„Die guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen“

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Leben wie Aschenputtel

Sie kennen die kleine, hübsche Tochter des reichen Mannes, dessen Frau starb und dessen zweite Frau dann zwei Töchter mit ins Haus bringt, so dass „stiefmütterlich“ für die erste kaum noch Platz ist? Aschenputtel wird die erste Tochter genannt, weil die beiden andren Halbschwestern samt der Stiefmutter ihm das Leben schwermachen: nur gröbste Schmutzarbeit soll sie leisten, und sie muss neben dem Herd in der Asche schlafen.

Ach, könnte ich und könnten Sie klagen, wie stiefmütterlich manchmal das Leben behandelt… – oder die, mit denen ich lebe oder sogar leben muss. Da komme ich mir vor wie der große Bruder von Aschenputtel. Schauen Sie mal zurück auf die vergangene Woche – oder schauen Sie auf das, was da kommt: Meldet sich das etwas von Ihrem Aschenputtel-Dasein?

Die Tauben und der Ball

Der Ball des Königs bildet den Höhepunkt im Märchen. Die Stiefschwestern lassen sich von Aschenputtel herrichten und herausputzen für den Ball, und dann geben sie ihr einen Topf voller Linsen, von denen sie die guten herauslesen und die schlechten wegwerfen soll. Sie hat auf dem Ball des Lebens nichts verloren, soll in Schutt und Asche bleiben.

Und jetzt geschieht das Wunderbare: als Aschenputtel sich an die Arbeit macht, kommen zwei Tauben angeflogen und fragen, ob sie ihr helfen können. „Ja“, antwortet Aschenputtel, „die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.“ Und vom Wunschbaum der verstorbenen Mutter wünscht sich das Aschenputtel schöne Kleider: „Bäumchen rüttel dich, und schüttel dich, wirf schöne Kleider über mich!“ Und dann geht sie zum Ball, wo der Prinz nur Augen für sie hat. Dreimal geschieht das – mit Linsen, mit Wicken, mit Erbsen. Und immer, wenn der Prinz sie festhalten will, läuft sie weg und entkommt. Bis der Prinz am dritten Tag Pech auf die Treppen streichen lässt – Aschenputtels goldener Schuh bleibt hängen – und den Rest der Geschichte mit dem „Rucke di guh, rucke di guh, Blut ist im Schuh“, der Selbstverstümmelung der Stiefschwestern und der Entdeckung des Aschenputtels durch den Prinzen mit Hilfe der Tauben, den erspare ich Ihnen jetzt.

Vom Leben bestraft, vom Leben vergessen?

„Ein Sämann ging aufs Feld, um zu säen…“ – das kennen Sie genauso wie das Märchen vom Aschenputtel. Und der Acker des Lebens ist wie der Topf mit den Linsen, die dem Aschenputtel hingestellt wird – und der Blick in diesen Topf des Lebens kann mir den Appetit aufs Leben verderben: so viele faule Linsen! Als wäre ich vom Leben bestraft, geschlagen, als hätte das Leben mich vergessen. Das Leben behandelt mich stiefmütterlich! In der Sprache des Gleichnisses: Mein Leben ähnelt dem felsigen Boden, dem Dornengestrüpp, ich fühle mich „versengt“, ausgelaugt, wie von den Geiern ausgerissen und gefressen, entwurzelt, von Dornen erstickt.

Die Tauben im Kopf

Und jetzt spielen Sie mal mit dem, was im Märchen geschieht! Stellen Sie sich mal vor, da gäbe es die beiden Täubchen, denen Sie sagen könnten: „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.“ Wenn ich nur auf die im Kröpfchen schaue, ist es kein Wunder, dass ich „so einen Hals bekomme“, wenn ich mein Leben betrachte – aber dazu bin ich nicht verpflichtet! Ich kann auch verdauen, was mir einen Hals macht. Die Kunst ist es, auf die Linsen im Topf zu schauen, auf das, was mein Leben fruchtbar macht, auf die Früchte, die ich ernten darf, auch weil sie andere für mich aussäten, teils dreißigfach, teils sechzigfach, teil hundertfach!

Sie brauchen die Tauben im Kopf – und wenn ich jetzt in der Taube die Symbolfigur des Heiligen Geistes sehe, weiß ich, was ich zu tun habe. Ich höre seine Stimme: „Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen.“

Sie werden das Unkraut nicht aus dem Weizen reißen können – aber das soll Sie doch nicht hindern, den Weizen zu sehen!

Kerzen wie Linsen

Zwei Ideen: die erste stammt aus der Arbeit mit Menschen, die therapeutisch bei Depressionen begleitet werden. Zehn Bohnen (Linsen sind zu klein) in der linken Hosentasche – und immer, wenn Sie etwas Helles, Schönes, erleben, wandert eine Bohne von links nach rechts. Am Abend dann die Frage: was war heute eigentlich? Für was stehen nochmal die Bohnen rechts in der Hosentasche?

Die zweite Idee: In meinem Topf sind Kerzen! Ich schlage Ihnen vor, dass wir heute mal die Fürbitten sein lassen – und stattdessen lade ich Sie ein, die Kerzen als „gute Linsen oder Bohnen“ zu sehen. Die Orgel wird uns begleiten, und ich lade Sie ein, eine Kerze zu nehmen, sie einfach an der Altarkerze anzuzünden und auf den Altar zu stellen – stellvertretend als Dank für das, wo etwas Gutes in Ihr Leben hineingesät wurde, etwas, was Frucht gebracht hat, in aller Stille – und das mag dann stellvertretend für unser aller Dank stehen. Und vergessen Sie es nicht in der Woche, die vor uns liegt: „Die Guten ins Töpfchen.“

Amen.

Harald Klein, Köln