Inhalt: Im Rahmen der Studienfahrt der Missionszentrale der Franziskaner vom 02.-24.01.2019 lud der Leiter der Fahrt, P. Francis Kaviyil OFM die Teilnehmenden zu einem Interreligiösen Podiumsgespräch mit Austausch ins India International Center, Delhi, ein. Vertreter*innen von acht Religionen waren gebeten, in einem zehnminütigen Statement die Position der Religion, die sie vertreten, zunächst zur Frage nach der Harmonie der Religionen und dann zur Gefahr religiöser Vorurteile den anderen Religionen gegenüber vorzustellen. Im Anschluss gab es zunächst eine Zeit für eine kurze Diskussion am Podium, anschließend wurde die Diskussion auf die Teilnehmenden ausgeweitet. Abschließend kamen dann je zwei Vertreter*innen der Religionen mit in Kleingruppen zum Austausch zusammen.
Eröffnet wurde der Dialog mit einem gemeinsamen Entzünden einer Gebetslampe. Je zwei Vertreter*innen entzündeten gemeinsam eine Kerze. Vier Schülerinnen der Mater Die School, die von der franziskanischen Provinz Indiens getragen wird, sangen ein Morgenlob. Dann begrüßte P. Francis die Vertreter*innen am Podium zu diesem „coming together in understanding“ und stellt sie kurz vor. Das Treffen sieht er in Analogie zum Besuch des hl. Franziskus im Jahr 1219 bei Sultan von Ägypten. Sie trafen sich ohne Waffen, in einem Geist der Geschwisterlichkeit und mit einer Vielfalt an Erwartungen. P. Francis bietet – leider nur in deutscher Sprache möglich – das Wort der „Zwiesprache“ an, das in franziskanischer Tradition mehr meine als „Dialog“. Stelle der Dialog die Möglichkeit dar, die Inhalte zweier oder mehrerer Religionen anzuhören, suche die „Zwiesprache“ darüber hinaus auch danach, was an Wahrheit beim „anderen“ zu entdecken sei.
Die Kernthesen der Statements der Vertreter*innen werden hier kurz wiedergegeben
Die Statements der Vertreter*innen der Religionen
- Praween d’Souza, Provinzial der indischen Franziskaner: Fr. Praween macht darauf aufmerksam, dass man nur weitergeben könne, was man selbst habe – Religionen können den Frieden nur dann weitergeben, wenn sie ihn haben. Auch vertreten und betonen die verschiedenen Religionen verschiedene Aspekte der Verehrung Gottes. So mag jede einen eigenen Ton haben, der Akkord erklinge erst beim Zusammenspiel der Religionen. Ein Kernsatz aus seiner franziskanischen Tradition innerhalb seines Statements war: „You need power only for destroying something. For all the others you need love.“
- Swami Shantadmananda, Secretary, Ramakrishna Mission, New Delhi:Er stellte seine Religion als eine Strömung innerhalb des Hinduismus vor. Der Hinduismus als Ganzes wolle nicht verurteilen oder ablehnen. Der Swami fragt jedoch nach den Werken, zu denen die anderen Religionen auffordern bzw. die durch sie grundlegend getan werden. Einen wirklichen Christen, erkennbar an seinen Werken, wird der Hinduismus niemals ablehnen. Deutlich wird, dass Gewalt in/durch Religion erst dadurch entsteht, dass die Religionen entweder ihre Werte vergessen oder die eigenen Werte absolut setzen. Swami Shantadmananda appelliert an das „Wert-volle“ in den verschiedenen Religionen. Von daher setzt interreligiöse Verständigung eine intra-religiöse Verständigung voraus. Die einer Religion Zugehörigen müssen wissen, welche Werte ihrer Religion entspringen und in welchen Werthaltungen sie sich ausdrücken. Das Nicht-Verstehen der eigenen Religion ist für ihn das Problem der Gegenwart. Der interreligiöse Dialog muss dann auf der Ebene der einenden Spiritualität, nicht auf der Ebene der unterscheidenden Religionen geschehen.
