Spr831 – Ein Kennwort, das digitale Leben zu sichern
Um es gleich zu sagen: Das Evangelium muss heute draußen vor bleiben. Die Lesung, die für den Dreifaltigkeitssonntag, den Sonntag nach Pfingsten, im Lesejahr C vorgesehen ist, ist so schön – da muss ich einfach zugreifen.
Die Weisheit Gottes kommt zu Wort und stellt im 8. Kapitel vor. Sie, die Weisheit, sei „dabei gewesen“, als Gott die Welt schuf, als sein geliebtes Kind, das Gott, der Schöpfer mit zur „Arbeit“ nahm. Die Weisheit endet in einem der schönsten Sätze, die mir aus der Bibel bekannt sind: „Ich war seine Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allezeit. Ich spielte auf seinem Erdenrund, und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein“ (Spr 8,30f).
Mir ist dieser Vers so lieb, dass das „Spr831“ lange das Kennwort zum Entsperren einer ganzen Reihe von Seiten meiner „digitalen Identität“ war. Aber nicht nur das digitale Leben, auch das analoge Leben versuche ich immer wieder unter dieses Wort der Weisheit zu stellen. Gerne möchte ich dir einen Geschmack davon vermitteln – dich anstiften wäre noch ehrlicher!
und spielte vor ihm allezeit.
Ich spielte auf seinem Erdenrund,
und meine Freude war es,
bei den Menschen zu sein. «
Die Weisheit sprechen lassen – der Weisheit Gehör schenken
Ich vermute, dass du schnell ins Schleudern kommst, wenn du versuchst, eine Definition von „Weisheit“ zu finden, die dir weitestgehend entspricht. Da stehst du nicht allein. Im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung hat die in Berlin lebende Philosophin Natalie Knapp eine vorläufige Definition der Weisheit angeboten, an der wir in der Gruppe weitergearbeitet haben. Ihr Vorgehen ist phänomenologisch, d.h. sie beschreibt, wie sie Weisheit bzw. weises Handeln wahrnimmt, welche Kompetenzen für ein weises Handeln nötig sind und was dieses Handeln ermöglicht.[1]
Wie Weisheit erscheint? Weisheit hat als Grundlage (als 1. Kriterium) immer eine anspruchsvolle Situation. Lösungsideen sind dieser Situation jeweils (als 2. Kriterium) kreativ und angemessen. Ein 3. Kriterium ist Freundlichkeitim Handeln innerhalb der Reaktion auf die Situation. Im Idealfall könnte als 4. Kriterium noch der Humor dazukommen – als Gegenspieler einer Verbissenheit, etwas erreichen zu wollen oder zu müssen.
Wie Weisheit inhaltlich gefüllt werden kann? Weisheit, so Natalie Knapp, sei eine ganz besondere Form von Wissen. Es gehe nicht um abstraktes Wissen, Weisheit wird immer durch einen besonderen Menschen in einem besonderen Moment verkörpert. Weises Verhalten zeichne sich durch einen angemessenen und freundlichen Umgang mit uns selbst und der Welt aus, und zwar vor allem in anspruchsvollen Situationen. Es stärke unsere Lebenskraft, lasse uns zuversichtlicher in die Welt blicken und öffne die Tür für gelingende Beziehungen. Weise Verhaltensweisen öffneten häufig auch einen größeren Verhandlungsspielraum für uns selbst und für andere. Sie vermögen uns aus festgefahrenen Situationen oder auch Zwickmühlen herauszuführen. Weise Menschen werden von als klug, häufig als mutig, und in vielen Fällen auch auf eine subtile Form als humorvoll erlebt.
Der dreifaltige Gott – Die eine Weisheit in drei Erscheinungsformen
Ich erschrecke fast vor mir selbst, will ich doch versuchen, ein „Theologumenon“, einen theologisch anspruchsvollenFachausdruck auf links zu drehen und in seiner Aussage schlicht, einfach, und doch kreativ und angemessen so zu deuten, dass sich vielleicht Türen öffnen auf dich selbst hin, auf die um dich herum hin, vielleicht sogar auf Gott hin.
Da ist zuerst Gott Vater. Als Anfang seines Weges habe er die Weisheit geschaffen und sich ihrer bedient. In Weisheitwurde die Schöpfung, weise war sie dabei. Gottes Freude war diese Schöpfung, die vor ihm auf seinem Erdenrund spielte – nicht verbissen schuftete, sondern humorvoll-freundlich erschuf, wachsen ließ. Von diesem Gott redet der Dreifaltigkeitssonntag.
Da ist dann Gott Sohn. „Eines Wesens mit dem Vater“, heißt es im Glaubensbekenntnis. Jesus setzt nicht nur das Werk des Vaters fort, des Vaters Wesen wirkt in ihm. Dieser auf dem Erdenrund spielende Jesus kommt in den Evangelien zu kurz; meine Vermutung ist, dass die anspruchsvollen Situationen, wie Natalie Knapp das nennt, in den Evangelien geschildert werden. Aber das Freundlichkeit, Humor, Zuversicht den Alltag Jesu und seinen Begegnungen und Beziehungen prägten, das lasse ich mir nicht nehmen. Das „Ich spielte auf seinem Erdenrund und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein“ der Weisheit Gottes ist allemal auch die Weisheit Jesu – eines Wesens mit dem Vater. Das war sein Leben.
Bleibt Gott Heiliger Geist. Vor einer Woche war Pfingsten. Dir und mir und vielen anderen ist dieser Geist, ist diese Weisheit angeboten. Kein Zwang, das geht nicht, sondern Lust, Mut, Freude, ihn anzunehmen, das ist es. Das „Ich war seine Freude Tag für Tag“ ist kein ethisches Ringen, kein Erklimmen der Tugendleiter, sondern der immer wieder neu gefasste Entschluss und Versuch, dieser mir angebotenen Weisheit Gottes in meinem Leben Raum zu geben. In angemessener und freundlicher Weise zu reagieren auf die Situationen, die sich zeigen, klug, mutig, die eigene Lebenskraft und die der anderen stärkend, zuversichtlich in die Welt blickend, und mit Humor – das sind die Weisen des Heiligen Geistes in dir und in mir, das ist war die Weise Jesu und wird immer die Weise Gottes des Vaters sein, der Weisheit Gestalt zu geben. Zur Zeit Jesu war das wohl eine ebensolche Herausforderung wie heute!
Von daher gebe ich dir den einen Satz für die Woche mit: „Ich war seine Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allezeit. Ich spielte auf seinem Erdenrund, und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein.“ Das Spr 8,31 will mehr sein als ein Kennwort, das digitale Leben zu sichern.
So viel für heute – und für diese Woche.
Köln, 11.06.2025
Harald Klein
[1] Ich gebe hier die Mitschrift des Vortrages vom 27.05.2025 im Rahmen des Weisheitstrainings des Netzwerkes Ethik-heute wieder.