Christi Himmelfahrt: Über die Systemrelevanz Jesu

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Ein Tag voller Spannung

Christi Himmelfahrt ist ein Tag voller Spannung und voller Spannungen. Das macht schon die gute alte Leseordnung deutlich. Das Evangelium ist Mt 28,16-20, die letzten vier Verse des Evangeliums. „Und siehe, ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ Die erste Lesung ist der Beginn der Apostelgeschichte. „Im ersten Buch, lieber Theophilus“ – gemeint ist das Lukasevangelium – „habe ich über alles berichtet, was Jesus von Anfang an getan und gelehrt hat, bis zu dem Tag, an dem er in den Himmel aufgenommen wurde. […] Dieser Jesus, der von Euch fort in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingesehen sehen.“ Da kommen ein Anfang und ein Ende ins Wort – und auf Jesus hin gesehen müsste man es umkehren: Da kommen ein Ende und ein Anfang ins Wort. Christi Himmelfahrt markiert einen Wendepunkt. Da ist eine Spannung zwischen einem Ende und einem neuen Anfang, zwischen einem „Das war es“ und einem „Nicht mehr“, einem „Schon“ und einem „Noch nicht“, oder anders: zwischen dem, was war, was ist und was kommen wird. Wenn man gut hinhört, hört man es knistern, und man kann die Spannung spüren.

Die Systemrelevanz Jesu (im gen.sub.)

Das was war, das was ist, und das was kommen wird: „Ihr Männer aus Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?“ Ein wenig wie der Hans-guck-in-die Luft stelle ich mir die Jünger vor, vor deren Augen Jesus „gen Himmel“ fährt. Um es mit einem gegenwärtig häufig und von mir sehr geliebten Wort zu umschreiben: Die Jünger werden sich fragen, wie es in diesem Moment, an Christi Himmelfahrt, um die Systemrelevanz Jesu steht.

Das Begriffslexikon bei Wikipedia umschreibt „Systemrelevanz‘“ mit „Bedeutsamkeit, Wichtigkeit für ein System“. Gegenwärtig sind die Berufsgruppen im Bereich Energie, Wasser, Entsorgung, Ernährung, Hygiene Informationstechnik und Telekommunikation, Gesundheit, Finanz- und wirtschaftswesen, Transport und Verkehr, Medien, die staatliche Verwaltung und die Schulen, Kinder- und Jugendhilfe, Behindertenhilfe als systemrelevant gekennzeichnet.

Kirchen haben da keinen Platz, Jesus auch nicht. Aber auch ohne Corona zeigt sich an Christi Himmelfahrt: Der Auferstandene geht, und er geht zum zweiten Mal, erst ins Grab, jetzt „gen Himmel“, er geht und entzieht sich endgültig. Die Frage nach der Systemrelevanz Jesu stellt sich hier als sog. genitivus subjectivus: Braucht es Jesus im System „Kirche“, das sich da gerade bildet? Das „Halte mich nicht fest“, am Grab der Maria Magdalena gesagt, überbietet er selbst in seiner Himmelfahrt. Ich kann mir gut vorstellen, dass dasselbe Gefühl wie an Golgota auch jetzt am Berg in Galiläa vorherrscht: Wie soll das weitergehen, jetzt, wo er weg ist, endgültig von uns weggegangen ist? Ohne ihn geht es nicht! Jetzt bricht hier alles zusammen! – Es scheint, als sähe Jesus seine Systemrelevanz anders als die Jünger! „Ich kann gehen“, scheint er zu sagen, „und ich werde gehen, nein, ich gehe!“ In den Abschiedsreden kommt das „Ich gehe zum Vater“ häufig vor. Christi Himmelfahrt ist ein fast anarchisches Fest für die beginnende Kirche. Jesus sieht seine leibhaftige Gegenwart als nicht systemrelevant für dieses neu wachsende System an – er entzieht sich denen, die es zusammenhalten.

Die Systemrelevanz Jesu (im gen.obj.)

Aber dabei bleibt es nicht. Es gibt auch eine Systemrelevanz Jesu m genitivus objectivus, als im Sinne einer Systemrelevanz, die Jesus „objektiv“ gibt. Einer meiner liebsten Sätze in der Apostelgeschichte ist der Satz der Männer mit den weißen Gewändern, Engel wahrscheinlich. „Während sie unverwandt ihm nach zum Himmel emporschauten, siehe, da standen zwei Männer in weißen Gewändern bei Ihnen und sagten: ‚Ihr Männer von Galiläa, was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?“ Oder Der Auferstandene selbst in den letzten Sätzen des Matthäus-Evangeliums: „Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern.“

Systemrelevant scheint nicht mehr Jesus zu sein, sondern die Jünger! Schaut nicht zum Himmel empor! Geht! Nehmt den Boden, nehmt die Erde unter die Füße. Man kann an Christi Himmelfahrt an der Schöpfungsgeschichte anschließen. Das „Macht Euch die Erde untertan“ Gottes an Adam und Eva ist die Botschaft des Auferstandenen an seine Jünger.

Es braucht den Geist Jesu

Systemrelevant ist dabei nicht die leibhaftige Präsenz Jesu. Gut, wenn sie uns geschenkt wird in der Eucharistie, aber systemrelevant: Nein! Systemrelevant ist weder eine Kirche, die so gewachsen und strukturiert ist wie die unsrige, systemrelevant sind auch keine liturgischen oder kirchenrechtlichen Bestimmungen – all das dient der Erhaltung des Systems „Kirche“, wie es gewachsen und geworden ist. Und in all dem darf kritisch gefragt werden, ob denn „Jesus“ systemrelevant ist, und wie er das ist.

Die Systemrelevanz Jesu, die er hinterlässt, ist relativ einfach. Was schaut Ihr zum Himmel? Geht! Nehmt die Erde unter die Füße und nehmt die Menschen ins Herz und an der Hand. Liebt die Armen, gebt gute Gaben, tröstet, erfreut Herz und Sinn, spendet Trost, heilt, wärmt, löst, wärmt, lenkt. Sie kennen die Worte, sie kommen aus der Pfingstsequenz.

Wer der Erde, der Welt und den Menschen dienen will in der Nachfolge Christi, für den ist Gottes Geist systemrelevant, der Mensch geworden ist in Jesus Christus. Er fährt gen Himmel, wir sind da. Das ist die ganze Systemrelevanz Jesu – subjektiv uns vorgelebt, objektiv uns hinterlassen. Er fährt gen Himmel, aber wir sind da. Gott sei Dank.

Amen.

Köln, 20.05.2020
Harald Klein