Karfreitag – Die Spirale der Gewalt – und die Spirale des Vertrauens

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Die Unterscheidung des Verhaltens der Menschen und des Verhaltens Gottes

Sie erinnern sich an die drei Fragen von Leonardo Boff: „Wer ist Gott, und was vermag er? Wer ist der Mensch, und was vermag er? Was ist das Verhalten Gottes angesichts des menschlichen Verhaltens?“[1] An Palmsonntag ging es um die Frage nach dem Menschen – wer bin ich, wer sind Sie im Evangelium vom Einzug in Jerusalem? Finde ich, finden Sie sich wieder in der erwartungsvollen Menge? Oder bei denen, die etwas für den Herrn tun, etwas für ihn, um seinetwillen besorgt? Oder bei Jesus selbst, der nicht etwas, sondern sich selbst gibt, um Gottes Willen? Gestern, am Gründonnerstag, ging der Blick weiter auf Jesus, auf sein menschliches Handeln, das aber das Handeln Gottes versinnbildlicht, ausdrückt, zeigt.

Und heute, am Karfreitag, kommt uns Gott ganz nahe, auch in der ausgeteilten Kommunion, die, wie ich meine, eigentlich keinen Platz in der Karfreitagsliturgie hat. Aber vielmehr noch in der kleinen Prozession mit dem Kreuz und anschließenden in der ganz persönlichen Kreuzverehrung. Hier wird Boffs zweite Frage sinnbildlich beantwortet: „Was ist das Verhalten Gottes angesichts des menschlichen Verhaltens?“

Das Verhalten der Menschen in der Passionsgeschichte

Das menschliche Verhalten gibt es hier nicht. Oder anders: Sie finden eine Vielzahl menschlichen Verhaltens in der Passion vor. Gehen Sie die Passion in Gedanken einmal durch. Da ist Simon, der zum Schwert greift, um das Schlimmste zu verhindern – und später sein Verleugnen, sein Entsetzen über sich selbst, sein Weinen. Da ist die Gewalt der Soldaten, der Befehlshaber und der Gerichtsdiener und der Pharisäer, und später deren Spott, die Dornenkrone, das Losen um das Gewand, der Schwamm mit dem Essig. Da ist der Wankelmut des Pontius Pilatus, und später sein Versuch, sich von aller Schuld reinzuwaschen. Da ist das aufgewiegelte Volk und sein Schrei nach dem Kreuz, später das Abschieben der Verantwortung: „Wenn Du ihn freilässt, bist Du kein Freund des Kaisers.“

Sie können in dem Verhalten der Menschen, die an der Passion beteiligt sind, so etwas wie eine Bewegung in Form einer Spirale erkennen. Einmal angefangen mit der Lüge, mit der Gewalt, drehen sie sich immer weiter, geht es immer tiefer, und es endet tödlich. Man könnte auch sagen, Simon Petrus, die Soldaten, die Befehlshaber, die Gerichtsdiener, Pontius Pilatus und das Volk bleiben sich treu, bleiben konsequent auf ihrem eingeschlagenen Weg.

Das Verhalten Gottes in der Passionsgeschichte – angesichts des Verhaltens der Menschen

Ich finde es auffällig, dass es auch im Verhalten Jesu diese spiralenförmige Bewegung gibt. Bei der Szene mit der Verhaftung diskutiert Jesus noch mit Soldaten, Gerichtsdienern, Befehlshabern und Pharisäern, den Simon weist er angesichts seines Schwerteinsatzes zurecht. Bei Pilatus wird er zunehmend einsilbiger, was das Gespräch mit ihm angeht, wissend, dass eine Diskussion nicht zielführend ist. Und sein Blick geht, zumindest im Johannesevangelium, immer mehr weg von den Menschen, hin zu Gott. In der Begegnung mit Maria und Johannes wendet er es sich beiden zu: „Frau, siehe, Dein Sohn – Siehe, Deine Mutter.“ Vom Kreuz herab sein „Mich dürstet“, dann sein „Es ist vollbracht“, damit die Schrift erfüllt werde. Jesu Verhalten wird leiser, der Blick geht auf Gott, er verstummt.

In welcher Bewegung bin ich, in welcher will ich bleiben?

Wenn Sie gut ignatianisch „einsteigen“ in die Passion Jesu, so, als würden Sie Teilnehmer*in des Geschehens sein, in welcher Bewegung würden Sie sich vorfinden? Sie können in eine Vielzahl von Rollen schlüpfen: Soldat, Befehlshaber, Gerichtsdiener, Pharisäer, Pontius Pilatus, eine*r aus dem Volk – oder jemand, der unter dem Kreuz steht und zuschaut, mehr oder weniger innerlich oder äußerlich beteiligt, Sie können wie Maria und Johannes sich vom kreuztragenden Jesus angesprochen fühlen, Sie können sogar mit Ihrem Kreuz sich in der Passion wiedererkennen, an Jesu Stelle.

Und Sie können „passioniert“, leidenschaftlich Ihre eigenes Leben anschauen, mit all dem, was da geschieht, durch Sie, an Ihnen, neben Ihnen. Sie können die „Rollen‘“ der Passion“ denen um Sie herum zuweisen.

Welche „Bewegungen“ nehmen Sie da wahr? In welche „Bewegungen“ werden Sie, wie in einer Spirale, in einem Strudel, mit hineingezogen? Und welche „Bewegung“ lösen Sie selbst aus? Sie können unterscheiden zwischen der „Spirale der Gewalt“, die uns die die Passion vor Augen führt, und der „Spirale des Vertrauens“, die im Evangelium das letzte Wort behält.

Was mag den Petrus zum Weinen gebracht haben? Sicher nicht nur das Erkennen, dass Jesus mit dem Hinweis auf die Verleugnung Recht behalten hatte. Sicher auch das Wort aus dem Abendmahlssaal: „Ich habe Euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an Euch gehandelt habe.“ Das Beispiel der Fußwaschung verlängert sich in die Spirale des Vertrauens hinein, auch und gerade in der persönlichen Leidensgeschichte Jesu. Und in meine und Ihre. Amen.

[1] Boff, Leonardo (1987), Die befreiende Botschaft, das Evangelium von Ostern, Freiburg, 76.