Das Selbstbewusstsein Jesu

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Die Antrittsrede Jesu

Die Zusammenstellung der heutigen Schrifttexte ist wieder einmal spannend. Die alttestamentliche Lesung bietet die Berufung des Propheten Jeremia an. In der neutestamentlichen Bahnenlesung kommt das Hohelied der Liebe zu Gehör, und das Evangelium ist die Fortsetzung der Antrittsrede Jesu, deren Beginn – der Hinweis auf das Schriftwort des Jesaja, das sich in Jesus erfüllt habe – das Evangelium des letzten Sonntags war.

Ich schlage Ihnen vor, in der Weise der ignatianischen Schriftbetrachtung dem Text des Evangeliums nachzuspüren und das eine oder andere erläuternde Wort aus den beiden anderen Schriftlesungen deutend dazu zu nehmen.

Zuerst der Beifall…

Ich stelle mir die Szene in der Synagoge von Nazareth vor, sehe Jesus, der sich in der Zeit in der Wüste seiner Berufung sicher geworden ist und manchen Tanz mit dem Teufel getanzt hat. Aus der Wüste, aus der Versuchung kommend, lässt Lukas ihn im vierten Kapitel nach Galiläa zurückkehren, wo er sehr selbstbewusst predigt und gehörig Anerkennung findet. Schließlich gelangt er in die Synagoge von Nazareth, seinem Heimatort. Anders als der zögernde Jeremia in der alttestamentlichen Lesung tritt er auf. Das „Wohin ich Dich auch sende, dahin sollst Du gehen“, das Gott dem zögerlichen Jeremia sagt, hat Jesus schon in der Wüste gehört, besser vielleicht erfahren, verstanden, vielleicht auch durchlitten. Hier in Nazareth klingt es im Vergleich mit Jeremia ganz anders bei ihm: „Heute hat sich das Schriftwort, das Ihr gehört habt, erfüllt!“ Ich stelle es mir vor wie bei einer Primiz, oder, wie wenn ein Gewinner des Wintersports oder ein Profifußballer in sein kleines Dorf heimkehrt. Wow, einer von uns, und wie der reden, spielen, handeln kann. Jesus findet Beifall. „Banging in the sun of others“ nennt man das in der Sozialpsychologie. Ein wenig Ruhm von dem, dem man da zujubelt, fällt auch auf die, die im gleichen Ort leben, die ihn schon von klein auf kennen, die es schon immer gewusst haben: Dieser da ist etwas Besonderes. Erinnern Sie sich noch, da war mal etwas mit „Wir sind Papst!“

… dann die Wut

Aber dann: Der, der doch „einer von uns“ ist, der liest uns mächtig die Leviten. Der ist so anders, als wir es uns vorstellten, der tritt so ganz anders auf. Der, den sie in Nazareth als Sohn Josefs kannten, beginnt, ihnen etwas entgegenzuhalten. Und dann das heftige Wort: „Kein Prophet wird in seiner Heimat anerkannt!“ Nicht nur, dass Jesus den Menschen aus Nazareth in der Synagoge einen Spiegel ihres Verhaltens vorhält – nach der Lesung aus dem Korintherbrief etwas, in dem man nur rätselhafte Umrisse erkennt. Das Schlimmste scheint zu sein, dass Jesus so ganz anders ist, als sie es sich wünschten. Er fällt aus ihren Bildern und Erwartungen heraus. Jesus vermag das, was er in Kafarnaum wirkte, nicht in Nazareth zu wirken, nicht, weil er nicht wollte, sondern weil die Menschen seiner Heimatstadt dies nicht zuließen, dafür nicht bereit seien. Nicht das Wissen, zu „Israel“ zu gehören, sei entscheidend, sondern die Größe des Herzens, des Vertrauens auf die Barmherzigkeit Gottes. Jesus verwehrt einerseits den Menschen seiner Heimat das Recht, sich in und an seiner Nähe zu „sonnen“, sich auf ihn als eines Sohnes ihrer Stadt zu beziehen; er zeigt andererseits den Menschen in der Synagoge auch, dass ihnen das Entscheidende fehlt, das, was die Bahnenlesung des Paulus uns anbietet: die Liebe. Prophetisch reden ohne Liebe, Glaubenskraft, um Berge damit zu versetzen, ohne Liebe – das ist nichts wert! Wieder muss ich an „Wir sind Papst!“ denken. Jesus provoziert Wut, und ich sehe beinahe vor mir, wie sie ihn aus der Synagoge stoßen und wie sie ihn auf eine Höhe hinaufbringen, eher hinauftreiben. Gefesselt, in Ketten, von einer Menschenmenge eingeschlossen, ich weiß es nicht. Aber Jesus lässt es zu, es ist ein wenig wie sein erster Kreuzweg.

Das Selbstbewusstsein Jesu

Und dann der eine Satz am Ende: „Jesus aber schritt mitten durch die Menge hindurch und ging weg.“ Was ist denn da passiert? Erst die Menge, die aufspringt, die Jesus aus der Stadt hinaustreibt und ihn an den Abhang des Berges bringt, auf dem ihre Stadt steht, um ihn hinunterzustürzen. Und jetzt, zumindest stelle ich mir das vor, die schweigende Menge, die sich wie von Geisterhand geführt in zwei Hälften trennt, und durch die Jesus schweigend hindurchgeht. Mucksmäuschenstill stelle ich mir diesen Abgang Jesu vor. Und das einzige, was mir hilft zu verstehen, was da geschieht, ist die Vermutung des Aufblitzens eines Selbstbewusstseins Jesu, das alle und alles zum Schweigen bringt. Eine innere Autorität, die Jesus in sich selbst hat und die nach außen wirkt. Eine Ausstrahlung, die deutlich zeigt: Ihr Autoritäten, ihr Gebildeten, ihr Menschen von Nazareth, bis hierher, und nicht weiter.

Ich vermute, es ist die Autorität, die in der Berufung des Jeremia beschrieben ist. “Wohin ich Dich auch sende, dahin sollst Du gehen, und was ich Dir auftrage, das sollst Du verkünden. Fürchte Dich nicht vor ihnen, denn ich mit Dir, um Dich zu retten.“

Es geht in der Berufung und in der Sendung Jesu, es geht in der Berufung und in der Sendung zum Christsein nicht darum, Beifall zu bekommen oder Wut zu provozieren. Es geht darum, Gottes Wort im Mund zu tragen, sich gesendet zu wissen und in der Liebe, die Paulus besingt, zu einem Selbstbewusstsein, zu einem Selbststand zu kommen, der durch nichts und niemand außer durch Gott selbst niedergemacht werden kann. Mit diesem Selbstbewusstsein, in diesem Selbststand verkünden, den applaudierenden wie den wütenden Massen zum Trotz, das bewundere ich an diesem Sonntag bei Jesus in Nazareth.

Oberhof/Thüringen 03.02.2019
Harald Klein