- Dr. Amrit Kaur Basra, Delhi University, Scholar of Sikhism, New Delhi:Der Sikhismus sei von Gründung an ausgerichtet auf einen gewaltfreien Dialog der Religionen. Für diese Religion sei die Orthopraxie wichtiger als die Orthodoxie. In einer mehr und mehr globalisierten Welt gelte es, in „Brotherhood“ Gottes Liebe zu suchen, sie anzunehmen und sie weiterzugeben. Jeder Religion sei zuerst die Notwendigkeit der Selbstkorrektur aufgegeben. Das je Eigene solle in der eigenen Religion benannt und gefeiert werden, aber dann auch gemeinsam mit anderen. Einigkeit heiße für den Sikhismus, den anderen zu dienen. Die Lehre könne missverstanden werden, der Dienst nicht. Wer seine Religion praktiziere, müsse das in ehr vielen Rollen tun. Es brauche Klarheit in den Rollen, d.h. wie lebe ich meine Religion in welcher Rolle, wo gibt sie wie den Ton an?
- Sanjay Jain, Secretary General, All India Council of Religion for Peace:Die Frage nach der Überwindung der Vorurteile der Religionen untereinander sei sowohl notwendig als auch kompliziert. Religion und religiöse Vorurteile bestünden ja nicht nur zwischen den Religionen, sondern auch innerhalb der Religionen. Es scheine zu gelten: Je mehr die eigene Religiosität wüchse, desto größer würden auch die Vorurteile gegenüber den anderen Religionen. Auch er betont: Zeitgleich zum interreligiösen Dialog müsse auch ein intrareligiöser Dialog geführt werden. Bevor „die“ Religionen an das Lösen der Vorurteile untereinander gehen, sei die Lösung dieser intrareligiösen Vorurteile anzustreben. Im Jainismus sei das höchste Ziel die Gewaltfreiheit. Leben und leben lassen werde hier angestrebt. Das „agree to disagree“ – die Übereinstimmung, nicht übereinzustimmen – solle als Ziel und Haltung eingeübt werden.
- Rabbi Ezekiel Malekar, Secretary, Judah Hyam Synagogue, New Delhi:Er beginnt mit einem Zitat des indischen Dichters Tagore: „Do not go to the temple. First fill your own home with Gods light.“ Juden gäbe es seit 2000 Jahren in Indien, als dem einzigen Land, das keine Verfolgung der Juden kenne. Das wichtigste Gebot in der Frage nach Überwindung von Vorurteilen anderen Religionen gegenüber sei für die ihn das vierte Gebot der Ehre, die den Eltern gebühre. Respekt gebühre ihnen vor allem deswegen, weil sie der nachfolgenden Generation das Zusammenleben in Harmonie mit den anderen Religionen lehrten. Ebenso sei es ein Erbe der Eltern, selbst dann, wenn man nichts Gutes über andere (auch andere Religionen) sagen könne, nichts Schlechtes über sie zu sagen. Harmonie der Religionen äußere sich für ihn im Satz „Follow one and respect all!“ In wichtigen Einzelfragen könne trotzdem eine Zusammenarbeit gelingen, z.B. in der Option für die Armen, im Kampf um Gleichstellung der Frauen und in der Bewahrung der Schöpfung.
- Ava Khullar on behalf of Shernaz Cama, Zoroastrian scholar, Parzor Foundation:Sie spricht als Vertreterin der ältesten Religion. Zarathustra lebte 1600 v.Chr. und beschrieb eine Religion des moralischen Lebens. Die Anerkennung von Gottes Schöpfung führe zu allem Guten, zu guten Gedanken, guten Worten und guten Taten erwachsen dieser Anerkennung. Die Religionen hätten die Aufgabe, Harmonie in der Welt herzustellen. Es solle ihnen um „Ökologie“ gehen, um die „Sorge für das ganze Haus“, um einen Blick auf das Ganze der Welt. Der Blick auf das Ganze der Welt kumuliere im Blick auf das Fragment. Die Erkenntnisse der Wissenschaft glichen einem „Fahrplan“ oder eine „Landkarte“ für das ganze Leben, und Aufgabe der Religion sei es, zu sagen, wie dieses Leben gelebt werden kann. Als Beispiele für dieses Zusammenspiel sieht sie den Mauerfall in Deutschland, das Auflösen des Eisernen Vorhangs, aber auch Bewegungen wie Occupy Wall Street.
