Die letzten Dinge – Regeln?

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Das großgeschriebene „R“

Nein, das große „R“ ist kein Druckfehler in der Überschrift. In unserer Kölner Gruppe ist das ein Jahres-, besser: ein Dauerthema geworden, die Frage danach, ob und wie wir die sog. „letzten Dinge“ regeln wollen. Und die Frage danach, ob es in der ignatianischen Spiritualität so etwas geben kann wie „Regeln zum Umgang mit den letzten Dingen“.

Der Anlass

Wie gehen wir um mit der Frage nach Organspende nach dem Tod, mit Patienten- und Betreuungsverfügung, mit Vorsorgevollmacht und Testament? Kennen Sie das? Diese Frage meldete sich immer wieder leise – und ein jeder von uns schob sie von sich weg. Spätestens nach dem schweren Schlaganfall eines ehemaligen Gruppenmitgliedes konnte (und wollte?) sie offen und als Anfrage an uns alle ausgesprochen werden. Wenn es vielleicht auch keine klaren „Regeln“ aus der ignatianischen Frömmigkeit gibt, so gehört der offene und geistliche Umgang mit dieser Frage unausweichlich in diese Spiritualität. Kein Thema für einen Abend, nicht mal für eine Reihe, aber ein Offenhalten der Frage, ein sich Begleiten und das Nachfragen in jeder Gruppe im Sinne von „Gibt es was Neues?“ haben wir uns auf die Agenda der Treffen geschrieben. Ziel ist es, im Laufe des Jahres die letzten Dinge geregelt zu haben, sofern es uns möglich ist.

Der Einstieg

Ein thematischer Abend galt der Unterscheidung der Geister: Was bewegt mich, was empfinde ich, wenn ich diese Worte anschaue, auf mich zukommen lasse? Die „Worte“ (s. Kasten links oben) liegen ausgedruckt auf dem Tisch. Allein mit dem Austausch, welcher Geist sich regt und was der Blick auf diese „letzten Dinge“ in uns auslöst, genügt, um den Abend zu füllen. Die verschiedenen Lebenssituationen – Ehepaar oder Alleinlebend – kommen in den Blick. Ein Zurückschrecken vor dem Gedanken, dass ich mit diesen Dingen einem anderen, egal, wie nah oder fern er/sie mir ist, eine Bürde auferlege, erschreckt im ersten Moment. Und die Frage: wen kann ich bitten? Wer soll, kann, will diesen Dienst für mich übernehmen? Am Ende wird deutlich: Ich übergebe mich in meiner größten Schwachheit dann anderen. Aber auch: Ich tue denen, denen ich (wie auch immer) angehöre, einen Dienst, weil sie nicht über mich entscheiden müssen, sondern meine Entscheidung umsetzen.

Wie weiter vorgehen?

Schnell wird deutlich, dass wir zu wenig Kenntnis über die gesetzlichen Regelungen haben. Wir teilen uns auf, informieren uns über je eines der „letzten Dinge“. Vor allen gesetzlichen Regelungen sind es exemplarische Fragen (aus der rechts angegebenen Broschüre) des BMJV, die wir uns stellen und mit denen wir für einen Zeitraum umgehen werden, bevor wir sie in der Gruppe thematisieren:

  • Das bisherige Leben: Was ist in meinem Leben bislang wertvoll gewesen? Bin ich mit meinem Leben zufrieden, so wie es war? Was hätte ich mir anders gewünscht? Würde ich mein Leben anders führen, wenn ich es von vorn anfangen könnte? …
  • Das zukünftige Leben: Möchte ich möglichst lange leben? Oder ist mir die Qualität des Lebens wichtiger als die Lebensdauer, wenn beides nicht in gleichem Umfang zu haben ist? Welche Wünsche/Aufgaben sollen noch erfüllt werden? Wovor habe ich Angst im Hinblick auf mein Sterben? …
  • Eigene leidvolle Erfahrungen: Wie bin ich mit Krankheiten oder Schicksalsschlägen fertig geworden? Was hat mir in schweren Zeiten geholfen? …
  • Die Beziehung zu anderen Menschen: Welche Rolle spielen Familie oder Freunde für mich? Kann ich fremde Hilfe gut annehmen? Oder habe ich Angst, anderen zur Last zu fallen? …
  • Das Erleben von Leid, Behinderung oder Sterben anderer: Welche Erfahrungen habe ich damit? Löst das Ängste bei mir aus? Was wäre für mich die schlimmste Vorstellung? …
  • Die Rolle von Religion/Spiritualität im eigenen Leben: Was bedeutet mir mein Glaube/meine Spiritualität angesichts von Leid und Sterben? Was kommt nach dem Tod? …

Unsere Gruppe gönnte sich den Luxus, über Karneval aus Köln nach Langeoog zu flüchten und dort miteinander vier „Klausurtage“ mit diesen Fragen zu gestalten. Für einen Gruppenabend und seine Schritte schienen uns diese Fragen zu komplex. Und einige Abende damit zu verbringen hieße, viel „Zwischenzeit“ haben.

