Dreifaltigkeitssonntag – „Meine Freude war es, bei den Menschen zu sein“: Dreifaltigkeit und Resonanz

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Anknüpfen am Resonanzbegriff

Dreifaltigkeitssonntag, ach Gott! Da werden wieder die Kleeblätter bemüht, die mit ihren drei Blättern an dem einen Stengel hängen (die marianischen Bewegungen freuen sich dann über das vierblättrige Kleeblatt). Dogmengeschichtlich können die großen sog. „ökumenischen Konzile“ auf ihre Aussagen über Jesu Verhältnis zum himmlischen Vater nach „wesensähnlich“ und „wesensgleich“ befragt werden, oder ob der Geist nur vom Vater oder vom Vater und dem Sohn hervorgeht; am „filioque“, am Hervorgang zugleich von Vater und Sohn trennte sich theologisch die Ost- von der Westkirche, Ost- von Westrom – man verschweigt schamhaft die politischen Implikationen und die Machtgelüste, die im 11. Jahrhundert hinter all dem standen.

Ich möchte es ein wenig anders angehen. Nach der österlichen Bußzeit, nach Ostern und nach der Osterzeit soll für die weiteren Sonntage im Jahreskreis – zumindest „bis auf Weiteres“, diese herrlich offenlassende und dadurch beinahe nichtssagende Formulierung – wieder der Resonanzbegriff nach Hartmut Rosa als Deutungsmoment für die Schrifttexte eines jeden Sonntag im Vordergrund stehen. Mittels dieses Begriffes der „Resonanz“ und der Ausdeutung Rosas möchte ich – vielleicht mehr für mich als für Sie – versuchen, das Evangelium zur Welt zu bringen und durch Resonanz seine Relevanz zu erfassen.

» Ich war seine Freude Tag für Tag
und spielte vor ihm allezeit.
Ich spielte auf seinem Erdenrund,
und meine Freude war es,
bei den Menschen zu sein. «
Spr 8,30f

Vor Gott spielen…

Zwei kleine Verse aus der sog. Weisheitsliteratur, den späten Schriften des Altes Testamentes sollen dafür genügen. In der ersten Lesung aus dem Buch der Sprichwörter spricht die Weisheit, sich hier als erstes Geschöpf Gottesbezeichnend. Sie ist so eine Art „Weltordnungsexpertin“, vermittelt die Freude Gottes an die Menschen weiter und leitet die Menschen zu einem gelingenden Leben an.[1]

Sie finden unter Spr 8,30f eine Selbstaussage der Weisheit: “Ich war seine Freude Tag für Tag und spielte vor ihm allezeit. Ich spielte auf seinem Erdenrund, und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein.“ Dem Resonanzbegriff Hartmut Rosas nachgehend und ihn mit diesen beiden kleinen Versen erläutern kann helfen, jenseits theologischer Spitzfindigkeiten ein Gefühl dafür zu bekommen, was „Dreifaltigkeit“ bzw. „Trinität“, wie es theologisch „sauber“ heißt, meint.

» Resonanz ist kein emotionaler Zustand, sondern ein Beziehungsmodus. Dieser ist gegenüber dem emotionalen Inhalt neutral. Daher können wir traurige Geschichten lieben. «
Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, 2. Aufl., Berlin, 298.

Dreifaltigkeit I: Einen Bezug zu Gott haben

Was unterscheidet „auf dem Erdenrund spielen“ von „ich spielte vor ihm […] auf seinem Erdenrund“? Zuerst ist sicher anzumerken, dass das „spielerische Leben“ und das Verständnis des „Lebens als Spiel“ auf den ersten Blick in Zeiten von Kriegen, Pandemien und globalen Krisen beinahe unmöglich erscheint. Allemal, wenn ich mir irgendeine Verantwortung für all das auflege oder auflegen lasse. Spätestens aus der Achtsamkeitslehre wissen wir, dass es aber auch Abstand braucht; ich kann nur aus einem Abstand heraus betrachten, ich kann nur so die Konturen und die Gestalt dessen erkennen, was vor mir steht, schwieriger bis unmöglich wird es bei allem, was in mir ist. In Beziehung kommen geht immer nur über einen Abstand hinweg. Im „Ich spielte vor ihm“ wird dieser Abstand der Weisheit zu Gott und gleichzeitig ihr Bezug zu ihm deutlich. Es ist dieser Bezug, der den Unterschied macht zwischen dem „auf dem Erdenrund spielen“ und dem „ich spielte vor ihm […] auf seinem Erdenrund“.

