Hören auf die „inneren Bewohner“

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Zwischen „Dead Man Walking“ und „You never walk alone“

Ersteres ist ein Film von 1995, der sich mit der Todesstrafe auseinandersetzt.[1] Letzteres ist ein Song von 1963, dargeboten von Gerry and the Peacemakers.[2] Mit dem Palmsonntag beginnt die sog. „Heilige Woche“, die Geschehnisse um das Leben und Sterben Jesu und wie es dabei um seine Jünger steht. Die Geschehnisse sind dir sicher zumindest in groben Zügen bekannt. Irgendwie bewegst du dich zwischen „Dead Man Walking“ und „You never walk alone“, wenn du in deinen Gedanken an die Beschreibungen der Ereignisse im Leben Jesu und seiner Jünger in diesen Tagen herangehst, sei es musikalisch in oder mit einer Passion, sei es in einer Verfilmung, oder sei es – ganz klassisch – im Besuch eines Gottesdienstes.

„Dead Man Walking“ – natürlich wird es um den Leidensweg Jesu gehen, der dir, der uns zur Betrachtung, zum Einfühlen, zum inneren Mitgehen vorgetragen oder vorgelegt wird. Aber das „You never walk alone“ möchte ich nicht so sehr auf Veronika, auf die weinenden Frauen, auf Simon von Cyrene, auf die beiden Marias und auf Johannes unter dem Kreuz oder auf Josef von Arimathäa beziehen – für alle Fälle: das sind alles Menschen, die mitgehen mit Jesus auf seinem Kreuzweg.

Viel spannender ist für mich die Frage, wer alles mit mir – nein: in mir – mitgeht, wenn ich lesend oder meditierend diesen Weg Jesu betrachte, oder wer dich innerlich begleitet, führt.

» Wir glauben ja an allerlei, wir glauben sogar an viel zu viel – wir glauben an die Macht, wir glauben an uns selbst, wir glauben an andere Menschen, wir glauben an die Menschheit. Wir glauben an unser Volk, wir glauben an unsere Religionsgemeinschaft – wir glauben an neue Ideen – aber wir
glauben über dem allem an den Einen nicht – an Gott. «
Bonhoeffer, Dietrich (2015): London 1933-1935, DBW 13, Gütersloh, 414f.

Es geht ab Palmsonntag – und bis in den Ostermontag – um das, was Anne Vonjahr in ihrem Buch von der Phönixerfahrung[3] „innere Bewohner“ nennt und damit den tiefenspychologischen Terminus Technicus „Archetyp“ umschreibt. Roberto Assagioli würde in seiner Psychosynthese eher von „Teilpersönlichkeiten“ sprechen.[4] Und der Hamburger Psychologe und Kommunikationsforscher Friedemann Schulz von Thun arbeitet mit dem Bild des „Inneren Teams“.[5]

» Und dieser Glaube an Gott würde uns nämlich den Glauben an alle die anderen Mächte nehmen, unmöglich machen. Wer an Gott glaubt, der glaubt in dieser Welt an nichts anderes, denn er
weiß, es zerbricht und vergeht, aber er braucht auch an nichts 'anderes' zu glauben, denn er hat ja den, von dem alles kommt und in dessen Hände alles fällt. «
Bonhoeffer, Dietrich (2015): London 1933-1935, DBW 13, Gütersloh, 414f.

All diese Modelle leugnen nicht die Rolle der Vernunft und der Emotion bei den Wahrnehmungen dessen, was um dich herum geschieht. Sie nehmen aber die Aspekte dessen, was in dir drinnen geschieht, ernst. Diese Anteile integrieren sie in den Wahrnehmungs- und Deutungsprozess und fragen nach der Stärke, der Kraft, auch nach der Quelle dessen, was da Wahrnehmung und Deutung beeinflusst. Es sind diese „inneren Bewohner“, diese „Archetypen“, diese „Teilpersönlichkeiten“ und diese Mitglieder des „Inneren Teams“, die dich in deinen Unterscheidungen und deinen Entscheidungen, in deinen Urteilen und Vorurteilen und dann vor allem im Handeln, im Umsetzen dessen, was Du entschieden hast, hindern oder umgekehrt: motivieren.

