Byung-Chul Han (2021): Undinge. Umbrüche der Lebenswelt, Berlin

  • Anstößig - Darüber lohnt es zu reden
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Um was es geht

In seinem 2021 erschienen Buch „Undinge. Umbrüche in der Lebenswelt“ setzt der 1959 geborene koreanisch-deutsche Philosoph und Kulturwissenschaftler Byung-Chul Han seine Überlegungen aus den vergangenen Werken konsequent fort.

Die Titel seiner meist in Essayform geschriebenen Bücher aus den vergangenen 12 Jahren – nur wenige sind über 100 Seiten lang – sind

  • „Müdigkeitsgesellschaft“ (2010),
  • „Topologie der Gewalt“ (2011),
  • „Transparenzgesellschaft“ (2012),
  • „Agonie des Eros“ (2012),
  • „Digitale Rationalität und das Ende des kommunikativen Handelns“ (2013),
  • „Im Schwarm. Ansichten des Digitalen“ (2013), „Psychopolitik: Neoliberalismus und die neuen Machttechniken (2014),
  • „Die Errettung des Schönen“ (2015),
  • „Die Austreibung des Anderen. Gesellschaft, Wahrnehmung und Kommunikation heute“ (2016),
  • „Close-up in Unschärfe. Bericht über einige Glückserfahrungen“,
  • (2016), „Lob der Erde. Eine Reise in den Garten“ (2018),
  • „Vom Verschwinden der Rituale. Eine Topologie der Gegenwart“ (2019),
  • „Kapitalismus und Todestrieb. Essays und Interviews“ (2019),
  • „Palliativgesellschaft. Schmerz heute“ (2020),
  • „Undinge. Umbrüche der Lebenswelt“ (2021),
  • „Infokratie. Digitalisierung und die Krise der Demokratie“ (2021),
  • „Vita contemplativa oder von der Untätigkeit“ (2022).

Die Titel der Essays und der anderen Werke geben einen guten Überblick in Byung-Chul Hans Themen. Gleichzeitig weisen sie schon in die Richtung, die sein Denken nimmt.

Die ersten Worte des Buches

Sein Buch „Undinge. Umbrüche der Lebenswelt“ beginnt mit folgenden Worten:

„Die terrane Ordnung, die Ordnung der Erde, besteht aus Dingen, die eine dauerhafte Form annehmen und eine stabile Umgebung für das Wohnen bilden. Sie sind jene ‚Weltdinge‘ im Sinne von Hannah Ahrendt, denen die Aufgabe zukommt, ‚menschliches Leben zu stabilisieren‘.[1] Sie geben ihm einen Halt. Die terrane Ordnung wird heute durch die digitale Ordnung abgelöst. Die digitale Ordnung entdinglicht die Welt, indem sie sie informatisiert. Schon vor Jahrzehnten bemerkte der Medientheoretiker Vilém Flusser: ‚Undinge treten gegenwärtig von allen Seiten in unsere Umwelt, und sie verdrängen die Dinge. Man nennt diese Undingen Informationen.‘[2] Wir befinden uns heute im Übergang vom Zeitalter der Dinge zum Zeitalter der Undinge. Nicht Dinge, sondern Informationen bestimmen die Lebenswelt. Wir bewohnen nicht mehr Erde und Himmel, sondern Google, Earth und Cloud. Die Welt wird zusehends unfassbarer, wolkiger und gespenstischer. Nichts ist hand- und dingfest.“[3]

Zeitintensive Praktiken

Byung-Chul Han kommt auf zeitintensive Praktiken zu sprechen, die verlorenzugehen drohen. Er beschreibt dies in einer Gegenüberstellung:

„Zu zeitintensiven Praktiken gehört auch das Verweilen. Die Wahrnehmung, die sich an Informationen heftet, hat keinen langen und langsamen Blick. Informationen machen uns kurzsichtig und kurzatmig. Es ist unmöglich, bei den Informationen zu verweilen. Das kontemplative Verweilen bei den Dingen, das absichtslose Sehen, das eine Formel des Glücks wäre, weicht dem Jagen nach Informationen. Wir rennen heute Informationen nach, ohne Wissen zu erlangen. Wir nehmen Kenntnis von allem, ohne zu einer Erkenntnis zu gelangen. Wir fahren überall hin, ohne eine Erfahrung zu machen. Wir kommunizieren ununterbrochen, ohne an einer Gemeinschaft teilzunehmen. Wir speichern Unmengen von Daten, ohne Erinnerungen nachzugehern. Wir akkumulieren Friends und Followers, ohne einem Anderen zu begegnen. So entwickeln Informationen eine Lebensform, die ohne Bestand und Dauer ist.“[4]

Impulse fürs Gespräch:

  • Die Titel der vergangenen 12 Jahre lesend und wirkend lassend – kommt es da zu Assoziationen, zu Beobachtungen, zu Erlebnissen und Erfahrungen, die wir einander mitteilen können?
  • Können wir „Dinge“ und „Undinge“ in der Weise unterscheiden, wie Byung-Chul Han es vorschlägt? Können wir sie beschreiben – wollen/können wir sie bewerten?
  • Wie ergeht es uns mit der Beschreibung der zeitintensiven Praktiken, die nach Byung-Chul Han im Umbruch sind? Gibt es her Zustimmung, eher Ablehnung, eher Zweifel, die wir miteinander teilen können?
  • Was nehme ich, was nehmen wir mit aus dieser kurzen Darstellung der „Undinge“, die zu Umbrüchen in unserer Lebenswelt führen (können)?

Köln, 03.10.2022
Harald Klein

[1] Ahrendt, Hannah (1981): Vita activa oder Vom tätigen Leben, München, 125.

[2] Flusser, Vilém (1993): Dinge und Undinge. Phänomenologische Skizzen, München, 81.

[3] Byung-Chul Han (2021): Undinge. Umbrüche der Lebenswelt, Berlin, 7.

[4] a.a.O., 13f; Die kursiv gekennzeichneten Worte sind im Original ebenfalls kursiv gesetzt.