es ist, als wolle Jesus den Menschen klar machen, was ihm in der Wüste, in der Zeit seines Sich-Aussetzens, der Zeit seiner Versuchung und Verführung, in seiner Zeit des „Entweder–oder“ von Gott her und auf Gott hin klar geworden ist – zumindest in der Version nach Matthäus.

Dieses „Entweder-oder“ findet im heutigen Evangelium seinen Ausdruck in einem dreimaligen „und wenn…- dann“, und viel mehr noch in dem „ich aber sage euch…“, das Jesus zweimal ausdrücklich betont, am bekanntesten sicher durch „Ich aber sage euch, liebt eure Feinde und betet für die, die euch verfolgen“ in Mt 5,44. Da sind sie wieder, die „dialektischen Aufhebungen“ Jesu, ganz im Sinne Hegels: überwinden – bewahren – auf eine höhere Stufe heben!

Dreimal hintereinander an den Sonntagen Aufrufe oder Ermutigungen Jesu: zum einen Licht der Erde und Salz der Welt zu sein (Mt 5,13-16; 5. So. im Jahreskreis); zum zweiten das jüdische Gesetz zu erfüllen, indem man es „aufhebt“, wenn auch im Sinne Hegels, in einer „dialektischen Aufhebung“ (Mt 5,17-37; 6. So. im Jahreskreis); und zum dritten heute eine Zusammenführung in Überbietungen eines gewöhnlichen Handelns und somit zur „gottgleichen Vollkommenheit“ führen: „Seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist.“

In der Bergpredigt schlägt Jesus einen Pflock durch seine Verkündigung ein, der „Heilig sein“ als Frucht eines „Werkes“, eines „Tuns“ oder „Handelns“ erscheinen lässt – oder umgekehrt, als eines inneren, geistlichen Zustandes, der solche Werke, solches Tun und Handeln evoziert, hervorruft, wachsen lässt. „Heilig sein“ als Zusammenspiel des „inneren“ und des „äußeren“ Menschen, bei dem nicht unbedingt klar ist, wer von diesen beiden das Sagen hat.

» Ich laufe bleibend davon. «
Florin, Christiane (2019): Trotzdem! Wie ich versuche, katholisch zu bleiben, München, 172.

… oder: „Offene Weite, nichts von heilig“

Den anderen Pol des Heiligseins entdeckte ich erstmals in der Lektüre von Hermann Hesses „Mein Glaube“[1]. Hesse lässt darin den Magister ludi, den Oberen des Glasperlenspiels, Josef Knecht, seinem Freund Carlo Ferramonte in einem Brief schreiben: „Ein Kaiser trifft mit dem Urpatriachen Bodhidharma zusammen. Mit der Wichtigtuerei und der Ahnungslosigkeit eines Laien und Weltmanns fragt er ihn: ‚Welches ist der höchste Sinn der heiligen Wahrheit?‘ Der Patriarch antwortete: ‚Offene Weite – nichts von heilig.‘ Die nüchterne Größe dieser Antwort, Carlo, wehte mich an wie ein Hauch aus dem Weltraum. Ich empfand ein Entzücken und zugleich ein Erschrecken wie in jenen seltenen Augenblicken der unmittelbaren Erkenntnis oder Erfahrung, die ich ‚Erwachen‘ nenne.“[2]

Das Unbehagen im mehr oder weniger gut strukturierten, das Ausdifferenzierte liebenden europäischen Denken und Handeln fängt da an, wo es „nur“ noch „offene Weite“ gibt, und „nichts von heilig“, sei es im Sinne des Sakralen, sei es im Sinne irgendetwas Besonderen; eben „nur“ diese „offene Weite“.

» Ein Kaiser trifft mit dem Urpatriarchen Bodhidharma zusammen. Mit der Wichtigtuerei und der Ahnungslosigkeit eines Laien und Weltmanns fragt er ihn: ‚Welches ist der höchste Sinn der heiligen Wahrheit?‘ Der Patriarch antwortete: ‚Offene Weite – nichts von heilig.‘ Die nüchterne Größe dieser Antwort, Carlo, wehte mich an wie ein Hauch aus dem Weltraum. «
Hesse, Hermann (1931): Mein Glaube, in: Unseld, Siegried (Hrsg.) (1971): Hermann Hesse. Mein Glaube, Frankfurt/Main, 47.

