Richtig oder falsch?
Nach dem Umstellen auf die „Normalzeit“ sind Sie ausgeschlafen, und ich gebe Ihnen etwas zum Nachdenken:
7 – 2 =5
6 + 3 = 8
9 – 7 = 2
Haben Sie gut zugehört? Dann haben Sie den Fehler sicher erkannt: eine Aufgabe stimmt nicht. „6 + 3 = 9“ müsste es heißen. Das haben Sie natürlich sofort gemerkt. Aber haben Sie auch gemerkt, dass die beiden anderen Aufgaben stimmen? Sie hätten ja auch sagen können: Zwei von drei Aufgaben sind richtig gelöst. Aber das tun wir nicht.
Und jetzt was Schwierigeres, und nicht so, dass ich Ihnen was vorsage, sondern so, dass Sie es für sich und im Stillen formulieren: machen Sie doch mal drei Aussagen über sich, und zwar im Verhältnis „2:1“: zwei, denen Sie zustimmen, die Ihre „Stärken“ im Blick haben, und eine, die Sie ärgert, die ihre „Schwäche“ ist.
Und jetzt hören Sie nochmal den alten Satz der jüdischen Weisheit, 50 v.Chr. von hellenistischen Juden, wohl in Alexandria geschrieben.
„Du schonst alles, weil es dein Eigentum ist, Herr, du Freund des Lebens. Denn in allem ist dein unvergänglicher Geist“ (Weish 11,26;12,1)
In allem – dein unvergänglicher Geist
Ein Erstes: Lassen Sie mich mit dem Satzende beginnen. „In allem ist dein unvergänglicher Geist.“ Nehmen Sie mal „6+3=8“, nehmen Sie mal die eine Aussage von Ihnen, die Sie unter „Schwäche“ abspeichern. Die Rechenaufgabe ist nur falsch, wenn wir sie unter dem Blickwinkel der Mathematik, der formalen Logik und unserer Definitionen davon anschauen. Und wenn wir sie danach bewerten. Ob das mit Ihrer „Schwäche“-Aussage nicht auch so ist? Mal im Beispiel: da mag der eine seine Eifersucht, die andere ihren Neid gefunden haben, oder ein Dritter sich ärgern, dass er Menschen so anziehend findet, dass sie ihn bis in die Träume verfolgen, die Moraltheologie spricht vom „Begehren“. Unter welcher „Logik ist das „schwach“, ist diese Haltung „Schwäche“? „Die Eifersucht ist eine Leidenschaft, die mit Eifer sucht, was Leiden schafft.“ Der begehrte Mensch ist vergeben, die Gabe, auf die ich neidisch bin, besitzt eine andere. Der begehrte Umgang mit dem begehrten Menschen geht nicht, aus welchem Grund auch immer. Logisch, oder?
Eine von drei Aufgaben ist falsch – zwei sind richtig. Kann die Eifersucht, anders gewendet, nicht auch sagen: ich wünsche, ich suche Zuwendung, die jetzt ein anderer bekommt? Und kann sie so nicht zum Motor werden, mir anderswo und anderswie eine erfüllende Form von Bestätigung und Anerkennung, von Liebe und Zuwendung zu suchen? Kann der Neid, anders gewendet, mir nicht zum Motor werden, auf das zu sehen, was ich habe und bin, um es genießen zu können? Und kann das Verlieben und Begehren nicht zum Motor werden, meine eigene innere Lebendigkeit zu erkennen, als ein Feuer, das mich zu vielem und vielen „anmacht“, in einem positiven Sinne? Wie heißt es im Text der Weisheit: „In allem wohnt dein unvergänglicher Geist.“
Eine erste Frage für diesen Sonntag: mit welchen Augen sehe ich mich an, welchem Modell will ich im Blick auf mich selber folgen, dem Stärkemodell, oder dem Schwächemodell?