- ’in Dr. Farida Khanum, Jamia Millia Islamia for Islamic studies:Ihr Ausgangspunkt war der Schöpfungsplan Gottes und die Frage, welche Rolle der Mensch darin spiele. Alle Religionen haben das Leben als eine gute, gesegnete Zeit im Blick, das auf ein Eingehen in Gottes Frieden in Aussicht stelle. Woher kämen dann die vielen Konflikte? Es sei vor allem die Disharmonie im sozialen Zusammenleben, die diese Konflikte herbeiführten. Sie beklagt einen „surpreme complex“, der sich in der Haltung ausdrücke, die eigene Religion sei irgendwie „richtiger“ als die anderen, und spricht damit den alleinigen Wahrheitsanspruch mancher Religionen an. Eine „purification of itself“ sei notwendig.
- Shalini Mulackal, Faculty, Vidyaiyoti College of Theology:Von der Religion des Zarathustra über das Judentum bis ins Christentum und den Islam hinein sei der Glaube an ein Ewiges Leben etwas, was die Religionen verbinde. In den westlichen Religionen geschehe dies als „Privatsache“ im Sinne von „wer mag, der engagiere sich“. In den östlichen Religionen praktiziere man die Ausübung der Religion eher in der Öffentlichkeit. Das könne zu Streitigkeiten führen. Verschiedenste Gruppen versuchten, ihre Religion praktisch zu leben, oft als kleine Splittergruppen. Vieles geschehe hier im Namen der Religion und führe zu Konflikten. Wichtig sei zu verstehen, dass diese Konflikte „gemacht“ und „konstruiert“ seien. Es gebe einen Unterschied zwischen dem ursprünglichen „Jesus-Movement“ und der christlichen Religion, die eine 2000jährige Geschichte mit sich trage. Sr. Shalini erinnert daran, was alles im Namen der christlichen Religion geschehen sei. Dies alles sei nur verständlich in einem geschichtlichen, d.h. in einem „gemachten“ und „konstruierten“ Kontext. Sie erinnert weiter an das Zweite Vatikanische Konzil. Der theologische Grundsatz, dass das Reich Gottes nahe sei, lädt ein, sich zurück zu besinnen und auf die Praxis Jesu zu schauen. Hier sei Liebe, Frieden und geschwisterlicher Umgang zu finden. Dies sei die Basis, aus der ein „Lehrauftrag Jesu“ für die christlichen Kirchen aufzubauen seien.
- A. K. Merchant, Trustee, Bahai Lotus Temple & General Secretary, Temple of understanding India Foundation:Für die Bahai sei es eine entscheidende Aufgabe, in Dialog mit allen anderen Religionen zu kommen. Für sie sei Menschlichkeit eine Größe, die einen verbindenden Geist habe. Diese Menschlichkeit und der Einsatz dafür solle für den ganzen Planeten gelten. Das Gute aller Religionen solle genutzt werden, diese Perspektive der Menschlichkeit zu gestalten. Die Bahai stehen für klar umrissene Werte: „unity in difference“, „life in peace“, für eine weltumgreifende Gerechtigkeit. Die Religionen sollen sich frei machen von ihrer Geschichte, die voller Blut sei; besser sei es, sich von neuen Ideen und Visionen leiten zu lassen. Ziel der Bahai sei eine erleuchtete Gemeinschaft in ökumenischer Dimension, die sich durch Menschlichkeit und Gerechtigkeit auszeichne.
- P. Francis Kaviyil OFM:Als abschließende und zusammenfassende Gedanken führt P. Francis drei Linien zusammen: Im interreligiösen Dialog gehe es darum, Ideen gemeinsam zu teilen, aufeinander zu hören und das miteinander zu teilen, was den Hunger der Welt stille. Er erinnert an die Wirklichkeit der Hindus, dass alle Menschen zu einer Familie gehörten. Diese Familienatmosphäre gelte es aufzubauen und zu bewahren. Er erinnert an ein Lied, dessen Text Dom Helder Camara zugeschrieben wird: „Wenn einer alleine träumt, ist es nur ein Traum. Wenn viele gemeinsam träumen, so ist das der Beginn einer neuen Wirklichkeit. Träumt unsern Traum.“
Anschließend findet eine kurze Diskussion in drei Kleingruppen statt. Die Moderator*innen der Gruppen geben ein kurzes Statement über den Inhalt der Gruppen ab.
