Christkönigssonntag – Wo kommen wir hin…?

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Sich (etwas/wieder/neu) „aus-richten“ lassen

Wenn Sie auf der Seite der Erzabtei Beuron unter dem Reiter „Tagesimpuls“ den heutigen Sonntag[1] anklicken, bekommen Sie gleich drei Überschriften angeboten, von denen ich glaube, dass sie im monastischen Kontext sicher eine Rolle spielen, Ihnen aber ähnlich wie mir für das alltägliche Leben nahezu belanglos erscheinen.

Dieser Sonntag ist (so die erste Überschrift) der „letzte Sonntag im Jahreskreis“, es ist (so die zweite Überschrift) der „Christkönigssonntag“, und er wird (so die dritte Überschrift) als „Hochfest“ gefeiert, steht innerhalb des Jahreskreises – also neben den kirchlichen Festzeiten wie Advent/Weihnachtszeit bzw. Bußzeit/Osterzeit – in einer Reihe mit dem Dreifaltigkeitssonntag, dem Fronleichnams- und dem Herz-Jesu-Fest. Hätten Sie es gewusst? Falls nicht, dann sagt das doch viel über die Relevanz dieser „Hochfeste“ für Ihr und mein alltägliches Leben, oder?

Um dieses „Hochfest Christkönig“ – im „Ranking der Feier als mit Weihnachten und Ostern auf einer Stufe stehend – zu retten, schlage ich Ihnen vor, die erste der drei Überschriften ernst zu nehmen: „Letzter Sonntag im Jahreskreis“. Vor dem Beginn der Adventzeit, dem Neu– und Wiederbeginn des Erwartens des Kommens Gottes, einmal stehenzubleiben, durchzuatmen und sich zu sortieren, um neuen Kurs auf diese Erwartung hin zu nehmen, dass Gott in Ihr Leben neu eintreten und ihm Richtung geben, Sie neu „aus-richten“ will. Dazu möchte ich Ihnen einige Gedanken mitgeben.

» Wo kämen wir hin,
wenn alle sagten, wo kämen wir hin,
und keiner ginge, um zu sehen,
wohin wir kämen,
wenn wir gingen. «
Kurt Marti (1921-2017)

Die drei Evangelien für den Christkönigssonntag

„Gericht“ ist das zentrale Wort in den für diesen Sonntag ausgewählten Evangelien[2]. Interessant in der Lektüre: je jünger die Evangelien sind, um so abgemilderter werden die Texte. Im Lesejahr A wird Mt 25,31-46 gelesen, Sie kennen die Erzählung von der Rückkehr des Menschensohns und der Scheidung der Schafe zu seiner Rechten und der Böcke zu seiner Linken – mit den Sätzen wie: Ich war durstig, und Ihr habt mir zu trinken oder eben nicht zu trinken gegeben. Und die Sinnspitze: Was Ihr für den einen dieser Geringsten getan bzw. nicht getan habt, das habt Ihr mir getan bzw. nicht getan. – Willkommen auf der linken Seite, bei den Böcken, oder sehen Sie sich etwa guten Gewissen rechts?

Das Lesejahr C mit den Lukastexten, das in diesem Jahr dran ist, zeigt, was Menschen mit Menschen machen, wenn sie ihre Macht, ihre Vollmacht ausnutzen. Lk 23,35a-43 schildert die Krönung Jesu durch die Soldaten, eine Art „negativer Macht“, der die Zusage Jesu am Kreuz für den reuigen Schächer „Heute noch wirst du mit mir im Paradies sein“ als eine Art „positiver Macht“ entgegensteht. Sowohl die Soldaten als auch Jesus spielen ihre „Vollmacht“, ihr „Vermögen“ aus.

Dazwischen steht im Lesejahr B das Markusevangelium; weil es so kurz isst, hat man diesem Hochfest einen Text aus dem Johannesevangelium zugefügt. Joh 18,33a-37 erzählt das Verhör Jesu vor Pilatus, gipfelnd in der Frage „Bist Du ein König?“ und der Antwort Jesu: „Sagst Du das von Dir aus, oder haben es Dir andere über mich gesagt?“.

Innehalten vor dem Advent, vor der „Annahme“ der Bereitschaft Gottes, neu in mein Leben eintreten zu wollen – mit drei Stichworten:

(1) Wen nehme ich wie als Geringsten im Sinne Jesu um mich herum wahr? Ertrage ich das „gering sein“ auch bei denen, von denen ich sonst hoch denke? Wie steht es um mein „gering sein“ und dessen Annahme?“ Und die Königsfrage: Was tue ich dem oder der Geringsten – um meinet-, aber auch um seinetwillen? Oder anders: was macht es in der kommenden Adventszeit Gott leicht, in mir Mensch werden zu können – was macht es mir leicht, Gott in meinem Leben an- und aufzunehmen? Und was muss noch ein wenig und mit seiner Hilfe „aus-gerichtet“ werden, damit das gut gelingt?

(2) Der Text aus dem Lukasevangelium fragt nach meiner „Vollmacht“, nach meinem „Vermögen“ und der Art und Weise, ob ich es eher „negativ“ oder eher „positiv“ einsetze – der Maßstab für „positiv“ und „negativ“ mag der Grad an Lebendigkeit, an Wachheit, an Lebensbejahung für mich und für andere sein, den mein „Vermögen“ beeinflusst. Ein wenig stehen da auch die „Schafe“ und die Böcke“ Pate, aber Lukas betont m.E. mehr die Haltung als das Tun, er hat m.E. mehr Tiefgang und den weiteren Blick.