Die Frage, ob man auch in schwierigen, krisenhaften und dunklen Zeiten „spielend leben“[2] kann, beantwortet Hartmut Rosa beinahe en passant im vierten Satz seiner Definition von Resonanz: „Resonanz ist kein emotionaler Zustand, sondern ein Beziehungsmodus. Dieser ist gegenüber dem emotionalen Inhalt neutral. Daher können wir traurige Geschichten lieben.“[3]

M.a.W.: Trinität, Dreifaltigkeit setzt einen Beziehungsmodus voraus; es geht nicht um schöne Gefühle oder anrührende Lieder, sondern um eine Beziehung, die gegenüber emotionalen Inhalten neutral ist!

» Resonanzbeziehungen setzen voraus, dass Subjekt und Welt hinreichend geschlossen bzw. konsistent sind, um mit je eigener Stimme zu sprechen, und offen genug, um sich affizieren und erreichen zu lassen. «
Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, 2. Aufl., Berlin, 298.

Dreifaltigkeit II: Mich auskennen in meiner Welt

Die personifizierte Weisheit Gottes hat nicht nur alles, sondern das All im Blick und als Gegenüber: „Ich spielte auf seinem Erdenrund, und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein.“ Der Beziehungsmodus der Weisheit Gottes hat das Ganze im Blick! Das ist bei mir anders, und bei Ihnen auch! Wieder hilft mir die Achtsamkeitslehre: Der Beziehungsmodus, der zwischen Gott und mir gilt, realisiert sich im Jetzt, im Gegenüber, in dem, der mich anspricht, in der, die mich anspricht, in dem, was mich anspricht. Für mich, für Sie gilt, was auch für die Weisheit gilt: Ich spiele/Sie spielen auf seinem Erdenrund – und gemeint ist der Ausschnitt, auf dem und in dem sie örtlich und zeitlich jetztstehen. Hier realisiert sich der Beziehungsmodus, realisiert sich die Beziehung zwischen dem Einen und der/dem anderen – vor allen im Umgang mit den anderen um Sie herum. Hartmut Rosa spricht von Geschlossenheit und Konsistenz: „Resonanzbeziehungen setzen voraus, dass Subjekt und Welt hinreichend geschlossen bzw. konsistent sind, um mit je eigener Stimme zu sprechen, und offen genug, um sich affizieren und erreichen zu lassen.“[4] Mir erklärt dieser Teil der Definition von Resonanz mein Unwohlsein in theologischen Spekulationen – sie haben zu wenig Subjekt und Welt im Blick, sie erreichen mich nicht, affizieren mich nicht, gehen ist Leere.

» Resonanz ist keine Echo-, sondern eine Antwortbeziehung; sie setzt voraus, dass beide Seiten mit eigener Stimme sprechen, und dies ist nur dort möglich, wo starke Wertungen berührt werden. Resonanz impliziert ein Moment konstitutiver Unverfügbarkeit. «
Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, 2. Aufl., Berlin, 298.

Dreifaltigkeit III: Lauschen und Antwort geben – beidseitig!

Der vielleicht am meisten verkannte Punkt: es geht um einen lebendigen Gott, an dem ich mich freue und der sich an mir freut! Ja, freut! Das hat Gott mir voraus – er kann sich immer an mir freuen und tut es; und diesem Gott nachfolgen kann heißen, in seiner Freude an mir selbst in der Freude zu wachsen. Diesem „Gott der Mystiker“ und der Spiritualität steht der „Gott des Lehramtes“ und die lehrende Religion, der Katechismus gegenüber. Der „gelehrte Gott“ und der „Gott der Gelehrten“ braucht keine Resonanz und verzichtet weitgehend auf sie. Gelebte, lebendige Spiritualität ist ein Antwortversuch auf die Erfahrung eines Anrufes, eines Rufes an mich in meiner Lebenswelt, um diesen Ausdruck der Sozialen Arbeit zu benutzen. Ich versuche, eine Antwort mit meiner Stimme und in meinen Möglichkeiten zu geben auf das, was ich vernommen, verstanden habe. Und ich versuche, feinfühlig genug zu werden, um eine Antwort seitens dessen zu vernehmen, der mich gerufen hat. Das kann in Meditation, im Gebet, im Austausch, in der Begleitung, in Exerzitien geschehen.

Das Entscheidende ist: Es geht um meine Antwort, um meinen Weg. „Ich spiele auf seinem Erdenrund, allezeit, und meine Freude war es, bei den Menschen zu sein.“ Ich erfülle kein Gebot von außen, sondern handle aus mir heraus im Modus der tiefen Freude und Weisheit. Keine von beiden Seiten muss tun, was der andere erwartet! Ein dritter Teil der Definition von Resonanz bei Hartmut Rosa lautet: „Resonanz ist keine Echo-, sondern eine Antwortbeziehung; sie setzt voraus, dass beide Seiten mit eigener Stimme sprechen, und dies ist nur dort möglich, wo starke Wertungen berührt werden. Resonanz impliziert ein Moment konstitutiver Unverfügbarkeit.“[5]

» Resonanz ist eine durch Af-fizierung und E-motion, intrinsische Interessen und Selbstwirk-samkeitserwartung gebildete Form der Weltbeziehung, in der sich Subjekt und Welt gegenseitig berühren und zugleich transformieren. «
Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, 2. Aufl., Berlin, 298.