Heiligkeit – wenn überhaupt, dann bezogen auf Gott UND die Welt

Beide Pole sind – man könnte meinen: unvereinbar – in der Kirche zu finden. Menschen auf der einen Seite, die durch das Befolgen der Regeln, das Anwenden und das Umsetzen eines christlichen Ethos die richtige Antwort bzw. die normale Regel schon kennen, weil sie von göttlicher i.S.v. kirchlicher Autorität oder vom Ethos der kirchlichen Gemeinschaft vorformuliert, besser: vorgegeben ist. Ein Beispiel dafür sind etwa die Weisungen für die Österliche Bußzeit, die im Offiziellen Direktorium, einem Regelwerk für Gottesdienste und besondere kirchliche Zeiten, festgeschrieben sind. Wer „vollkommen sein will, wie der himmlische Vater vollkommen ist“, der möge etwa der Verpflichtung der Osterkommunion nachkommen, sich der Notwendigkeit der Beichte bei schwerer Sünde erinnern, das Festangebot einhalten und sich am Freitagsopfer beteiligen.[3] M.a.W.: Die Pflöcke sind geschlagen, von Menschen oder Institutionen, die ich nicht gebeten habe, mir diese Pflöcke zu schlagen – und ich falle raus, wenn ich mich jenseits dieser Pflöcke bewege. Es bleibt die Wahl, diese Rigorosität der Heiligkeit anzunehmen, mich in ihr zu bewegen und in ihr leben zu wollen, oder sie als eine Form geistlichen Missbrauchs zu deuten und zumindest innerlich mich zurückzuziehen. „Ich laufe bleibend davon“, hat die Journalistin Christiane Florin diese Form des Rückzugs einmal beschrieben[4].

Es sind genau diese von anderen eingeschlagenen Pflöcke, die in Religionen ohne Gott bzw. „gottgegebene“ Hierarchien oder bei Menschen ohne religiöse Bindung fehlen. Das macht es auf den ersten Blick nicht unbedingt leichter. Denen, die für mich, mir gegenüber (quasi missionarisch) diese Pflöcke der Heiligkeit einschlagen wollen, gilt ein Bonmot des Buddhismus: „Triffst du den Buddha, töte ihn!“

Es ist Zumutung der Menschen auf der andren Seite, diese Pflöcke auf dem Weg der Heiligkeit – sie würden dieses Wort nicht benutzen – selbst zu suchen oder zu wählen, besser: sich von ihnen finden zu lassen. Im Buddhismus sind das z.B. die Haltungen, die den Weg zur höchsten Weisheit und zu deren vollkommen Verwirklichung helfen: Großzügigkeit, sinnvolles Verhalten, Geduld, freudigen Anstrengung, Mediation und Weisheit. „Offene Weite, nichts von heilig“ eben. Um Hilfe geht es, nicht um Erfüllung von Pflichten und Geboten!

Mir scheint, dass das Sich-bewegen zwischen den beiden Polen auch Hilfe, auch hilfreich ist. Wieder greift das „dialektische Aufheben“ Hegels, das Jesus schon der Bergpredigt vorgibt. Worauf zielt das Fasten, was hat das Freitagsopfer im Blick, wie ist der Umgang mit Schuld und Sünde heilsam?

Nochmal Jesus als Hegelianer und die „dialektische Aufhebung“: Kann das Überwinden des mir von Fremden Gebotenen, das Aufbewahren der alten Praxis um der Rück-Erinnerung wegen, und das Erhöhen, das Fasten, Opfern, Beichten und Bekennen auf anderer, nicht-ritueller Stufe, mitten in der Welt, denen gegenüber, mit denen ich lebe, das, was Heiligkeit meint, mehr treffen? Wenn ich – um das große Wort der Bußzeit vorwegzunehmen – den Blick umkehre und nicht so sehr das Wort Gottes, sondern das Leben der Menschen incl. mein eigenes Leben in den Blick nehme? Um mir dann selbst oder mit den Gefährtinnen und Gefährten meines Lebens selbst die richtigen Pflöcke einzuschlagen, die Halt geben und Richtung weisen: z.B. Großzügigkeit, sinnvolles Verhalten, Geduld, freudigen Anstrengung, Mediation und Weisheit. „Offene Weite, nichts von heilig“ eben.

Es könnte sein, dass ich dann heilig werde, ohne es von mir aus zu wollen, ohne dass es ein anderer von mir erwartet oder dass es ein anderer mir dies sagt oder aufträgt!

Amen.

Köln 10.02.2023
Harald Klein

[1] Hesse, Hermann (1971): Mein Glaube, hrsg. Von Siegfried Unseld, Frankfurt Main.

[2] a.a.O.,  47

[3] vgl. [online] https://www.erzbistum-koeln.de/export/sites/ebkportal/seelsorge_und_glaube/gottesdienst_liturgie/.content/.galleries/downloads/Directorium_2022-Onlineversion.pdf – S. 30 [10.02.2023]

[4] Florin, Christiane (2019): Trotzdem! Wie ich versuche, katholisch zu bleiben, München, 172.