Erster Fastensonntag: Der Mensch – ein lebendiges Wesen

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Der Dreischritt der Schöpfung

Wäre es keine Predigt und wäre es stattdessen ein Exerzitientag, so würde ich Ihnen diesen einen Vers Gen 2,7 zur Betrachtung, zum Hineinspüren und zum Nacherleben anbieten, einen ganzen Tag lang: „Gott, der Herr, formte den Menschen aus der Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“

Sie hören den Dreischritt der Schöpfung des Menschen heraus: (1) geformt werden; (2) den Lebensatem empfangen; (3) zu einem lebendigen Wesen werden.  Wie in einem gerafften Exerzitientag möchte ich Ihren Blick gerne vertiefend auf diese drei Punkte legen.

Gott, der Herr, formte den Menschen…

Schöpfung ist kein Sandkastenspiel. Gott nimmt kein Förmchen, füllt Ackerboden hinein, kippt das Förmchen um, hebt es auf, und fertig ist der Mensch, und er sehe zu, wie er jetzt klarkomme. Sie kennen die Antwort auf die Frage, warum der Mensch einen Bauchnabel habe? Die Antwort: Als Gott die Menschen geformt hat, tippt er jeden mit seinem Zeigefinger an den Bauch und sagt: „Du bist fertig, und Du, und Du.“ Du bist fertig, nun sehe Du zu, wie Du mit dem Leben fertig wirst.

Schöpfung funktioniert eher – so sagt es der Prophet Jeremia in Jer 18 – wie das Töpfern. Gott nimmt sich des Tons, nimmt sich der Rohmasse meines Menschseins an und formt mich, versucht, meinem Leben eine Form zu geben. Missrät dem Töpfer ein Gefäß, missrate ich meinem nicht Schöpfer-, sondern Töpfergott, so wirft er mich nicht weg, sondern beginnt von neuem, bis das Gefäß, bis ich, bis mein Ich ein vollendetes Gefäß seiner Liebe geworden ist. Und hier gilt der Genitiv doppelt: Ein Gefäß seiner Liebe im genitivus subjectivus – er hat mich liebend ein Leben lang geschaffen; und ein Gefäß seiner Liebe im genitivus objectivus – ich bin als Gefäß Gottes und  seiner Liebe mit dieser Liebe gefüllt, um sie weiterzugeben. Gott, der Herr, formt den Menschen – und zwar ein Leben lang!

Gott bläst in die Nase des Menschen seinen Lebensatem

Der zweite der drei Schritte: Gott bläst seinen Lebensatem in die Nase den Menschen. Ich überlasse es Ihnen, sich das bildlich vorzustellen, kann Ihnen aber sagen, dass mir bei dieser Vorstellung sämtliche Arztserien meiner Kindheit und Jugend in den Sinn kommen. Der, dem der Atem in die Nase oder in den Mund geblasen wird, der braucht ihn. Hier geht es nicht um Zärtlichkeit, sondern um Notwendigkeit, ums nackte Leben, um Leben und Tod. Und deshalb scheint mir für diesen Akt des Empfanges des Lebensatems Gottes dasselbe zu gelten wie für den Prozess der Schöpfung. Zum Witz mit dem Bauchnabel könnte man, um es falsch zu verstehen, das Anhauchen mit dem Lebensatem dazusetzen. Geformt aus dem Rohmaterial, angehaucht mit dem Lebensatem, und dann: „Du bist fertig, und Du, und Du…

