Der Tod – des Schlafes Bruder?

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Ein Gespräch über das Sterben

Es war spannend, mit zwei Studenten Joh 11, die Auferweckung des Lazarus, zu lesen und sich vom Text berühren zu lassen. Das Thema „Sterben“ hat seinen Ort auch im Leben eines 22- und eines 27-jährigen. Am ehesten, weil z.B. die Großeltern oder vertraute Menschen aus dem Umkreis verstorben sind. Aber auch, weil hier Fragen nach dem Sinn des eigenen Daseins berührt werden. Was heißt das für mich, für uns: Wir erleben Sterben. Wir werden sterben. Wie wollen wir sterben? Einige dieser Entdeckungen möchten wir gerne teilen.

„Ein Mann war krank, Lazarus aus Betanien …“ (Joh 11,1)

Wenn es um Heilung geht, ist das Neue Testament oft namenlos. Weder der Name des Mannes, der durch ein Dach vor Jesus gebracht wird, noch der Name der Schwiegermutter des Petrus oder des Blinden im Johannesevangelium ist bekannt. Wenn es ums Sterben geht, wird es „persönlich“. Die Liebe Jesu zu Martha, Maria und Lazarus kommt ins Spiel, Jesus ist erschüttert und weint. – Es macht einen Unterschied, über das Sterben der Menschen in Bürgerkriegen oder in Armutsländern zu sprechen, oder dem Tod, dem Sterben einen Namen geben zu können.

Dem einmal nachzuspüren, „unsere“ Toten und „die“ Toten ins Gebet zu nehmen: Was regt sich da?

„Herr, wärest du hier gewesen, dann wäre mein Bruder nicht gestorben …“ (Joh 11,23)

Ist das der Vorwurf, den ich von mancher Beerdigung oder aus manchem Trauergespräch kenne: „Wo ist hier Gott?“ Oder: „Wo war er, als das passierte?“ – Oder ist das ein Ausdruck des Vertrauens, das Martha in die Vollmacht Jesu hat?

Dem einmal nachzuspüren, auf die eigenen Vorwürfe schauen, die ich Jesus im Blick auf das Sterben anderer, mir lieber Menschen, oder im Sterben ganzer Völker mache: Was regt sich da?

„Glaubst du das? …“ (Joh 11,26)

Vielleicht die Schlüsselfrage in diesem Text: „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt. Und jeder, der an mich glaubt, wird auf ewig nicht sterben. Glaubst du das?“ Jesus fragt nach! Ist das „wärest du hier gewesen …“ ein Vorwurf? Oder spricht Martha das Vertrauen in Jesus an? Wir stellen uns diese Frage. Und wir stellen uns dieser Frage: „Glaube ich das?“ – Was meint hier „Glaube“? – Uns kommt der Text des Schlusschorals aus der Bachkantate „Ich will den Kreuzstab gerne tragen“ (BWV 56) in den Sinn: „Komm, o Tod, du Schlafes Bruder, / komm und führe mich nur fort; / löse meines Schiffleins Ruder, / bringe mich an sichern Port! /  Es mag, wer da will, dich scheuen, / Du kannst mich vielmehr erfreuen; / denn durch dich komm ich herein/zu dem schönen Jesulein.“ Den Tod als „des Schlafes Bruder“ sehen: Der Vergleichspunkt liegt darin, dass ich mich im Schlaf aus der Hand gebe, dass meine ganze Person, meine Ratio, meine Emotion, meine Affekte nicht mehr unter meiner Kontrolle, meinem Lenken steht, dass all das ausruhen kann und darf. Natürlich in der Hoffnung, dass ich wieder aufwachen werde. Der Unterschied liegt darin, dass im Sterben, im Tod nicht ich aufwache, sondern dass Jesus mich auferweckt. Der Unterschied zwischen (selbst) aufstehen, (selbst) auferstehen und auferweckt werden ist grammatikalischer Art: ein Unterscheiden zwischen selbst aktiv werden und etwas passiv (?) an mir geschehen lassen. Das „Glaubst du das?“ Jesu ist kein Habitus, nicht etwas, was ich habe, sondern ein Prozess, ein Einüben. Jedes vertrauensvolle Mich-überlassen, jedes vertrauensvolle Mich-aus-der-Hand-geben, mich vertrauensvoll an jemanden wenden, mich vertrauensvoll öffnen und mich einem anderen preis- oder hingeben ist ein Einüben des Sterbens. Letztlich geht es im Sterben, christlich verstanden, darum, mich aus der Hand zu geben und der Hand eines anderen, Jesus, anzuvertrauen.

Dem einmal nachgehen: Wo gebe ich mich aus der Hand, vertraue ich mich der Hand eines anderen an? Wo, wie habe ich das erlebt? Und kann ich das als „Einüben ins Sterben“ gelten lassen?

„Da weinte Jesus …“ (Joh 11,38)

Das macht die Bibelstelle so sympathisch. Jesus ist „im Innersten erregt und erschüttert“ (Joh 11,32), er weint mit Martha, mit Maria, mit denen, die zum Teilen der Trauer gekommen sind. Es ist der Schmerz der Hinterbliebenen, die Trauer darüber, dass ein geliebter Mensch nicht mehr da ist. Zutiefst menschlich ist dieses Geschehen. Hier zeigt sich, was Spiritualität meint: In allen Formen muss sie, wenn sie echt ist, das Menschliche teilen, auf das Humanum ausgerichtet sein. Sie muss dialogfähig sein, geteilt werden können, und wo Worte nicht ausreichen, sind Tränen ihr Ausdruck. Sie muss alltagstauglich sein und auch in Momenten des Nicht-verstehens und des Schmerzes tragen können. Und sie ist christliche Spiritualität, wenn all das mit dem Vertrauen auf und in Jesus Christus in Zusammenhang gebracht wird.

Dem einmal nachgehen: Welche anderen spirituellen Zeichen und Riten nehme ich wahr in den vielen Bemühungen, Trauer Ausdruck zu verleihen? Und habe ich die Weite, auch andere Riten und Formen als die meiner ausdrücklich christlichen Spiritualität gelten zu lassen, sie zu teilen und anzunehmen?

„Lazarus, komm heraus …“ (Joh 11,43)

An die Stelle des Lazarus setzen wir unsere Namen – und staunen darüber, wo, wie und vor allem dass uns der Ruf Jesu aus manchen Erfahrungen des Todes und des Dunkels immer wieder ans Licht ruft (vgl. Joh 11,9f).

Dem einmal nachgehen …

 

Harald Klein, Köln
Alan Roberts, Student der Sozialen Arbeit, J-GCL Aachen
Nemron Iyassu, Student der Sozialen Arbeit, J-GCL Aachen