Dreifaltigkeit IV: Selbstwirksam handeln – und die Welt verändern

Es wird Zeit, den „Sohn“ und den „Geist“ mitzubedenken. Klar ist bisher mein Bezug zu einem Gott, nicht als emotionaler, gelehrter, sondern als Beziehungsmodus. Klar ist, dass es um „meine Welt“ geht, mit allem, das und mit allen, die dazugehören – inklusive meiner Selbst und meiner Beziehung zu mir selbst. Klar ist, dass es um keine Echo- sondern um eine Antwortbeziehung geht. „Argumentationen wie „In der Bibel steht…“ oder „Jesus hat gesagt…“ haben nur insofern Geltung, als sie durchdachte, hinterfragte und reflektierte Antworten meiner selbst werden können, nicht einfach nachgeplapperte und weitergegebene Echophrasen!

Die herausragende Rolle Jesu hat einen „Urkunden-Charakter“. Es ist die freie Entscheidung eines jeden Menschen, sich von Jesus sich eine „Ur-Kunde“, eine zwar nicht Erst-, aber doch Neu-Erzählung von Gott geben zu lassen. Da erscheint er mir als die personifizierte Weisheit Gottes, der Gottes Freude Tag für Tag war, der auf seinem Erdenrund spielte und dessen Freude es war, bei den Menschen zu sein. Deswegen glaube ich seiner Kunde, seiner Kundgabe von Gott, den er Vater nennt – und dessen Wesen in seinem Wesen sichtbar, spürbar, mit Händen zu greifen war. Das nennt ich für mich dann „Sohn“.

Die Gemeinde, die Versammlungen, die Kirche, die in seiner Nachfolge entstand, nahm sich vor, diese „Ur-Kunde“ zur „Urkunde“ zu machen, man nennt es den Neuen Bund oder das Neue Testament. Wir haben es jetzt schriftlich.

Und der „Geist?“ Gleich, ob vom Vater und vom Sohn oder nur vom Vater hervorgehend, ist doch, dass dieser Geist (oder diese Weisheit) die in Jesus sichtbar, spürbar, mit Händen zu greifen war, uns/Ihnen/mir ist! Was für ein Zuspruch dieses Gottes in Jesus Christus, den er kundtut: „Wer mich sieht, sieht den Vater“. Dieser Zuspruch gilt nicht nur für Jesus, sondern hat Geltung und kann Geltung haben für alle die, die Gott „Vater“ nennen und die Jesus als seine „Schwestern und Brüder“ bezeichnet. Diese Bezeichnung ist liturgisch verbrannt und verbraucht, weil sie in jedem Gottesdienst einfach so gesagt wird, schade.

Dreifaltigkeit, Trinität wird lebendig, wenn die Freude, bei den Menschen zu sein, und zwar in diesem und aus diesem Geist, mich ansteckt, anfixt. In Resonanz mit mir tritt, könnte man sagen. Ein letztes Mal Hartmut Rosa: „Resonanz ist eine durch Af-fizierung und E-motion, intrinsische Interessen und Selbstwirksamkeitserwartung gebildete Form der Weltbeziehung, in der sich Subjekt und Welt gegenseitig berühren und zugleich transformieren.“ [6]

Af-fizierung und E-motion: Auf einen Anruf – von außen oder von innen her -lasse mich von außen ansprechen, bewegen mich daraufhin nach außen hin, und gestalte, transformiere dadurch meine eigene Welt – darauf vertrauend, dass diese Bewegung auch genauso andersherum gehen mag, in aller Freiheit. Im Geiste Jesu, im Wissen, als/in Gottes Freude  und in eigener Freude Tag für Tag bei den Menschen zu sein. Da soll einer sagen, christlicher Glaube hätte keine Strahlkraft!

Amen.

Köln 09.06.2022
Harald Klein

[1]vgl. [online] https://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das-bibellexikon/lexikon/sachwort/anzeigen/details/weisheit-personifikation-at/ch/02a86446b7df69f8b0a32639fd4fde61/ [09.06.2022|

[2] Vgl. zum Thema: Kiechle, Stefan (2008): Spielend leben. Ignatianische Impulse Bd. 34, Würzburg.

[3] Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin, 298.

[4] Rosa, Hartmut (2016): Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung, Berlin, 298.

[5] ebd.

[6] ebd.