So ist es nicht, so kann es nicht sein, wenn Gott der Gott meines Lebens – und nicht nur des Ursprungs meines Lebens – ist. Wie der Töpfer immer wieder seine Hände befeuchtet, um den Ton zu formen, so ist es Gottes stetiges Tun an mir, mir den Heiligen Geist einzuhauchen, mich in Berührung und Begegnung mit ihm zu bringen. Der Mensch bedarf ein Leben lang des Lebensatems Gottes. Das kann sakramental geschehen, und nichts anderes feiern wir in Eucharistie oder im Sakrament der Vergebung. Hans Urs von Balthasar nennt es das „mysterium salutis“ . Das kann in dem geschehen, was Karl Rahner das „sacramentum mundi“, das Sakrament der Welt geschieht. Es zeichnet den wahren Christen, die wahre Christin aus, dass er oder sie in beiden Weisen ganz zu Hause sein können. Entscheidend ist: ich mache den Lebensatem Gottes nicht, ich stelle ihn nicht her; im Sakrament der Kirche und im Sakrament der Welt kommt er auf mich zu, ich empfange ihn, und ich kann aus ihm leben. Ich kann ihn sogar weitergeben.

Zu einem lebendigen Wesen werden

Auch der dritte Punkt passt in den Bauchnabel-Witz. Es könnte ja gut sein, das Schöpfung meint: Du bist geformt, ich Dich habe ich meinen Lebensatem gehaucht, und jetzt geh, da – pikst ihn an – hast Du das Leben. Du bist fertig, Du kannst gehen. Und mit jedem Schritt des Menschen vergrößert sich der Abstand zu seinem Schöpfer.

Es macht allein schon sprachlich einen Unterschied zu sagen „Ich habe das Leben“ oder – wohlgemerkt, als lebendiger Mensch – „Ich werde zu einem lebendigen Menschen, mehr und mehr werde ich lebendig.“ Das ist der alte Streit des deutsch-amerikanischen Humanisten und Psychologen Erich Fromm, beschrieben in seinem Buch „Haben oder Sein“. Schöpfung meint nicht, zumindest nicht nur: „Ich habe mein Leben von Gott – und tschüss!“ Schöpfung meint vor allem: „Ich werde mehr und mehr lebendig, ich komme mehr zum Leben, wenn ich mich formen lasse, wenn ich mich ausstrecke nach Gottes Lebensatem.“ Natürlich wird jeder und jede hier sagen können: „Ich lebe!“ Aber wie es mit dem Satz: „Ich fühle mich lebendig!“ Seien Sie froh und dankbar, wo es so ist. Spannend sind die Grauzonen, die Seiten in Ihnen, die noch darauf warten lebendig werden zu dürfen.

Das Evangelium der Versuchung Jesu

Sie können die Versuchungsgeschichte Jesu – übrigens auch Ihre eigenen Versuchungsgeschichten – sehr gut mit diesem einen Satz aus der Schöpfungsgeschichte entschlüsseln. Der Versucher packt Jesus so an, als sei er noch eine bloße Rohmasse, als sei er „Ackerboden“, den er formen könne, wie er wolle. Seinen anstößigen Anstößen begegnet Jesus zweimal mit dem Hinweis auf die Hl. Schrift, beim dritten Mal mit dem Hinweis auf den, von dem die Schrift Zeugnis gibt.

Die Erzählung von der Versuchung Jesu steht bei Matthäus unmittelbar nach der Erzählung von der Taufe Jesu. Jesus kennt das „mysterium salutis“, das Geheimnis des Heils, und lebt im „sacramentum mundi“, im Sakrament der Welt. Die Fragen des Versuchers sind Versuche, Jesus aus der Form zu bringen – um im Töpfergleichnis zu bleiben. Und seine Antworten sind Ablehnungen dieser Versuche und Entscheidungen Jesu, mehr und mehr zu einem lebendigen Wesen zu werden, das sich von Gott geformt und mit seinem Lebensatem begabt weiß.

Um dieses Abwägen geht es in der Bußzeit, um dieses Erspüren von geformt werden, vom Lebensatem Gottes und vom Mehr des lebendigen Wesens sein. Nehmen Sie sich dazu diesen Satz mit: „Gott, der Herr, formte den Menschen aus der Erde vom Ackerboden und blies in seine Nase den Lebensatem. So wurde der Mensch zu einem lebendigen Wesen.“

Amen.

Köln, zum 01.03.2020
Harald Klein