Ein Aschermittwoch in den 80er Jahren
Da steht ein Pfarrer an Aschermittwoch in der Kirche und liest nach dem Evangelium aus dem „Direktorium“[1] vor, was in der Fastenzeit geboten und was vor allem verboten ist. Das geschah in den 80er Jahren, und mir als jungem Studenten der Theologie war einfach nur schlecht. Die Haltung dahinter: „Wir, die Kirche, lesen Euch, den Gläubigen, vor, was ihr jetzt in der Fastenzeit zu tun und (vor allem!) zu lassen habt, damit ihr bei Gott und seinem Sohn Wohlgefallen erlangt, mehr noch, damit ihr auf diesen Jesus hinlebt, euch ihm nähert.“
Die „angebotenen (oder zugemuteten) Hilfen“: was darf ich wann essen, was darf ich auf keinen Fall trinken, vor allem: was habe ich zu unterlassen – und ein wenig: was habe ich an mir und anderen hilfreich zu tun. Diesen „Geschmack“ hatte der Aschermittwoch!
Dabei geht leider verloren, dass zwischen „Angebot“ und „Zumutung“ das Wort „Anmut“ eine Brücke zu schlagen vermag!
Das Direktorium Jesu für die Fastenzeit
Jesus weiß das! Er weiß sein „Direktorium“ anders zu den Menschen seiner Zeit zu bringen. Er beginnt im Evangelium scheinbar drohend mit „Hütet euch…“, meint es sicher aber eher ein „Passt auf, dass/wenn …“ Einen Vers weiter wird er konkret: „Wenn du…“ – nicht als „Angebot“, auch nicht als „Zumutung“, sondern als Bild eines „anmutigen“ Lebens, eines Lebens, von dem Leichtigkeit und Charme, Zuwendung und Bejahung ausgeht. Das könnte heute der Geschmack des Aschermittwochs sein. Bei Jesus ist er es!
Er spricht all das an, was in den heutigen „Direktorien“ der Bistümer auch vorkommt, als hätten sie sich an diesen Jesus erinnert, sich auf ihn besonnen. Da ist die Rede vom Almosen, vom Gebet, vom Fasten – und bei all dem spielt das „Tun im Verborgenen“ eine Rolle. Das gilt für das Verbergen nach außen, z.B. nicht auf der Straßenecke, wo die Leute es sehen, beten, sondern in der Kammer, und der Vater, der auch das Verborgene sieht, wird es dir vergelten. Das gilt aber auch für das Verbergen nach innen, z.B. bei der Gabe von Almosen soll deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut – und dein Vater, der das Verborgene sieht, wird es dir vergelten.
Wenn die Fastenzeit verstanden wird als eine Zeit, in der du dein Leben wieder ordnest, ihm eine Struktur gibst, die gott- und menschenwärts ausgerichtet ist, und die nach Inhalten, Werten und Zielen fragt, die dieser einen Richtung – denn es ist nur eine! – entspricht, dann mag Jesu Direktorium recht haben, wenn es um das „außen“ geht. Es wirkt schal und abstoßend, wenn du deine Menschen- und damit deine Gottesliebe nach außen preisgibt, damit die anderen sie sehen. So zerstört sie sich selbst! Und: so zerstörst du dich selbst.
wenn wir uns in schwierigen Zeiten
die Frage stellen würden:
‚Welcher Mythos lebt gerade in mir?
Was ist wirklich die Geschichte
hinter meiner Geschichte, die ich erlebe?
Welcher Bewohner (Archetyp) meiner inneren Welt bestimmt gerade mein Denken und Verhalten? «
Dein Leben als Almosen – wie anders wäre die Welt!
