Jahwist und Priesterschrift – eine exegetische Unterscheidung
Zwei kleine und notwendige exegetische Fragen zu Beginn: Kennen Sie den „Jahwisten“? Und kennen Sie die „Priesterschrift“? „Jahwist“ nennt die atl. Bibelwissenschaften den Autoren der ältesten Quellenschrift, der „Urgeschichte“ der ersten fünf Bücher des Alten Testaments. Sie erkennen diese Textteile daran, dass der Gottesname JHWH in diesen Texten auftaucht. In unserer Übersetzung heißt es dann „Und Gott sprach…“. Da der Jahwist noch keine Königserzählungen kennt, datiert man ihn auf eine Zeit vor dem 10. Jhdt. V .Chr. Und die „Priesterschrift“? Hier findet sich eine ordnende, reflektierte und systematisierende Sprache. Es ist eine deutlich spätere „Redaktion“, also Überarbeitung, Ergänzung der jahwistischen Urgeschichte. Ihre Datierung ist umstritten. Allemal gilt aber, dass das Volk Israel eine lange Geschichte hinter sich hat: Königszeit, Entwicklung einer religiösen Kultreligion und einer das Zusammenleben regelnden Gesetzesreligion, Kritik durch frühe Prophetie, und vor allem die Erfahrung der Kriege, des Besiegtwerdens, der Kapitulation und der Deputation nach Babylon. Auf all das schauen die damaligen „Theologen“ zurück und versuchen, ihr Leben mit Gott und ihr Erleben als Gottesvolk neu zu deuten.
Diese exegetische Unterscheidung ist wichtig, weil sie „Leben“ deutet: Der „Jahwist“ steht für einen „Kinderglauben“, für den Rückgriff auf Erzählungen, Mythen, Erklärungen von Regeln, die Israel, als es „jung“ war, erzählt und weitergegeben wurden, und die es selbst erzählt und weitergegeben hat. Sie haben den Charakter des Anfangs“, wie es z.B. Kindergebete wie „Ich bin klein, mein Herz ist rein…“ oder „Komm, Herr Jesus, …“ haben. Aber das „Kind“ Israel wird größer, lebt und erlebt vieles: Glückendes, Heiles, aber auch Unglück und Tod, Krieg und Exil. Wie ein pubertäres Kind schreit es den „Vatergott“ um Freiheit an – um dann wieder den „Vater“ (oder die „Mutter“) um Hilfe zu rufen, wenn es brenzlig wird. Das ist die Erfahrung Israels im Wüstenzug (vgl. Ex 15,22-18,27).
„Pubertärer Glaube“
„Pubertärer Glaube“: Israel will aus der Sklaverei geführt werden, Mose wird von Gott im brennenden Dornbusch beauftragt, das Volk aus der Sklaverei Ägyptens in die Freiheit zu führen. Gott verspricht seine Hilfe, seine Führung und Begleitung. Und jetzt, nach dem Durchzug durchs Rote Meer und in der Wüste, geht das pubertäre Hin und Her los. Kennzeichen – wie bei einem pubertären Jugendlichen – ist das „Murren“ Israels.
Da ist die Szene in Mara, am Bitterwasser. Israel gehen die Wasservorräte aus, und sie murren gegen Mose: „Was sollen wir trinken?“ (Ex 15,24) Mose schreit zum Herrn, der zeigt ihm ein Stück Holz, das Mose ins Wasser wirft – und das Wasser wird süß, wird Trinkwasser. – Dann folgt die Szene in der Wüste Sin. Israel hat Hunger, und sie murren gegen Mose und Aaron: „Wären wir doch in Ägypten durch die Hand des Herren gestorben, als wir an den Fleischtöpfen saßen und genug zum Essen hatten. Ihr habt uns nur deshalb in diese Wüste geführt, um alle, die hier versammelt sind, an Hunger sterben zu lassen.“ (Ex 16,2f) Mose schreit zum Herrn, und sie bekommen Wachteln und das Manna, das „täglich’ Brot“. – Ein Drittes: Gott gibt das Brot, das nur täglich und nur für den einen Tag gesammelt werden kann – Reste verfaulen und werden durch Würmer und Maden zerfressen. Und doch sammelt Israel Vorräte, die dann wurmig werden und stinken, was Mose zornig werden lässt. (Ex 16,20).
Aus dem blind vertrauenden Kinderglauben ist in der „Wüste“ – das Bild spricht für sich – pubertärer Glaube geworden. Hinter dem Murren steht zum einen die Auflehnung gegen die Fremdbestimmung, die Sklaverei. Dahinter steht aber auch die Angst, den Herausforderungen des Lebens in der „Wüste“ nicht gewachsen zu sein. Mose oder Mose und Aaron sollen es richten, sollen auf das Murren hin die Wünsche des Volkes, des pubertierenden Jugendlichen erfüllen. Israel ist – wie ein pubertierender Jugendlicher – noch nicht bereit, den Preis der Freiheit zu zahlen! Nicht „Freiheit und Wunsch“ passen in einem erwachsenen Glauben zusammen, sondern „Freiheit und Wille“. Nicht „Murren gegen einen Führer“, sondern „Vertrauen in ein Geführtwerden“.
Die Unterscheidung von „Wunsch“ und Willen“
Man muss unterscheiden zwischen „Wunsch“ und Wille“. Ein Wunsch ist eine Einstellung, aus der erwartet wird, dass ein bestimmter erstrebenswerter Zustand durch die Aktivität einer anderen Person oder einer Institution, über die man selbst keine Verfügungs- und Steuerungsfunktion habe, hergestellt wird. Eine Wunsch-Haltung ist immer gekennzeichnet durch den Mangel an eigener Tätigkeit sowie durch die angefragte/erbetene/ geforderte Aktivität von anderen. Der Wille ist eine Haltung, aus der heraus Israel selbst nachdrücklich Aktivitäten an den Tag legt, die es dem Erreichen eines von ihm erstrebten Zustandes näherbringt. Dabei hat das Volk einige Ressourcen zur Erreichung des Zustandes selbst in der Hand. Welche konkreten Schritte das sein können und wer dabei in welchem Umfang welche Unterstützung leisten kann, ist Gegenstand des kooperativen Prozesses und des daraus folgenden „Kontrakts“. (vgl. Hinte/Treeß <2006>, Sozialraumorientierung in der Jugendhilfe, Weinheim, S. 46)
„Erwachsener Glaube“
„Erwachsener Glaube“: Wer Freiheit will, möge sie nicht im Murren über fremde Führungen erstreben, sondern im Vertrauen auf ein Geführtwerden durch Gott und mit Hilfe der vielen Ressourcen, die ihm innerhalb seiner Grenzen zur Verfügung stehen. Und er darf nicht bei den Wünschen stehenbleiben, sondern muss nach den Möglichkeiten und den Grenzen seines Willes fragen. Der gute Geist, so Ignatius in der Unterscheidung der Geister, will Fleisch werden, will inkarnieren. Freiheit – auch Freiheit im und aus dem Glauben – ist nicht nur Geschenk, sondern erfordert einen starken Willen, ein aktives Tun – und manchmal auch ein wehmütiges Erleiden.
Harald Klein, Köln
Benedikt Lülf, *1993, Student der Physik, Aachen
Marius Kulassek, *1997, Student des Maschinenbaus, Aachen