Zweiter Adventssonntag – Alle(s) auf Christus hin ausrichten

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Handfest: Die Szene des taufenden Johannes

Um den Vorläufer geht es im Evangelium, und damit auch um das Vorläufige. Nichts hält so lange wie ein Provisorium, heißt es scherzhaft, und bei der Botschaft des Johannes könnte man den Satz glatt glauben. Um Umkehr geht es, vielleicht auch um Hinkehr, und das dann immer wieder.

Matthäus führt in seinem Evangelium Johannes ein als kargen Asketen, der von Heuschrecken und wildem Honig in der Wüste lebt und der dann an den Jordan geht, um dort zur Umkehr aufzufordern, denn das Himmelreich sei nahe. Auch von der Hinkehr zu dem, der nach ihm kommen wird, ist die Rede. Interessant an der Schilderung bei Matthäus ist, dass er inhaltlich diesen Begriff der Umkehr erst deutet, als schon Scharen von Menschen aus Jerusalem und ganz Judäa zu ihm sich hinkehrten, um ihre Sünden zu bekennen und sich von ihm taufen zu lassen – Hinkehrscheint ein Zeichen der Bereitschaft zur Umkehr zu sein..

Als Pharisäer und Sadduzäer, Schriftgelehrte und Tempelpriester, zu ihm kommen, tobt er: „Ihr Schlangenbrut“, tituliert er sie, „wer hat euch denn gelehrt, dass ihr dem kommenden Zorngericht entkommen könnt? Bringt Frucht, die eure Umkehr zeigt, und meint nicht, ihr könntet sagen: Wir haben ja Abraham als Vater.“

Da geht es handfest zur Sache, da geht Johannes ins Gericht mit denen, die sich geistlich „auf den Vater Abraham“ und damit auch „auf den Vater Abrahams“ berufen – sich selbst aber eher außen vor lassen. „Bringt Frucht“ meint doch ganz klar: „Ihr, bringt ihr Frucht!“

» Bringt Frucht hervor,
die eure Umkehr zeigt,
und meint nicht, ihr könntet sagen:
Wir haben Abraham zum Vater. «
Mt 3,8f

Abgehoben: Der Neuanfang im Hause David

So ganz anders klingt die Verheißung des Friedens nach der Zerstörung des davidischen Königtums. Das wächst ein kleiner Zweig, ein „Reis“ aus dem Baumstumpf Isais (des Vaters des König David) hervor, geistbeseelt und geistbegabt mit dem Geist der Einsicht, der Weisheit des Rates, der Stärke, der Erkenntnis und der Furcht des Herrn. Der Text Jes 11,1-10 ist zu lang und zu schön, um ihn nur zu zitieren. Aber die Frucht dieses Geschehens für die, die mit diesem Neueinsatz Gottes, mit der erneuten Hinkehr Gottes zu den Menschen, in Berührung kommen, soll genannt werden: „Der Wolf findet Schutz beim Lamm, der Panther liegt beim Böcklein, Kalb und Löwe weiden zusammen, ein kleiner Junge leitet sie. Kuh und Bärin nähren sich zusammen, ihre Jungen liegen beieinander. Der Löwe frisst Stroh wie das Rind. Der Säugling spielt vor dem Schlupfloch der Natter und zur Höhle der Schlange streckt das Kind seine Hand aus. Man tut nichts Böses und begeht kein Verbrechen auf meinem heiligen Berg, denn das Land ist erfüllt von der Erkenntnis des Herrn, so wie die Wasser das Meer bedecken.“ (Jes 11,6-9)

Eine ziemlich abgehobene Vorstellung von Zukunft, die mit dem Erscheinen des Nachfolgers des König David zu tun hat und nicht auf Bekenntnis von Sünden oder Zugehörigkeit zu einem Volk oder zu einer Kirche zu tun hat.

Und doch – der Advent ist die Zeit, in der nicht nur die Menschen aus Jerusalem und ganz Judäa, nicht nur die Pharisäer und Sadduzäer, sondern auch Sie und ich uns dieser prophetischen Utopie zuwenden können. Umkehr ist der Menschen Reaktion auf die erneute Hinkehr Gottes zu den Menschen. Aber – wie geht das?

» Der Mensch wird zum homo quaerens intellectum: zum Lebewesen, das nach Einsicht sucht, um den Bestand seiner von ihm wahrgenommenen Welt zu erhalten. Darin hat er seine Einzigartigkeit, um die ihn kein anderes Lebewesen, selbst wenn es dies könnte, beneiden würde. «
vgl. Gerhardt, Volker (2019): Humanität. Über den Geist der Menschheit, Nördingen, 52.

