Die drei Sprachen

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Die Sprache des Glaubens lernen

Wie viele Sprachen beherrschen Sie – und wenn Sie anfangen nachzuzählen, ist „Kölsch“ natürlich als eigene Sprache zu werten. Vielleicht ist „beherrschen“ ja auch zu viel, ich mache es einfacher: in wie vielen Sprachen können Sie sich im Ausland nach dem Weg oder dem Bus erkundigen, könnten Sie ein Zimmer buchen oder am Markt einkaufen? Kölsch -. Deutsch – Englisch – Französisch – Spanisch – Italienisch… – keine Sorge, ich frage nicht ab, aber ich überlasse es Ihrer Phantasie: was haben wir an Sprachkompetenz hier im Kirchenschiff in Agnes wohl beieinandersitzen.

Und ich habe eine gute Nachricht für Sie: Plus drei – Sie können immer noch drei Sprachen dazu nehmen! Von diesen drei Sprachen möchte ich erzählen. Warum? Weil Jesaja damals den Gottesknecht und heute uns heute erinnert: „Es ist zu wenig, dass Du mein Knecht bist, nur um die Stämme Jakobs (nur um die aus Agnes) wieder aufzurichten (…). Ich mache Dich zum Licht für die Völker, damit mein Heil bis ans Ende der Erde reicht. – Tja, und dafür braucht man eben Sprache und Sprachen. Also jetzt: die drei Sprachen, die so etwas wie „Über-Sprachen“ sind, „Meta-Sprachen“ würde man in der Wissenschaft sagen.

Die Sprache der Geschichte

Manch einer mag hier sein, der Köln noch in Trümmern erinnert, andere mögen hier sein, die gerade ihren 10. oder 15. Hochzeitstag feiern, andere, die sich vor dem, was in der Welt oder was in Köln so passiert, fürchten.

Was nach dem Krieg, was nach Beginn einer Familiengründung oder was gegenwärtig in den Umbruchssituationen beginnt, hat ein Verbindendes: ich muss mich fragen, wer ich bin, wer wir sind, es geht um meine neue Identität, die mir und dann anderen klarmacht, wer ich bin, wer wir sind – und wo wir hinwollen. Dazu müssen Sie eine Sprache des Aufbaus sprechen, eine Sprache der Geschichte. Übrigens hat das auch Israel so gemacht – nach der Flucht aus Ägypten und dem Niederlasen in Kanaan mussten sie sich erst einmal als Volk finden, als eine Gemeinschaft, die von sich – beim Landtag in Sichem in Jos 24 – sagt: „Ich aber und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen!“. So entstand Israel! „Ich aber und mein Haus, wollen wir dem oder jenem dienen…“ – mit der Frage nach dem „Wer wollen wir sein?“ so entstand Köln aus den Trümmern, so entsteht Familie, und so sind wir gehalten zu fragen: Wer bin ich? Wer sind wir? Wem wollen wir dienen? Was ist meine, was ist unsere Identität? Die erste Sprache, von der ich glaube, dass wir sie beherrschen, wenn wir nur wollen.

