Aschermittwoch – Wir sind nicht Staub, wir sind Gold wert!

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Bußzeit – oder: Die Anschauungsweise ändern

Ehrlich gesagt, geht die Österliche Bußzeit in diesem Jahr nicht sehr an mich, geht irgendwie gefühlt an mir vorüber. „Kehrt um zu mir von ganzem Herzen“ – gerade nach einer sehr gefüllten und noch nachwirkenden Adventszeit wüsste ich nicht, wie, ja noch nicht einmal, warum. „Lasst euch mit Gott versöhnen“ – auch hier: in den einfach gestrickten Tagen dank Corona, in den sehr besinnlichen Aktionen, die gerade möglich sind, läuft der Ruf des Paulus bei mir ins Leere. Und der „Vater, der auch das Verborgene sieht“, mag gerne schauen herschauen, er darf sich freuen (vielleicht nicht an mir, aber wenigstens mit mir), was da ist, was da aufbricht, was sich da heilsam fortsetzt.

Ich glaube, dass es bei mir die Auseinandersetzung mit dem Buddhismus, mit dessen Bild vom Menschen und vom Sinn, vom Wert und vom Ziel des Lebens ist, die diese Unaufgeregtheit und diese entspannte Haltung begründen. Ich merke, dass ich auf den gleichen Menschen schaue, auf mich, auf Dich, auf Sie – aber auch, dass meine Anschauungsweise sich geändert hat. Das Bild des Menschen, das Ansehen, dass der Mensch bei mir und für mich, hat sich geändert.

» Die Vermittlung des christlichen Glaubens in den Formeln der Tradition hat ihre Haltbarkeitsgrenze überschritten. «
Halbfas, Hubertus (2018): Kurskorrektur. Wie sich das Christentum ändern muss, damit es bleibt. Eine Streitschrift, Ostfildern, 9.

Aspekte des christlichen Menschenbildes

Ich mache das nur einmal an den liturgischen Texten des heutigen Aschermittwochs fest. Da wird im Tagesgebet gebetet um die Kraft zu christlicher Zucht, damit wir dem Bösen absagen und mit Entschiedenheit das Gute tun. Da ist in der ersten Lesung die Aufforderung zur Umkehr mit ganzem Herzen, mit Fasten, Weinen und Klagen; und Gott wird um Mitleid mit seinem Volk gebeten. Paulus mahnt in der zweiten Lesung die Korinther, dass sie die Gnade Gottes nicht vergebens empfangen. Und Matthäus mahnt im Evangelium davor, eine eher gottlose Frömmigkeit nicht vor sich her zu posaunen, sondern in aller Stille, im Privaten – d.h. im Raum, der der Öffentlichkeit nicht zugänglich ist – in Kontakt mit Gott zu kommen, und dann dem Nächsten so zu beizustehen, dass es im Verborgenen, nur vor den Augen des himmlischen Vaters, geschieht.

Dann die Segnung der Asche. Da heißt es, Gott wolle nicht den Tod des Sünders, sondern dass er sich bekehre und lebe. Und dass wir wissen, dass wir Staub seien und zum Staub zurückkehren. Und gebetet wird um die rechte Gesinnung und darum, dass wir Ostern mit geläutertem Herzen empfangen.

» Der Buddha ging von der Vollkommenheit eines jeden Menschen aus. Er war davon überzeugt, dass wir alle ursprüngliches Gutsein in uns tragen. «
Mannschatz, Marie (2019): Vollkommen unvollkommen. Zehn Qualitäten, die das Beste in uns zum Vorschein bringen, München, 9.

Mit Verlaub: Ich mag und ich kann es nicht mehr hören, und ich mag und kann so auch nicht mehr predigen. Die Dynamik, die hinter solchen Liturgien und Gebeten steckt, ist: Der Mensch mag mal gut geschaffen worden sein, aber das war mal im Paradies. Du bist gezeichnet von der Erbsünde, die zwar in der Taufe entkräftet wurde, aber dennoch irgendwie verdorben, irgendwie schlecht, erst mal und zuerst bist Du Sünder und Sünderin, letztlich Staub und zu nichts nutze und daher ein Nichtsnutz. Aber Gott sei Dank – im wahrsten Sinne des Wortes – bist Du gerade deswegen von Christus erlöst. Nun sei aber auch dankbar, und Gnade Dir Gott, wenn Du wieder beginnst, zu nichts nutze zu sein, aber halt: da gibt es ja den Aschermittwoch. Da kannst Du wieder umkehren. Eigentlich ist der Aschermittwoch der Tag, an dem Ernst Neger sein „Heile, heile Gänschen“ singen könnte, denn, so sagt die Liturgie: Es wird ja wieder gut.

» Diesen menschlichen Kern verglich der Buddha mit einem Goldklumpen, der seit unzähligen Daseinszyklen verkrustet und verborgen in uns schlummert. Den Goldklumpen in uns und anderen zu erkennen, ihn freizulegen und zu polieren, darum geht es in der buddhistischen Lehre. «
Mannschatz, Marie (2019): Vollkommen unvollkommen. Zehn Qualitäten, die das Beste in uns zum Vorschein bringen, München, 9.

