Die Globalisierung der Nächstenliebe (Papst Franziskus)

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Wie geht Globalisierung?

Gibt es Schritte, die ablaufen müssen, damit am Ende von einer Globalisierung gesprochen werden kann? Der Ablauf ist einfach nachzuvollziehen: Zuerst fallen Grenzen, Mauern, Weltanschauungen – man denke an den Fall der Mauer und den Zerfall der Sowjetunion. Dann fließt Kapital, aus welchen Gründen auch immer, man denke an die vielen Internationalen hochverzinsten und damit auch riskanten Anleihen; anschließend verändert sich der Arbeitsmarkt – man denke an die Schließung der Werke in Deutschland und die Eröffnung in anderen, „preiswerteren“ Ländern. Und dann folgen Menschen. Da ist von Flucht und Migration nur ganz am Rande die Rede. Die kommen dann aus Ländern, die in diesem Prozess abgehängt sind, die Grenzen – politische, religiöse, kulturelle – hochhalten wollen.

Wer A sagt, muss auch B sagen

Man könnte meinen, wer A sage, müsse auch B sagen. Die Flucht- und Migrationsbewegungen haben erkennbar auch Wurzeln im Bemühen, politisch, wirtschaftlich und kulturell möglichst „global“ zu werden. Globalisierung ist scheinbar nur grenzenlos zu denken. Das meint „A sagen“.

Und „B sagen“? Diese Haltung, dieses Bestreben und Bemühen fordert Opfer. Und die kommen jetzt an, am ehesten neben den Ländern, die sich abschotten gegen Globalisierung, aber auch bei uns und überall dort, wo global gelebt und gehandelt – im doppelten Sinne des Wortes – wird.

Das ist nicht neu. Das Buch Exodus erinnert an die Fremdheit Israels in Ägypten. Geschichte ist bröselig. Die deutsche Nachkriegsgeneration kam sich auch heimatlos vor im eigenen Lande, denken Sie an die Studentenunruhen und den deutschen Herbst in den späten 70er Jahren. Und es scheint, dass Fremdheit Gewalt provoziert. Oder Verstehen und Verändern – diese Alternative ist uns gegeben.

Papst Franziskus auf Lampedusa

Papst Franziskus erinnert oft daran. Am deutlichsten bei seinem Besuch auf der Insel Lampedusa im Juli 2013, seine erste Papstreise überhaupt. Hier spricht er von einer „Globalisierung der Gleichgültigkeit“ und setzt ihr die Frage „Adam, wo ist dein Bruder?“ gegenüber. Zwei Jahre später setzt er als Antwort darauf in der Botschaft zum Welttag des Migranten und Flüchtlings dann den Begriff der „Globalisierung der Nächstenliebe“ gegenüber.

Mir scheint, dass das heutige Evangelium vom Doppelgebot der Liebe zu Gott und zum Nächsten in diesem gegenwärtigen Horizont, unter den jetzt geltenden Zeichen der Zeit eine klare Weisung Jesu hat. Zum einen geht es wohl nicht in dem ersten Gebot der Gottesliebe und dem zweiten Gebot der Nächstenliebe um ein „Additivum“. Nicht: erst mal Gott lieben, und dann auch noch den Nächsten. Das zweite scheint mir ein Interpretament des ersten Gebotes zu sein: das Maß, in dem Du Gott liebst, zeigt sich in der Liebe zu Deinem Nächsten. Oder umgekehrt: das Maß, in dem Du Deinen Nächsten liebst, ist auch das Maß Deiner Gottesliebe. Und zum zweiten mag der Grundsatz der scholastischen Gnadenlehre gelten: der Mensch unter der Gnade muss niemals über die eigene Kraft hinaus wirken, aber die Gnade stützt und stärkt genau diese Kraft. Den Nächsten lieben wie sich selbst – dem Nächsten, auch wenn es der Fremde ist, das gönnen und geben, was ich mir selbst geben und gönnen würde. Das kann Ansehen sein, ein Willkommen, ein Verstehen wollen und ein Angebot der Hilfe.

Globalisierung braucht Subsidiarität und Solidarität

Zwei Begriffe der Katholischen Soziallehre sind hier wichtig: Subsidiarität und Solidarität. „Subsidiarität“: was der andere aus eigenen Kräften zu tun vermag, soll er tun, alles andere wäre paternalistisch. Aber Hilfestellung geben, dies auch selbst zu tun, das wäre schon mal ein Anfang. Und „Solidarität“: Den „Nächsten“ nicht definieren von Hautfarbe, Religion, Sprache, Nation, geschlechtlicher Identität, sondern dadurch, dass er mir als Nächster begegnet, wie auch immer.

Vielleicht ist das Beste, was wir subsidiär und solidarisch tun können, um Gottes- als Nächstenliebe und Nächsten- als Gottesliebe zu leben, schlicht das Angebot der Begegnung, des Zuhörens, des Unterstützens niemals mehr, als in unserer Kraft liegt, aber auch niemals weniger als wir zu tun vermögen.

Es geht uns ein wenig wie Jesus: die Situation, in der wir global stehen, ist wie eine Probe, auf die wir gestellt werden. Lassen Sie sie uns bestehen in einer Globalisierung der Nächstenliebe. Wer A sagt, muss auch B sagen!

Amen.

Harald Klein, Köln