Alles ist dein Eigentum…
Ein Zweites: „… weil es Dein Eigentum ist.“ Die drei Aussagen umschreiben Sie nicht nur, sie sind Teil von Ihnen, gehören zu Ihnen, machen Sie mit aus – weil sie Ihr Eigentum sind. Und dabei gilt: Sie besitzen die Stärken (und Schwächen), nicht aber: Die Stärken (und Schwächen) besitzen Sie. Es ist hilfreich zu unterscheiden, wer wen in der Hand hat! Und es ist oft hilfreich, manchmal müßig zu fragen, warum Sie so geworden sind, und ehrlich gesagt: nur bei den „Schwächen“ würden Sie so fragen, die „Stärken“ nehmen Sie gerne als geworden und gegeben hin. Das Zweite, kurz und bündig: Stärken und Schwächen sind Ihr „Eigentum“, prägen Sie, machen Sie aus – aber Sie können damit umgehen, können Sie deuten, und können sie lenken. Das Leben ist kein Legokasten, aus dem Sie das eine Klötzchen einfach wegwerfen können und sich einen Modellsatz dazu kaufen können. Aus dem, was Ihnen gegeben ist und gegeben wird, etwas modellieren und bauen zu können, darauf kommt es an, und Sie haben vielfältige Möglichkeiten.
Eine zweite Frage, die der ersten sehr ähnelt: wie stehe ich zu dem, was an „Stärken“ und „Schwächen“ mein Eigentum ist? Wie steht es um Ihre Dankbarkeit für Stärken, und um Ihre Barmherzigkeit mit den Schwächen? Und wem von beiden gilt Ihr Augenmerk?
Du schonst alles…
Ein Drittes: „Du schonst alles…“. Ich bin ein großer Freund der inneren Freiheit, auch wenn der Weg dahin manchmal mühsam ist. Und dabei scheint es mir hilfreicher, wenn ich die Schwäche schone, als wenn ich mich von der Schwäche beherrschen lasse. Spüren Sie den Unterschied zwischen dem aktiven „ich schone“ und dem passiven „Ich werde beherrscht“? Den Weg dahin zeigt uns das Märchen vom Rumpelstilzchen. Wenn ich den Namen dessen, das mich beherrscht kenne – und damit sein innerstes Wesen, seine Absichten -, dann verliert das Rumpelstilzchen seine Macht. Wenn ich es lerne, über das Dämonische zu lachen anstatt wie das Kaninchen vor der Schlange zu verkrampfen und bewegungsunfähig zu werden, dann habe ich gewonnen. Das Dämonische verliert seine Macht über mich – ohne dass ich es vertreibe. Es bleibt lebendig in mir, verliert aber an Kraft und Macht.
Eine dritte Frage, besser ein Zuspruch für diesen Sonntag: Nicht andere Dinge tun, sondern Dinge anders tun; nicht ein anderer Mensch werden wollen, sondern als Mensch anders werden wollen.
Gott – ein Freund des Lebens
Die jüdische Weisheit hat das erkannt, und sie sieht all diese Eigenschaften in Gott. Alles mit seinen Stärken und Schwächen ist Gottes Eigentum, in allem wohnt sein unvergänglicher Geist, und er schont deswegen alles und alle. Ihn treibt der Glaube und die Hoffnung daran, dass dieser Geist sich in Allem und in Allen durchsetzt.
Das sind seine Fragen an uns an diesem Sonntag: mit welchen Augen siehst Du Dich an, welchem Modell willst Du im Blick auf dich selber folgen, dem Stärkemodell, oder dem Schwächemodell? Wie steht es um Deine Dankbarkeit für Stärken, und um Deine Barmherzigkeit mit Deinen Schwächen? Und wem gilt Dein Augenmerk? Und das ist der Zuspruch dieses Sonntags an uns: Du brauchst nicht andere Dinge tun, sondern kannst die Dinge anders tun. Du brauchst nicht ein anderer Mensch werden zu wollen, sondern Du kannst als Mensch anders werden.
Und in all dem zeigt sich: Gott ist ein Freund des Lebens und allen Lebendigens – und wir können es mit ihm sein.
Amen.
Harald Klein, Köln