Fred Schneideräußert den Eindruck, dass Indien ein Land sei, das immer schon Toleranz kenne. Gleichzeitig erlebe er diese Toleranz gegenwärtig als sehr angegriffen und angreifbar. So werde der Jainismus angegriffen und verfolgt wegen seines Reichtums. Die Frage und die Verlockung der Macht würde den Grundsätzen der Religionen entgegenstehen.
Elisabeth Freitagfasste den Interreligiösen Dialog mit der Bemerkung zusammen, dass es wohl zu seinem Wesen gehöre, dass Harmonie und Disharmonie in Koexistenz nebeneinanderstünden.
Für Meggie Chatenaywar es ein Zeichen der religiösen Entwicklung, dass die Leitung einer orthodoxen Synagoge sich entschlossen habe, dann zu beten, wenn nicht – wie orthodox gedacht – zehn Männer zusammenkämen, sondern wenn zehn Menschen da seien, gleich welchen Geschlechts oder welcher Religion. Sie betonte anhand dieser kleinen, im Gespräch geäußerten Episode die Lernbereitschaft von Religionen auf die Gesellschaft hin.
Dr. Joachim Hackenbruchfragte nach der Möglichkeit der Abschaffung von überalterten Ritualen in den Religionen, damit die Möglichkeit gegeben sei, sich selbst als Religion neu finden zu können. Das gegenwärtige kulturelle Umfeld müsse neu und stärker in den Blick genommen werden, damit Religionen wirkmächtig sein könnten. Hier spielten vor allem Freiheit und Gleichberechtigung eine Rolle.
Meine eigene Reflexion auf diesen Vormittag:
- Ich frage mich, ob von einer „Harmonie der Religionen“ gesprochen werden kann. Wenn überhaupt, kann das nur gelingen, wenn beim Bild und bei der gemeinsamen Rede vom Menschen als Geschöpf und Gegenüber Gottes angesetzt wird.
- Als gemeinsames Ziel der Religionen wurde „Ewiges Leben“ oder „Reich Gottes“ genannt. Hier kommt das franziskanische „dreifache Zwiegespräch“ in den Blick: im Zwiegespräch mit Gott (der betende Franziskus), im Zwiegespräch mit dem Armen und Notleidenden (Franziskus und der Aussätzige) und im Zwiegespräch mit dem Anderen (Franziskus und der Sultan) sollen im Interreligiösen Dialog Haltungen verglichen und Methoden und Handlungen gesucht werden, die auf dieses Ziel hin ausgerichtet sind.
- Dies kann nur gelingen in der Haltung, die Ignatius von Loyola in seinem Exerzitienbuch beschreibt. Es gehe – analog zu den Exerzitien – darum, eine Bereitschaft zu haben, die Aussage des anderen zu retten als sie zu verurteilen. Man erkundige sich zuerst, wie der andere sie verstehe. Verbessern könne man sie nur mit Liebe, und wenn das nicht genüge, solle man mit allen angemessenen Mitteln versuchen, sie auf das Ziel hin zu lenken, das dem Dialog voransteht.
- Jedes Streiten um Worte, um Riten, um geschichtliche Hintergründe und Geschehnisse muss zurücktreten und entkräftet werden, damit das Ziel – Harmonie der Religionen, Überwindung von Vorurteilen, wirkmächtiges Auftreten auf eine menschenwürdige und gerechte Welt hin – durch die Religionen – gelingen kann.
- Ein wesentlicher Weg dahin ist der „intrareligiöse Dialog“. Es ist nicht zu erwarten, dass dieser Weg in den verschiedenen Religionen mitgetragen werden wird. Solange es Ziel der Autoritäten ist, die eigene Religion, deren Wahrheitsanspruch und deren eigene religiöse Vollzüge über den Dienst an der Welt auf Menschlichkeit und Gerechtigkeit zu stellen, wird es immer nur Splittergruppen in den Religionen geben, die dieses Anliegen nicht aus den Augen verlieren. Es gilt, mehr noch als den „Traum“ des Dom Helder Camara gemeinsam zu träumen, ihn in Haltung und Tat umzusetzen.
Köln, 05.02.2019
Harald Klein