Eine erste Hilfe aus der ignatianischen Spiritualität: Unterscheidung der Geister

Im Zugehen auf die Fragen regt sich mancher Geist, und es gilt zu unterscheiden. Jedes „Doch jetzt noch nicht …“ oder „Wen soll ich denn fragen …“ kann entkräftet werden dadurch, dass es sich bei all diesen Verfügungen um Hilfen für die handelt, die sowieso entscheiden müssen. Durch die Regelungen werden sie aus der Rolle des Allein-Entscheiders herausgenommen. Sie tun letztlich dem einen Dienst, der diese Verfügungen beschrieben hat. Gerade diejenigen, die ohne Familie leben, werden sich schwertun – aber auch das ist eher ein Zeichen des „Aber-Geistes“. Die Bitte der Übernahme dieses Dienstes, die einem vertrauten Freund, einer vertrauten Freundin ans Herz gelegt wird, ist ein Zeichen von Vertrauen und Zutrauen zugleich. Sie muss begleitet sein von der Freiheit, das Ausschlagen der Bitte anzunehmen, wenn das Maß der Verantwortung dem anderen zu hoch erscheint. Wenn sie angenommen wird, wird diese Annahme die Beziehung verändern, da können Sie „getrost“ (im ignatianischen Sinne) drauf vertrauen. – Es kann ein Dienst der Gruppe sein, einander in der Suche nach Menschen, denen man die Aufgabe antragen möchte, zu begleiten und zu stärken.

Eine zweite Hilfe aus der ignatianischen Spiritualität: Indifferenz

Das 4. Kapitel der Benediktregel ist überschrieben mit „Die Werkzeuge der geistlichen Kunst“, in anderen Übersetzungen „Die Instrumente der guten Werke“. RB 4,47 heißt: „Sich den drohenden Tod täglich vor Augen halten“ (Steidle, Basilius <131983>: Die Regel des heiligen Benedikt, Beuron, 29). Wieder gelten die Regeln der Unterscheidung. Diese Regel entspringt nicht der Angst vor dem Tod, sondern der Freude und der Wertschätzung des gegenwärtigen Lebens. Sie erinnert an das „Prinzip und Fundament“ des Ignatius in EB 23 und an seine Mahnung, ein langes Leben nicht mehr zu wollen als ein kurzes. Denn in allem liegt die Möglichkeit der tieferen Ehre Gotte, und damit der größeren Liebe zu den Menschen. Der Frage (in der Gruppe) nachzugehen, was ich im „abschiedlich leben“ noch brauche, was ich weggeben kann und wem ich es „mit warmer Hand“ geben möchte, ist letztlich lebensbejahend, nicht lebensbedrohend, wenn sie diesem Geist entspringt.

Eine Betrachtung aus dem Exerzitienbuch

Und jetzt der Antwortversuch auf die Frage, ob es bei Ignatius „Regeln“ zum Umgang mit den letzten Dingen gibt. Ein gemeinsames Begleiten in der Gruppe kann auch mit EB 189 gelingen, der Betrachtung, „um das eigene Leben und den eigenen Stand zu bessern und zu reformieren“. Ignatius nimmt hier als Ausgangspunkt den „fehlenden Raum“ oder „keinen sehr bereiten Willen dazu, eine Wahl über Dinge zu treffen, die unter veränderbare Wahl fallen“. Damit umschreibt er gut die Situation, die ganz zu Anfang beschrieben wird. Der große Unterschied: es geht in der Betrachtung des eigenen Sterbens oder der Sterblichkeit letztlich nicht um Re- sondern um Transformation. Und dennoch gilt der Rat des Ignatius: Sie mögen doch keine Wahl treffen, sondern ihnen sei „eine Form und eine Weise anzugeben, das eigene Leben und den Stand zu bessern und zu reformieren, nämlich indem sie ihr Geschaffen-sein, ihr Leben und ihren Stand (eben die eigene Sterblichkeit, H.K.) zu Ehre und zum Lobpreis Gottes unseres Herren und zu Rettung ihrer eigenen Seele setzen. Um zu diesem Ziel zu kommen und zu gelangen, muss einer viel durch Übungen und Weisen zu wählen, wie es erläutert worden ist, erwägen und überdenken, ein wie großes Haus und Gesinde er haben, wie er sie lenken und leiten, wie er sie mit Worten und mit Beispiel unterweisen soll; ebenso über sein Vermögen, wieviel davon er für sein Gesinde und sein Haus nehmen soll und wieviel davon, um es an Arme und an andere fromme Werke zu verteilen. Indem er dabei nichts anderes will und sucht als in allem und durch alles größeren Lobpreis und Ruhm Gottes, unseres Herrn. Denn jeder bedenke, dass er in allen geistlichen Dingen soviel Nutzen haben wird, als er aus seiner Eigenliebe, seinem Eigenwillen und seinem Eigeninteresse herausginge.“

Auch hier kann die Gruppe sich selbst begleiten, indem die Einzelnen unterscheiden, wählen, entscheiden, wie sie einst leben wollen, was mit dem Vermögen geschehen soll, wie der letzte Weg aussehen soll. Nicht im Geist der Angst, sondern um so gerade im „Herausgehen aus Eigenliebe, Eigenwillen und Eigeninteresse“ selbst Nutzen zu gewinnen. Und um denen, die bleiben, einen Dienst zu tun, der sich sicher im Heute schon auswirken wird.

Harald Klein, Köln