Eine Kultur der Hinkehr

Das Stichwort der Humanität, das Nachsinnen über den Geist der Menschheit soll die Predigten in der Advents- und der Weihnachtszeit begleiten.[1] Im Nachdenken über den Menschen von den Anfängen der Philosophie in Griechenland bis in die Gegenwart wurden immer wieder die dem Menschen zukommenden Besonderheiten betont. Die Philosophie spricht von Epitheta, von adjektivischen Beiworten, die das Wesen des Menschen unter einer bestimmten Hinsicht beschreiben. Diese Beiworte oder „Begriffe sind wie Spiegel, in denen der Mensch sich seiner Wirkung auf sich selbst zu versichern sucht.“[2]

Der Mensch wird sich selbst zur Frage, zum homo quaerens intellectum, zum Lebewesen, das nach Selbstverständnis und Einsicht sucht. Oder: Der Mensch sei, so Aristoteles, ein zoon logon echon, ein Lebewesen, dass Sinn, Verstand, Geist habe. Diese Zuschreibung wurde ins Lateinische mit animal rationale geliefert; der Berliner Philosoph Volker Gerhardt übersetzt diese Besonderheit mit „das Tier, das seine Gründe hat“[3]. Die Zuschreibung animal rationale wird oft um das animal sociale und den homo publicus ergänzt, das den Menschen als soziales Wesen n den Blick nimmt, der Gemeinschaft, Öffentlichkeit im besten Sinne braucht. Die Liste der Homo-Epitheta, der Zuschreibungen des Menschen, ist um vieles länger[4], ich möchte nur noch das animal symbolicum (den Menschen, der sich Symbole schafft, in Symbolen denken und leben kann) und den homo negans (den unterscheidenden und sich abgrenzenden Menschen) nennen.

Ein erstes kleines geistliches Adventsbrot, das Sie nähren kann, wäre, sich an einen Überblick zu wagen, Ob Sie diese – oder andere – philosophische Epitheta in sich vorfinden, entdecken, wahrnehmen können? Wenden Sie sich doch einmal hin zu diesen Epitheta, und ob Sie bei Ihnen und nur für Sie selbst gegenwärtig und erfahrbar sind. Wie steht es um Sinn, Verstand und Geist? Wie Gründe und Begründungen für Ihr Handeln? Wie um die kleinere oder größere Öffentlichkeit, um Ihre „Sozialität“? Wie um Symbolik in Ihrem Leben, im Sprechen, in Gesten, im Sich-zu-verstehen-geben und im Sich-Verstehen?

Und ein zweites kleines geistliches Adventsbrot, das Sie nähren kann, sind die Bildworte des Jesaja, die Sie lesen können wie alttestamentliche Epitheta, Zuschreibungen auf das Menschliche. Wieder gilt: Wenden Sie sich doch einmal hin zu diesen alttestamentlichen Bildern, so als seien es Epitheta. Sind Sie bei Ihnen und nur für Sie selbst gegenwärtig und erfahrbar sind. Wie steht es um den Wolf in Ihnen, um das Lamm, um Panther und Böcklein, um Kalb und Löwe, um das Kind in Ihnen und um die Natter in ihrer Höhle? Kommen Sie in Kontakt mit ihnen? Sind sie greifbar, sichtbar – verdrängt oder abgestoßen? Dürfen sie zu Wort kommen an diesem Adventssonntag?

» Die Begriffe sind wie Spiegel, in denen der Mensch sich seiner Wirkung auf sich selbst zu versichern sucht. «
Gerhardt, Volker (2019): Humanität. Über den Geist der Menschheit, Nördingen, 118.

Eine Kultur der Umkehr

Und jetzt kommt der Ruf des Johannes in den Blick. Homo quarens intellectum – der Mensch, der Verstehen sucht: gerne möchte ich Ihnen ein Verständnis von Umkehr anbieten, das mich lange begleitet. „Umkehr“ setzt als erstes voraus, dass ich weiß, wer ich bin – gerade jetzt – und was bzw. wer alles in mir „am Werk“ ist. Ich möchte mich beschreiben können – vielleicht als homo symbolicum, als homo publicus, als homo ludens, vielleicht im Bild des Schafes (als Lamm mich zu sehen verbietet das Alter), mal als Wolf, mal als Kind, und ich kenne die Natter.

Als wären es Gefährtinnen und Gefährten von mir – und nicht Gefährtinnen und Gefährten in mir – kehre ich um und gehe zum Jordan hin, um mich mit all diesen Gefährtinnen und Gefährten taufen zu lassen, um dadurch eine Ausrichtung auf – ja, auf was? – das Himmelreich? den Willen Gottes? die Gefährtenschaft mit Jesus Christus – zugesagt zu bekommen. Und vor allem, um einer Art Hinrichtung der Selbstsicherheit im Sinne eines „wir haben ja Abraham zum Vater“ zu entgehen.

Umkehr heißt nicht, alles anders oder neu zu machen! Umkehr heißt wissen was ist, wissen, wer ich bin, und all das auf Jesus Christus hin auszurichten. Das Kriterium der gelungenen Umkehr und der geglückten Hinwendung benennt Johannes im heutigen Evangelium: „Bringt Frucht hervor, die eure Umkehr zeigt.“

Manchmal ist es wirklich leicht. Um von „furchtbar sein“ zum „fruchtbar sein“ zu kommen, muss man nur einen einzigen Buchstaben um eins nach vorn holen. Kleinschrittig. Gönnen Sie diese kleinen Schritte all dem, das in Ihnen am Werk ist, und all denen, die in Ihnen wirken. Wenden Sie sie (und sich) hin zu Christus, und bringen Sie sie (und sich) in Verbindung mit Christus.

Amen.

Köln 02.12.2022
Harald Klein

[1] Grundlage dafür ist Gerhardt, Volker (2019): Humanität. Über den Geist der Menschheit, München.

[2] a.a.O., 118.

[3] a.a.O., 66.

[4] Eine Übersicht finden Sie auf [online| https://de.wikipedia.org/wiki/Liste_der_Homo-Epitheta [29.11.2022].