Jesus spricht über Gerechtigkeit der Menschen vor Gott und voreinander. Sein erster konkreter Punkt ist das Almosen. Ein altes Wort – es unterscheidet sich von Spende und von Geschenk. Eine Spende hat ein konkretes Ziel vor Augen, du kannst eine NGO, einen Verein, einen Menschen in seinem Engagement unterstützen, du weißt klar und konkret, wofür du die Spende gibst. Beim Geschenk besteht eine Beziehung zwischen dir und denen, die du beschenkst. Das Almosen liegt dazwischen. Der Beweggrund ist dein Mitleid mit dem Empfänger. Anders als bei der Spende weißt du nicht, was der Empfänger mit dem Almosen macht, und anders als beim Geschenk gibt es beim Almosen keine großartige Beziehung zwischen euch beiden Akteuren.
Wenn Jesus beim Almosen an einen Bedürftigen die Haltung des Mitleids mit dem Fremden oder dem in Not geratenen Nahen anspricht, dann mag es hilfreich sein, wenn die linke Hand nicht weiß, was die rechte Hand tut. Passend dazu: Der Mythos von den beiden Gehirnhälften kennt eine analytische, logische, rationale linke Gehirnhälfte und eine emotionale, kreative, künstlerische rechte Gehirnhälfte. Demzufolge könnte man meinen, Jesu anmutiges Hinweisen auf das Mitleid wohne im Emotionalen, Kreativen, Künstlerischen mehr als im Analytischen, Logischen, Rationalen. [2]
Ganz anders ist es, wenn es um das Almosen an die eigene Bedürftigkeit geht, um die Haltung des Mitleids mit mir selbst, als einem, der sich selbst in Not sieht, der um Besseres weiß, aber den Weg dorthin nicht findet. Du kannst hier auch – etwas neutraler – von Selbstsorge sprechen. Die Fastenzeit ist die „rechte Zeit“, so heißt es im Stundengebet der Kirche“[3], in der sich unser ganzes Herz durch Fasten und Gebet erneuern kann. Da braucht es das Analytische, Logische, Rationale Deines Vermögens im Zusammenspiel mit dem Emotionalen, Kreativen, Künstlerischen. Das kann zu einem anmutigen Leben führen über das Angebot des Lebens und des Lebens als Zumutung hinaus. Ich glaube, das wäre es sicher im Sinne Jesu.
Eine in diesem Sinne anmutiges und zumutendes Angebot dazu kann dir das Bild der Phönixerfahrung[4] sein. Hier geht es um die Mythen, die in dir leben, um Geschichten hinter deiner Geschichte, um Haltungen, um innere Stimmen, die als „Bewohner deiner inneren Welt“ personifiziert werden und die dein Denken und Verhalten bestimmen, die dir mal helfend, mal dich hemmend zur Seite stehen. Anne Vonjahr, die Autorin der „Phönixerfahrung“, schreibt: „Wie anders wäre die Welt und unser Leben, wenn wir uns in schwierigen Zeiten die Frage stellen würden: ‚Welcher Mythos lebt gerade in mir? Was ist wirklich die Geschichte hinter meiner Geschichte, die ich erlebe? Welcher Bewohner (Archetyp) meiner inneren Welt bestimmt gerade mein Denken und Verhalten?‘“[5]
In den Evangelien der Fastenzeit und der Karwoche möchte ich versuchen, mit den Bildern dieses Buches die Evangelien zu deuten. Ich weiß nicht, ob es gelingt, aber versuchen möchte ich es.
Vielleicht kann so ein eigenes „Direktorium“ für die Fastenzeit und darüber hinaus Form gewinnen.
Amen.
Köln, 03.03.2025
Harald Klein
[1] Das „Direktorium“ ist der jährlich erscheinende liturgische Kalender der römisch-katholischen Kirche, in dem die liturgischen Feste, Lesungstexte, Brauchtümer und Besonderheiten für jeden Tag des Jahres festgelegt sind.
[2]. vgl. [online] https://www.ime-seminare.de/blog/was-ist-dran-am-mythos-um-die-linke-und-rechte-gehirnhaelfte/ [03.03.2025]
[3] vgl. Gotteslob 638.
[4] vgl. Vonjahr, Anne (2023): Die Phönixerfahrung. Wie du auf einer magischen Reise deine Schatten heilst und dein wahres Selbst erkennst, 2. Aufl., München.
[5] a.a.O., 17.