Aspekte eines buddhistischen Menschenbildes

Ähnlich und doch anders sieht Buddha den Menschen. Statt „war“ und „wird“ geht es aber um das „ist“, um die Gegenwart. Buddha „ging von der Vollkommenheit der Menschen aus. Er war davon überzeugt, dass wir alle ursprüngliches Gutsein in uns tragen. Im Kern sind wir erleuchtete Essenz, reines Licht, absoluter Frieden. Unzerstörbar. Diesen menschlichen Kern verglich der Buddha mit einem Goldklumpen, der seit unzähligen Daseinszyklen bis zur Unkenntlichkeit verkrustet und verborgen in uns schlummert. Den Goldklumpen in uns und anderen zu erkennen, ihn freizulegen und zu polieren, darum geht es in der buddhistischen Lehre.“ [1]

Um die eigenen Fehler, Schwachstellen, auch Sünden und Gottlosigkeiten wissend, habe ich es satt, mir Jahr für Jahr mein Sündersein vorhalten zu lassen und mir Asche aufs Haupt streuen zu müssen. Ich möchte von mir aus, mit eigenen Kräften, unterstützt von Gefährtinnen und Gefährten, mich auf die Reise zu meinem inneren Goldklumpen machen. Und ich möchte anderen auf ihrer Reise dabei helfen. „Du bist ein Schatz“ klingt doch anders als „Du bist ein Sünder!“ Genauso wie „Gedenke, dass Du Gold wert bist“ anders klingt als „Gedenke, dass Du Staub bist und zum Staube zurückkehrst.“ Was wäre das für ein Zeichen, wenn wir uns gegenseitig nicht mit Asche, sondern mit Goldstaub bezeichnen würden, weil wir das Beste in uns miteinander, voreinander und füreinander suchten?

» Die zehn Vollkommenheiten sind innere Eigenschaften, die wir durch bewusstes Üben zum Leuchten bringen können. «
Mannschatz, Marie (2019): Vollkommen unvollkommen. Zehn Qualitäten, die das Beste in uns zum Vorschein bringen, München, 10.

Der Weg der zehn Vollkommenheiten

Wir haben unsere Bußordnung für die Fastenzeit. Eines meiner gruseligsten liturgischen Erlebnisse in einer großen katholischen Gemeinde in der damaligen DDR in den 1980er Jahren war, als der Pfarrer dort anstelle der Predigt an Aschermittwoch diese Bußordnung aus dem Direktorium verlas – eine amtliche Bekanntmachung, was man in der österlichen Bußzeit zu tun und vor allem zu unterlassen habe als Eröffnung der Vorbereitung auf den Weg, den Goldklumpen in mir zum Glänzen zu bringen. Unmöglich!

Ich nehme für „meine“ östliche Bußzeit sicher keine Bußordnung aus einem Direktorium zur Hand. Ich freue mich über eine Anleihe beim Buddhismus, die aber nicht fern von unserem christlichen Weg ist. Das, was im Christentum Tugend, also Kraft, Befähigung und Weg zum Tun des Guten, ist, heißt im Buddhismus „Vollkommenheiten“ oder „Paramita“[2]. Dieses Wort steht für „zum jenseitigen Ufer gelangen“, und gemeint ist das Ufer des freien Geistes, der nicht mehr von Hindernissen, inneren Kämpfen und Verwicklungen belastet ist; im Christentum würden wir von erlöstem Dasein, von Leben im Heiligen Geist oder von Erfahrung der Auferstehung reden.

Diese zehn (in manchen Traditionen sechs) Vollkommenheiten sind Großzügigkeit, Energie, Entschiedenheit, Wohlwollen, nichtverletzendes Handeln, Wahrhaftigkeit, Geduld, Weisheit, Gelassenheit und Einfachheit/ Loslassen.

Ich biete Ihnen an, an diesem Aschermittwoch nicht so sehr auf die Asche, auf den Staub, sondern auf den in Ihnen liegenden Goldklumpen zu schauen. Deuten Sie die Asche um auf Goldstaub, den Ihnen Gott selbst auflegt, damit Sie motiviert sind, sich gerufen wissen, diesen Goldklumpen zu erkennen, ihn freizulegen und zu polieren, miteinander, voreinander, füreinander. Ich werde auf Ostern zu die Evangelien lesen, aber Grundlage der Meditation und der Predigt sollen die „Vollkommenheiten“ und ihr Ort, ihr Sitz in meinem Leben sein. Bußzeit als Zeit des Einübens nicht in die „Vollkommenheit“ – das wäre anmaßend – aber mit den Vollkommenheiten, auf sie hin, das soll es sein. Und vielleicht höre ich dann an Ostern von Gott – oder einem Boten, einer Botin – her das „Du bist ein Schatz“, weil der Goldklumpen in mir auf zehnfache Weise zum Leuchten kommt. Bedenke, Mensch, Du bist Gold wert!

Amen.

 

Köln 16.02.2021
Harald Klein

[1] Mannschatz, Marie (2019) Vollkommen unvollkommen. Zehn Qualitäten, die das Beste in uns zum Vorschein bringen, München, 9.

[2] Vgl. zum folgenden a.a.O., 9f.