(3) Und dann Johannes mit der Frage „Weißt Du das aus Dir selbst oder haben es Dir andere gesagt?“ Mir gefällt immer noch und immer wieder die weise Frage des Schweizer Pfarrers Kurt Marti (1921-2017): „Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte, wo kämen wir hin, und niemand ging, um zu schauen, wohin man käme, wenn man ginge.“ Unschwer zu erkennen, dass das „ginge“ das Wort ist, um das es sich hier dreht. Pilatus versäumt das „Gehen“, verlässt sich auf Informationen Dritter und ist dabei schlecht beraten. Das „Wissen aus Dir selbst“, das Ausprobieren, das Hingehen – Sie werden einen Ort, einen Menschen, eine Institution finden – scheint mir das Wesentlichste im „sich (etwas/neu/wieder) „aus-richten“ lassen.

» Wenn solche Vorstellungen wir ‚Gott‘ oder ‚ewiger Richter‘ etc. dich stören, so kannst du sie ruhig weglassen, auf sie kommt es nicht an. Es kommt einzig darauf an, dass jedem von uns ein Erbe und eine Aufgabe mitgegeben ist, er hat von Vater- und Mutterseite, von vielen Ahnen her, von seinem Volk, seiner Sprache her gewisse Eigenschaften, gute und böse, angenehme und schwierige geerbt, Talente und Mängel, und all dies zusammen ist Er, und dies Einmalige, das in deinem Fall Bruno. H. heißt, hat er zu verwahren und zu Ende zu leben, reif werden zu lassen und schließlich mehr oder weniger vollkommen zurückzugeben. «
Hesse, Hermann (2019): "Mit dem Vertrauen, dass wir einander nicht verloren gehen können." Briefwechsel mit seinen Söhnen Bruno und Heiner, Berlin, 266.

Um es mit Hermann Hesse zu sagen…

Statt vom „Gericht“ vom „sich aus-richten zu lassen“ zu sprechen, hat Hermann Hesse als 64jähiger Vater seinem ältesten Sohn Bruno (*1905) zum neuen Jahr am 05.01.1949 von seinem Wohnsitz in Montagnola/Tessin geschrieben. Bruno suchte den Kontakt, die Aufnahme in eine geistliche Gemeinschaft, fand sie aber in keiner der Kirchen, die mit unklaren und schillernden Begriffen wie „Gott“ oder „ewiger Richter“ jonglierten. Hesses väterliche Antwort an seinen Sohn lautet (in Auszügen):

„… Was du im Leben leistest, und zwar nicht nur als Maler, sondern ebenso als Mensch, als Mann und Vater, als Freund und Nachbar etc. etc., das wird vom ewigen ‚Sinn‘ der Welt, von der ewigen Gerechtigkeit nicht nach irgendeinem festen Maß gemessen, sondern nach deinem einmaligen und persönlichen. Gott wird dich, wenn er dich richtet, nicht fragen: ‚Bist du ein Hodler geworden oder ein Amiet oder ein Pestalozzi oder Gotthelf?‘ Sondern er wird fragen: ‚Bist auch wirklich der Bruno Hesse gewesen, und geworden, zu dem du die Anlagen und Erbschaften mitbekommen hast?‘ Und da wird niemals ein Mensch ohne Scham oder Schrecken sagen können: ‚Nein, ich bin es nicht geworden, aber ich habe es wenigstens nach Kräften versucht.‘ Und wenn er das aufrichtig sagen kann, dann ist er gerechtfertigt und hat die Probe bestanden. Wenn solche Vorstellungen wir ‚Gott‘ oder ‚ewiger Richter‘ etc. dich stören, so kannst du sie ruhig weglassen, auf sie kommt es nicht an. Es kommt einzig darauf an, dass jedem von uns ein Erbe und eine Aufgabe mitgegeben ist, er hat von Vater- und Mutterseite, von vielen Ahnen her, von seinem Volk, seiner Sprache her gewisse Eigenschaften, gute und böse, angenehme und schwierige geerbt, Talente und Mängel, und all dies zusammen ist Er, und dies Einmalige, das in deinem Fall Bruno. H. heißt, hat er zu verwahren und zu Ende zu leben, reif werden zu lassen und schließlich mehr oder weniger vollkommen zurückzugeben.“[3]

„… Ich habe es wenigstens nach Kräften versucht.“ Wo kämen wir hin, wenn wir gingen, um das, den, die Geringste wissend, mit unserem Vermögen, zu diesem König, mit diesem König, geführt von diesem König?

Amen.

Köln 18.11.2022
Harald Klein

[1] [online] https://www.erzabtei-beuron.de/schott/schott_anz/index.html?datum=2022-11-20 [18.11.2022]

[2] Sie finden die Texte der drei Lesejahre A (Matthäus-Texte), B (Markus-Texte) und C (Lukas-Texte) im Register der Evangelientexte der Erzabtei Beuron auf [online] https://www.erzabtei-beuron.de/schott/register/jahreskreis/ [18.11.2022]

[3] Hesse, Hermann (2019): Mit dem Vertrauen, dass wie einander nicht verloren gehen können. Briefwechsel mit seinen Söhnen Bruno und Heiner, Berlin, 266.