Dreifaltigkeitssonntag – Der dreifache Blick in den Spiegel

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Drei Blicke in den Spiegel

Ein erster Blick: Manchmal ist es zum Fortlaufen, morgens zerknittert, zerzaust und vor dem ersten Kaffee in den Spiegel zu sehen, und dann den Kerl da, der doch ich bin, auch noch rasieren zu müssen. Ich selbst gegenüber meinem Spiegelbild: da ist Morgen für Morgen Raum zur Entfaltung, in doppelter Hinsicht!

Ein zweiter Blick: Da begegnen sich zwei, die sich sehr vertraut waren, nach vier Jahren wieder, und zumindest für den einen ist es völlig überraschend, die andere zu sehen. Und wie in einem Spiegel ist dann im Gesicht, im Lachen in der Umarmung des bzw. der anderen die ganze gemeinsame wunderschöne Geschichte von früher gegenwärtig, ist von jetzt auf gleich einfach wieder da. Ich sehe mich in Deinem Gesicht, Du findest Dich in meinem wieder – und bei aller äußeren Unähnlichkeit der beiden Gesichter sehen wir das Wir, sehen wir Uns – und sehen Zukunft!

Ein dritter Blick: Ich schaue mir im Spiegel in die Augen, in der Frühe des Tages; und ich schaue Dir in die Augen, in den Spiegel Deiner Seele, bei dieser wunderschönen Begegnung, ausgerechnet am Pfingstfest. Beide Male gibt es ein „Dazwischen“. Zum einen: Was mache ich mit dem Gesicht, das mich aus dem Spiegel anschaut? Wie wirke ich auf dieses Gesicht ein – und wie wirkt sich dieses Gesicht auf meinen Tag aus? Wie wird das Mich-anschauen am Abend des Tages aussehen? Zum anderen: Was folgt aus diesem „Augen-Blick“ zwischen uns, was geschieht nach dieser optischen Kontaktaufnahme mit Dir? Was wirkt dieser Moment, und was bewirkt dieser (nochmal) „Augen-Blick“? Beide Weisen haben eine Zukunft im Blick, die erste Weise mich und meinen Tag, die zweite uns und die offene Zukunft über den Moment, den Tag hinaus.

» Der Glaube ist [...] nicht die Erfahrung der Schau Gottes. Er gibt nur die Gewissheit, dass uns die Schau Gottes zuteil wird.«
Jalics, Franz (2006): Der kontemplative Weg, Reihe Igntianische Impulse Bd.14, Würzburg, 11.

Die Wirk-Weise des Geistes

Diese dritte Weise ist die Wirk-Weise nicht nur des Spiegels bzw. Spiegelns für zwei Menschen, sondern auch des Geistes. Ich will nicht theologisch spekulieren über die Frage der Trinität, die Dreifaltigkeit Gottes. Aber eines ist mir wichtig: Wenn Johannes in seinem Evangelium Jesus die Worte in den Mund legt: „Ich und der Vater sind eins“ (Joh 10,30), erinnert mich das an die erste Weise, den morgendlichen Blick in den Spiegel. Klar, dass es hier nicht um eine physische Ähnlichkeit, sondern um eine (ja, was?) die Person bildende, innere, mystische Identität geht. Und eine zweite Weise ist mir klar: Könnte ich, könnten Sie Jesus einen „Augen-Blick“ nur in die Augen schauen, wir würden ungefähr das erleben, was ich – und wohl nicht ich allein – am Pfingstfest erleben konnte: eine Wiedersehensfreude, das Spiegelbild einer gemeinsamen Geschichte, den unmittelbaren Beginn einer Zukunft, die an Vergangenem anknüpft, ohne es einfach weiterführen zu wollen. Da beginnt ein Geist zu wirken, der nur und gerade darauf gewartet hat. Diese dritte Weise, in einen Spiegel zu schauen, der die Wirk-Weise zwischen dem Spiegelbild und mir in den Blick nimmt, drückt die zweite Lesung mit dem Abschlussvers aus dem Zweiten Korintherbrief so aus: „Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus, die Liebe Gottes des Vaters und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen“ (vgl. 2 Kor 13,13).

» Ecce, ego et tu, et spero quod tertius inter nos Christus sit. - Hier sind wir beide, ich und du, und ich hoffe, als dritter ist Christus bei uns. «
Haacke, Rhaban (Hrsg.) (1978): Aelred von Rieval, Über die geistliche Freundschaft, Trier, 6f.

„Wohin genau kommt man…?“

In Rüdiger Safranskis philosophischer Herausforderung des Einzeln seins[1] stellt er die Frage: „Wo ist man eigentlich, wenn man bei sich ist?“[2] und weiter hinten: „Wohin genau kommt man, wenn man zu sich kommt?“[3] Der Dreifaltigkeitssonntag weist klug darauf hin, dass das mit dem „Einzeln sein“ nicht so einfach ist. Wie im Spiegel bin ich immer in einem Gegenüber: zerknittert und zerzaust sehe ich mich selbst an; in einer Vielfalt von Möglichkeiten, mal heil, mal schmerzvoll, erkenne ich mich im Gegenüber, und begnadet, geliebt und in Gemeinschaft gerufen, genommen, Gemeinschaft stiftend sehe ich mich in Gott und ahne Gott in mir. Das möchte ich Rüdiger Safranski gerne antworten. „Schau, dahin kann man kommen, wenn man bei sich ist und zu sich kommt!“

In der monastischen Tradition gibt es das Wort eines Abtes, der in einem fiktiven Dialog mit einem seiner Novizen alle drei Weisen des Schauens in einen Spiegel ausdrückt: „Ecce, ego et tu, et spero quod tertius inter nos Christus sit. – Hier sind wir beide, ich und Du, und ich hoffe, als dritter ist Christus bei uns.“[4] Das gilt für den Spiegel am Morgen, für das Bild, das sich mir zeigt und das ich bin. Das gilt für uns beide, für Dich und mich! Und das gilt für mein Wirken mir selbst gegenüber, aber auch zwischen Dir und mir: dass Christus bei uns ist – in Gnade, als Liebe, und die Gemeinschaft, die Zugehörigkeit stärkend.

Amen.

Für M.E.
Köln 29.05.2023
Harald Klein

[1] Safranski, Rüdiger (2021): Einzeln sein. Eine philosophische Herausforderung, München.

[2] a.a.O., 48.

[3] a.a.O., 68.

[4] Haacke, Rhaban (Hrsg.) (1978): Aelred von Rieval, Über die geistliche Freundschaft, Trier, 6f.