Aschermittwoch – Das Weilen im Heiligen

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„Nun ist sie da, die rechte Zeit…“

Diejenigen, die mit dem Stundengebet vertraut sind, kennen den Hymnus für die Österliche Bußzeit, der mit den Worten „Nun ist sie da, die rechte Zeit, die Gottes Huld uns wiederschenkt…“ beginnt. In den Fußnoten finden Sie den Text dieses Hymnus[1] zum Nachlesen, vielleicht auch für das eigene Beten.

Nun ist sie da. Die rechte Zeit. Die Zeit der Umkehr – Sie können dieses Wort gerne austauschen, vielleicht klingt „Zeit des Innehaltens“, „Zeit der Neuausrichtung“, „Zeit der Neuorientierung“ oder sogar „Zeit des Verlassens, des Neuanfangs“ für Sie besser, alle sind sie lebensweltlicher mehr verortet als das Wort „Umkehr“.

Egal, welchen Namen Sie der Zeit geben, die „nun da“ ist, der Zeit, die der Hymnus „die rechte Zeit“ nennt, die Gott uns wieder (mal) schenkt: Wenn es eine Zeit ist, in der es „ums Leben“ geht, dann sind Sie auf der richtigen Spur. Und wieder gilt wie oben: wenn Ihnen das „ums Leben“ zu theatralisch klingt, spielen Sie mit den Worten. Es kann genauso gut „ans Leben“, „ins Leben“, um „Hinwendung zum Leben“ oder um „Abkehr von allem dem Leben Feindlichen“ gehen. Dass Ihr Herz sich erneuere, davon singt der Hymnus in der zweiten Strophe, das ist das Ziel der Fastenzeit. Und dieses Ziel erreichen heißt, den Übergang zum unendlichen Leben zu finden, zum „Pascha, das kein Ende kennt“.  Wie gesagt: Spielen Sie mit den Worten.

» Die unbestreitbar wahr anmutende Wirklichkeit unserer gewohnten Haltungen verstellt uns den Blick für die Lebensmöglichkeiten, die unser Leben wohltuend erneuern könnten.«
Hammel, Stefan (2013): Loslassen und Neues ins Leben lassen, Freiburg, 145.

Die ersten Tage: Sich einrichten in der Zeit und auf die Zeit

Damit die vierzig Tage bis Ostern – genauer: die Tage ohne die Sonntage bis zum Abend des Gründonnerstags – eine Analogie zu den vierzig Jahren des Wüstenzuges Israels im Alten Testament sein können, müssen sie an einem Mittwoch, dem Aschermittwoch, beginnen. Wenn Ihnen diese „Analogie“ fremd ist – nutzen Sie die Tage bis zum 1. Sonntag der Fastenzeit zum „Einrichten“, innerlich wie äußerlich. Das Evangelium gibt Tipps. In dem Ausschnitt der Bergpredigt, der heute als Evangelium gelesen wird, sagt Jesus dreimal „Wenn du…“ – wenn Du Almosen gibst, wenn Du betest, wenn du fastest. Und dann kommt das „dann mach es nicht wie…“ Umkehr, Abkehr, Änderung!

Jesus gibt Tipps. Mich spricht besonders der kleine Satz „Wenn Du betest, geh in Deine Kammer, schließ die Tür zu; dann bete zu Deinem Vater, der im Verborgenen ist! Dein Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es Dir vergelten!

Sich einrichten, das kann heißen, sich Zeiten und Orte, z.B. eine „Kammer“ am Morgen, zu reservieren, in denen Sie das Ihrige – über Almosen, Beten, Fasten hinaus – bedenken, betrachten, um zu erspüren, ob es Ihrem Leben dient, und ob es dem Leben derer um sie herum dient. Das das Leben Fördernde wachsen lassen, sich abkehren von allem, was das Leben beschneidet – das kann in der stillen Kammer geschehen. Sie haben drei Tage, gerne auch mehr, um sich diese innere und äußere „Kammer“ herzurichten, um sich einzurichten.

» Im Gehen, Stehen, Sitzen oder Liegen entfalte man eifrig die bedingungslose Liebe: Dies nennt man Weilen im Heiligen. «
Khema, Ayya (2014): Nicht so viel denken, mehr lieben, Buddha und Jesus im Dialog, Uttenbühl, 4. Aufl., 11.

Das Weilen im Heiligen

Dieses Bedenken, Betrachten, Erspüren möchte ich mit Blick auf die Lehrrede des Buddha über die Liebende Güte gerne als das Weilen, das Verweilen im Heiligen bezeichnen. In der Rede heißt es gegen Ende: „Im Gehen, Stehen, Sitzen oder Liegen entfalte man eifrig die bedingungslose Liebe: Dies nennt man Weilen im Heiligen.“ Da geht der Buddha über Jesus hinaus. Das Beten geschieht nicht nur in der stillen und abgeschlossenen Kammer, sondern auch im Gehen, Stehen und Liegen.

Der Rückzug in die Kammer ist der Ort, das Beten, das Bedenken, Betrachten, Erspüren einzuüben, es ist so etwas wie eine Schule des Betens, in der Sie die Grammatik des Betens lernen können. Der Ort aber ist draußen, ist die Straße, sind die Menschen, die Dörfer, die Städte. Die bedingungslose Liebe, die der Buddha genauso wie Jesus kennen, entfaltet sich hinter der Tür in der stillen Kammer vielleicht in Bildern und wachsenden Haltungen, gelebt wird dieses „Weilen im Heiligen“ vor der Tür, mitten in der Welt.

In einem zugegebenermaßen flotten Ton sage ich mir selbst (und wage es Ihnen zu sagen): Nun ist sie da, die rechte Zeit, also ab in die Kammer, und dann raus in die Welt – um hier wie dort mehr die bedingungslose Liebe zu entfalten, und um im Heiligen zu weilen.

Amen

Köln 24.02.2022
Harald Klein

[1] „(1) Nun ist sie da, die rechte Zeit, die Gottes Huld uns wieder schenkt. / Nun ist er da, der Tag des Heils, erfüllt von Christi hellem Licht. // (2) Jetzt soll sich unser ganzes Herz durch Fasten und gebet erneu’n, / und durch Entsagung werde stark, was müde ist und schwach und krank. // (3) Lass uns, o Herr, mit Geist und Leib das Werk der Buße freudig tun, / dass wir den Übergang besteh’n zum Pascha, das kein Ende kennt. // (4) Dir, höchster Gott, Dreifaltigkeit, lobsinge alles, was da lebt. / Lass uns durch deine gnade neu, dich preisen durch ein neues Lied. // Amen. (Text nach „Nunc tempeus acceptabile, spätestens 10. Jahrhundert, Übersetzung Marie Luise Thurmair, Stundenbuch 1978)