Die Sprache der Prophetie

Wenn die Dinge erst einmal „geworden sind“,  schleift sich vieles ein: Kölscher Klüngel, Familienrituale, Weisen des persönlichen Einrichtens in dem, was ist und was wir gerne beibehalten wollen. In Köln bekommen Sie alles drei zusammen: Ich bin Kölner – wir leben unser Kölsche-Jong-sein auf diese und jene Art und Weise, und da soll bloß keiner dazwischenkommen. In der biblisches Geschichte bei Israel heißt das: Opferkult und Gesetzesgehorsam prägen den Glauben des Gottesvolkes, man hat sich gut eingerichtet und weiß zwar nicht, wie Christsein oder katholisch sein, aber wie jüdisch sein geht. Es braucht die mahnende und klärende Stimme, um was es letztlich zu gehen hat – in Köln, in der Familie, in der erlebten Gegenwart und in Israels Geschichte. Die prophetische Sprache ist es, die klärt und reinigt. Rituale werden in Frage gestellt – sie sollen dem Leben dienen, nicht einfach erfüllt oder weitergeführt werden. Was heißt in Köln heute „Leve un leve losse“? Gilt das noch? Und für wen gilt das, in welcher Weise? Oder die prophetische Sprache in der Familie – etwa, wenn die Kinder aus dem Haus sind: wie wollen wir weitermachen als Paar? Als Eltern? Die prophetische Sprache in Israel: „Es ist zu wenig, wenn du nur die Stämme Israels aufrichtest – sei ein Licht für die Völker, trage mein Heil bis ans Ende der Erde.“ Für die erlebte Gegenwart: Stifte hier Heil, wenn die vom Ende der Welt hierherkommen. Um Reinigung geht es der prophetischen Sprache, um das Erinnern, um was es im letzten geht: in Köln, in den Familien, in der Geschichte Israels mit seinem Gott – in der gegenwärtigen Geschichte mit unserm Gott. „Sehen – urteilen – handeln“ nennt das katholische Soziallehre. „Wahrnehmen – unterscheiden – entscheiden“ heißt das in der ignatianischen Spiritualität.

Die Sprache der Weisheit

Dann wird Israel besiegt, kommt ins Exil, in dem die meisten ihren Glauben verlieren – nur eine kleiner „heiliger Rest“ versucht, ihre Geschichte mit Gott neu zu klären. Man könnte es vergleichen mit verdunstendem Glauben auch in Köln, mit Familien, in denen durch was auch immer kein Stein auf dem anderen bleibt, mit einer rasanten erlebten Gegenwart, in der so vieles und so viele scheinbar völlig losgelöst voneinander, wenn nicht sogar gegeneinanderstehen. Hier lernt Israel die Sprache der Weisheit, die alle Oberflächlichkeit hinter sich lässt und in die Tiefe geht. Es ist die Weisheit, Gott in allem zu finden, wenn man nur tief genug hinsieht, hin spürt, hineingeht. Eine Sprache, die das Verbindende sucht und dem Trennenden einen hinteren Platz zuweist. Eine Sprache, in der Herz zu Herz spricht, auch wenn die Worte fehlen. Diese Sprache der Weisheit hilft, dass Israel mit seiner Identität – die Sprache der Geschichte – und seiner gereinigten Haltung vor Gott – die Sprache der Prophetie – neben und mit anderen Völkern bestehen kann. Die Sprache der Weisheit hilft, Köln und seine Lebensverhältnisse liebenswert und diese Verhältnisse am Überleben zu halten. Diese Sprache hilft Menschen in ihrem Zusammenleben auch dann, wenn Krisen und Enttäuschungen überwältigend zu sein scheinen.

Sprachkenntnis erlangen

Wie viele Sprachen beherrschen Sie, habe ich am Anfang gefragt. Und „Plus drei“ habe ich Ihnen zugesagt. Ich wünsche Ihnen und mir sehr, dass wir mindestens diese drei Sprachen als „Fremdsprachen“ wenn schon nicht beherrschen, so doch sie ersehnen und ein Grundvokabular in diesen Sprachen drauf haben und erlernen können:

Eine Sprache der Geschichte, in der wir uns klarmachen, wie wir geworden sind und wer bzw. was unbedingt zu unserem Leben gehört.

Eine Sprache der Prophetie, in der wir ausdrücken können, wie wir unseren Glauben an Gott für die Gegenwart mitten in unserem alltäglichen Leben gereinigt und klar haben.

Und eine Sprache der Weisheit, die das Verbindende ins Wort bringen kann und erst als Zweites mit dem Ohr gehört wird, weil sie als Erstes von Herz zu Herz spricht.

„Seid ein Licht für die Völker, und tragt mein Heil bis ans Ende der Welt“ – und zu denen, die am Ende sind oder vom Ende der Welt kommen.

Amen.

Harald Klein, Köln

Anm.: Der Predigt liegt die Ansprache von P. Adolfo Nicolás zum Weltdelegiertentreffen der GCL in Beirut (2013) zugrunde. Sie kann unter „Downloads“ auf www.gcl-online.de abgerufen werden.