Himmelsleiter und Emmausgang

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Dank für die Aufklärung

Wir haben in den vergangenen vier Tagen viel von Märchen gehört, und für einen Prediger ist es ein Geschenk, wenn einer der Vortragenden die Vorlage für die Predigt liefert. Das Schöne an einem postmodernen oder konstruktivistischen Weltbild ist ja, dass man das, was gesagt wird, völlig legitim in einem anderen Kontext verstehen darf.

Dem Glauben, der Religion geht es so wie der Literatur: man kann als Europäer nur danken, dass es die Aufklärung gegeben hat, das „Sapere aude“, das „Wage zu denken!“. Man kann als Christ der Aufklärung nur danken, dass sie es geleistet hat, das eigene Gewissen als höchsten und individuellen Maßstab für das eigene Leben nehmen zu dürfen. Das ist Gabe und Aufgabe zugleich – und das ist auch der erste Punkt für diese Predigt: Dank für ein aufgeklärtes Leben.

Die Märchen der Romantik – und das Bild von der Himmelsleiter

Das Bild, das ich aufgreifen möchte, ist den Serapionsbrüdern von E.T. A. Hoffmann entlehnt: das Bild von der Himmelsleiter.

Ihr erinnert Euch: »Ich meine, dass die Basis der Himmelsleiter, auf der man hinaufsteigen will in höhere Regionen, befestigt sein müsse im Leben, sodass jeder hinaufzusteigen vermag.«

Aufklärung hat ihren Ort an der Basis der Himmelsleiter, im alltäglichen Leben. Wenn Ihr Euch umschaut in Eurem alltäglichen Leben mit all dem, was organisiert und entschieden werden muss, was anzugehen ist, dann werdet Ihr merken: ein Leben im Geist der Aufklärung hilft, macht aber die Seele nicht satt. Da braucht es die Himmelsleiter, und die führt in ganz verschiedene Höhen. Heute haben wir viel von der Höhe der Poesie erfahren. Ich kenne die Höhe der Musik, des Singens, andere die Höhe der Kunst. Ich bin mir sicher, zumindest hoffe ich für einen jeden, eine jede von Euch, dass Ihr Eure Leiter gefunden habt oder sie zumindest zu suchen wagt. Die Märchen der Romantik geben ein vielfältiges Zeugnis von dieser Himmelsleiter, die natürlich auch in die Höhe der Religion führt, in den Glauben hinein. Ich bin überzeugt, dass es wirklich eine Vielfalt von Leitern gibt – und ich berufe mich da auf ein Zitat aus dem Buch Kohelet. Der Prediger Kohelet schreibt nicht nur „Alles hat seine Zeit“, das kennt man ja. Im gleichen Kapitel, in Koh 3,11 sagt er: „In alles hat Gott Ewigkeit hineingelegt.“ Und Ignatius von Loyola folgert darauf: „Ich kann Gott in allem finden!“ Das ist das zweite, was ich mitgeben möchte: „Hört nicht auf zu suchen!“ Steigt von dem Ort, an dem Ihr seid, immer wieder die Himmelsleiter hoch, damit euch die Seele satt wird.

Und dann das Dritte: Bleibt nicht dort – die Himmelsleiter ist nicht als Weltflucht gemeint, sondern als ein Gegenüber zu Welt. Steigt hinauf, ruht dort aus, damit die Seele satt wird, und dann kommt wieder herunter und bringt ein Stück vom Himmel auf diese so aufgeklärte Erde.

Arbeiten am Reich Gottes

Für mich ist dieses Auf und Ab der Weg, am Reich Gottes mitzubauen. Ich finde es wieder in dem, was wir an diesem Sonntag feiern: Himmelfahrt – der Tag, an dem Christus die Himmelsleiter hinaufsteigt; der Sonntag heute – warten, dass er wieder zurückkommt. Und Pfingsten – die Wiederkunft Christi in seinem Geist. Das Kirchenjahr gibt uns dieses Auf und ab liturgisch vor.

Von daher: ein Glaube, der „im Himmel bleibt“ – Lehren, Dogmen, Spekulationen über Gott, dieser Glaube geht am Leben, an der Welt vorbei. Ein Glaube, der nur auf Weltgestaltung setzt, vergisst den Aufstieg, er – entschuldigt das Wort – verkommt zur Ethik. Es braucht immer wieder diesen Weg auf der Leiter hoch und wieder herab.

Die Emmaus-Erzählung – eine horizontale Leiter

Ich habe als Evangelium die Emmaus-Erzählung herausgesucht. Die beiden Jünger fliehen aus dem Schreckensort Jerusalem, aus der ach so aufgeklärten Welt. Ihnen begegnet auf dem Weg – wie auf einer horizontal ausgerichteten Leiter – Christus. Es kommt zur Schriftdeutung und zum Mahl, zum brennenden Herzen – und zum Rückweg in die aufgeklärte Welt. Die, die in der Begegnung verwandelt worden sind, verwandeln jetzt die Welt. Hier klingt mir der Novalis nach: » Die Poesie heilt die Wunden, die der Verstand schlägt. Sie besteht gerade aus entgegengesetzten Bestandteilen – aus erlebter Wahrheit und angenehmer Täuschung.« Glaube möchte ich in diesem Zusammenhang gern verstehen als „angenehme Täuschung“, die Wirklichkeit werden kann.

Wache Träumende sein

Das Erste: Dank für ein aufgeklärtes Leben. Das Zweite: Sucht Eure Himmelsleiter. Das Ditte: Steigt hinauf, und kehrt wieder zurück, um die Welt zu verwandeln. Bleibt mir zum Schluss ein letztes, ein Viertes, das Zitat von Friedrich Schlegel: »Waches Träumen ist der höchste Zustand, wird auch immer selig genannt. «

Ein Pfarrer aus der DDR hat mir und meinen Freundinnen und Freunden bei einer Radtour durch die damalige DDR 1987 in unser Reisetagebuch geschrieben: „Vergesst nicht, dass ihr Menschen seid.“  Ich gebe diesen Satz Euch heute mit dem Schlegel-Zitat mit auf den Nachhause-Weg: Seid, bleibt wache Träumende. Amen.

Harald Klein
Köln