» Wir kennen die Siege, die ein Mensch erringt, der wirklich an sich selbst glaubt, der an irgendeine Macht oder Idee dieser Erde glaubt, so daß er sich ihr gänzlich ergibt und lebt, er vermag Übermenschliches, Unmögliches – wie viel größere Siege müßte erst der erringen, dessen Glaube nicht nur ein subjektives Phantom, sondern der lebendige Gott selbst ist. «
Bonhoeffer, Dietrich (2015): London 1933-1935, DBW 13, Gütersloh, 414f.

Alle diese „inneren Bewohner“ sind in sich erst einmal indifferent. Sie haben eine je eigene „Botschaft“ und nehmen in der „Phönixerfahrung“, der Transformation eines „verbrannten“ Lebens in ein „neues“ Leben – nichts anderes beschreiben Kreuzweg, Tod und Auferstehung Jesu – ihren ganz eigenen Platz, ihre ganz eigene Rolle ein.[6] Ihre Botschaft kann sich in dir, für dich und für die um dich herum als Lichtseite und ebenso als Schattenseite entwickeln. Es kommt ganz darauf an, wie dieser „innere Bewohner“ in dir wirken darf, kann, soll.

» Die Wunder Jesu, die Wirkung Jesu, sie waren ja nichts als sein Glaube. … Glauben heißt bedingungslos trauen und wagen .«
Bonhoeffer, Dietrich (2015): London 1933-1935, DBW 13, Gütersloh, 414f.

So möchte ich in den kommenden Tagen zwischen „Dead Man Walking“ und „You never walk alone“ mit Hilfe der „44 Archetypen für dein inneres Licht“[7] versuchen zu identifizieren, welche „inneren Bewohner“ ich da in mir entdecke, und dann davon erzählen. Ich möchte sie dir anbieten, ob du die gleichen oder ähnliche oder ganz andere „Teilpersönlichkeiten“ oder Mitglieder deines „Inneren Teams“ entdeckst, die in den Extremformen von Leben und Sterben – und Auferstehen – in dir präsent sind, sei es als Motivation, sei es als Hemmnis.

Eine gute Zeit dir, und gute Entdeckungen in der „Heiligen Woche“.

Köln, 09.04.2025,
Harald Klein,

im Gedenken an
den heutigen 80. Jahrestag der Ermordung Dietrich Bonhoeffers,
der bis dahin noch nicht getöteten „Verschwörers“ des Attentats vom 20. Juli 1944,
die Militärs Wilhelm Canaris, Ludwig Gehre und Hans Oster,
die beiden Juristen Karl Sack und Theodor Strünck
alle im KZ Flossenbürg,
an die beiden ebenso heute vor 80 Jahren ermordeten
Hans von Dohnanyi, Bonhoeffers Schwager, in Sachsenhausen
und den in Dachau ermordeten „Sonderhäftling des Führers“, Georg Elser.

[1] zum Inhalt vgl. [online] https://de.wikipedia.org/wiki/Dead_Man_Walking_–_Sein_letzter_Gang [09.04.2025].

[2] du kannst ihn dir samt Lyrics anhören auf [online] https://www.google.com/search?client=safari&rls=en&q=You+never+walk+alone&ie=UTF-8&oe=UTF-8#fpstate=ive&vld=cid:418ac0bc,vid:kOHua5B_nqc,st:0&wptab=si:APYL9btOMaxI48tKjOYdlPW3RyBplN8gAQzBdTKkB2IKbJ7kM9T8RmW6e56f40nA_2X21d9RNPUI0fKVagBDW4FYSN-OFyRp81_nNCFyOo5ZX5XwB-mngWUdzaDmSbDPubWqT-c7NbIiM4SMvRDjSkUP6zyaJOS9WSGPEf4J2hik-IYI6iCvLABrkQNJ2GewcHkxBRz5DuUczAMOILP8kD46Pymx_NaO9w%3D%3D [09.04.2025].

[3] vgl. Vonjahr, Anne (2023): Die Phönixerfahrung. Wie du auf einer magischen Reise deine Schatten heilst und dein wahres Selbst erkennst, München.

[4] vgl. [online] https://de.wikipedia.org/wiki/Psychosynthese [09.04.2025].

[5] vgl. [online] https://de.wikipedia.org/wiki/Psychosynthese [09.04.2025].

[6] vieles davon findets du in meinen „Auf links gedreht“- Texten der diesjährigen Fastenzeit.

[7] vgl. Vonjahr, Anne (2024): Die Phönixkarten. 44 Archetypen für dein inneres Licht. Anleitungen und Deutungen, Königsfurt.