„Du sollst mich kennen lernen!“

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Ein Drohwort? Oder eine Verheißung?

Vermutlich kennen Sie diesen Satz aus Ihren Kindertagen: „Du sollst mich noch kennen lernen!“ Meistens sind das keine so guten Situationen, vielleicht können Sie sich an die eine oder andere Situation erinnern, wo der Vater oder die Mutter Ihnen das eher erzürnt entgegengeschmettert hat: „Wenn du dies oder jenes nochmal tust, dann sollt Du mich kennen lernen!“ Oder der Chef, die Oberin, die Mitschwester, der Arbeitskollege, der Lehrer – wer auch immer.

Es geht auch anders. Das können Sie heute in der Samuel-Erzählung, aber auch im Evangelium erahnen. Da ist es in der Lesung bei Samuel der Herr selbst, und im Evangelium ist es Jesus, der den beiden Jüngern, die ihm folgen, es mit ähnlichen Worten sagt. Auf das „Rabbi, wo wohnst du?“ folgt das „Kommt und seht“ Jesu. Was meint das anders als „Du sollst mich kennen lernen!“?

Jesus kennen lernen…

Wie geht das, Jesus kennen lernen? Wie war das bei Ihnen? Können Sie sich erinnern, wo und wie Sie Jesus kennen gelernt haben? Waren das vertraute Kindergebete, die die Eltern mit Ihnen sprachen – und die Sie vielleicht heute noch können? War das der Kindergottesdienst, der Religionsunterricht? Waren das Lieder, vielleicht eine Erfahrung des „Göttlichen“ in der Musik? Wie geht das, Jesus kennen lernen?

Und was geschieht nach dieser ersten Begegnung? Das ist ja wie beim ganz normalen Kennenlernen eines Menschen, der Ihnen irgendwie sympathisch ist. Es braucht so etwas wie eine Verabredung, ein mehr oder weniger regelmäßiges Treffen. Es braucht so etwas wie eine Annäherung an die Person, ein Entdecken dessen, was diesen Menschen sympathisch macht – oder auch ein Entdecken dessen, was Ihnen fragwürdig erscheint. Und damit aus diesem Kennenlernen wirklich Begegnung und Freundschaft wird, kommt irgendwann der Austausch dazu, das gegenseitige Sich-öffnen oder Sich-zeigen. Ein spannender Moment: Bleibt der oder die andere, wenn ich mich ihm oder ihr öffne, wenn ich mich ihm oder ihr zeige? Gehen Sie ruhig mal die Geschichte Ihrer Freundschaften und Beziehungen oder Begegnungen durch – da wird es so oder ähnlich gewesen sein.

„Du sollst mich kennen lernen!“ – Zwei Weisen, Jesus nicht nur mal eben zu begegnen, sondern ihn kennen zu lernen, geben Ihnen Lesung und Evangelium an die Hand. Da ist einmal die Lesung, da ist Samuel und sein „Rede, denn Dein Diener hört!“ Das Hinhören auf den, der Ihnen begegnet, ist vielleicht der Königsweg. Nicht beim ersten Eindruck stehen bleiben, sondern wirklich hinhören, zuhören, den Menschen hinter dem, was er sagt, entdecken wollen. Dazu braucht es die Haltungen des Respektes, der Empathie, des guten Willens, den anderen verstehen zu wollen. Das geht nicht hoppla hopp – und deswegen ist es nur folgerichtig, dass Sie sich Zeit für ein Wort Jesu, ein Wort aus der Heiligen Schrift, für das Wort eines Bruders oder eine Schwester nehmen. Nur so kann aus einem Treffen oder einem Termin, einem „Date“ wirklich Begegnung wird, Kennenlernen und Vertrautheit erwachsen. Und was das Kennenlernen Jesu angeht: vielleicht macht genau das den Unterschied zwischen Beten und Meditieren aus

Die zweite Weise neben dem Hören ist das Sehen. Ist Ihnen aufgefallen, wie oft das Sehen im Evangelium vorkommt: Als Jesus vorüberging, richtet Johannes seinen Blick auf ihn. Und er sagt zu den beiden Jüngern, die bei ihm stehen: „Seht, das Lamm Gottes!“ Jesus sieht die beiden Jünger, die ihm folgen. Und auf die Frage, wo er wohne, antwortet er: „Kommt und seht!“ – Hier geht es nicht nur um ein flüchtiges Bemerken, nicht nur um einen kurzen Augen-Blick. Es ist dasselbe wie beim Hören. Es geht darum sich anzuschauen in der Haltung des Respektes, der Empathie, des guten Willens, den anderen tiefer kennenlernen und verstehen zu wollen. Wie geht das bei Jesus? Wie nicht einfach hoppla hopp. Sondern indem Sie sich Zeit lassen, das Geschehen in der Heiligen Schrift zu betrachten. Der heilige Ignatius rät, sich die Erzählung wie auf einer Bühne vorzustellen, die Sie sich in Gedanken ausmalen und aufbauen. Oder dass Sie sich zum Akteur, zur Akteurin in der Geschichte machen, als würden Sie mitspielen. Sie können die Rolle eines Jüngers übernehmen, die von Jesus gefragt werden: „Was willst Du?“ Sie können mit Jesus mitgehen und sich vorstellen, wo und wie er wohnt. Sie können sich einfühlen in den Simon, dem sein Bruder Andreas sagt: „wir haben den Messias gefunden!“ Oder der von Jesus gesagt bekommt: „Du sollst Kephas heißen, der Fels.“ Oder Sie sehen einfach nur zu, wie Jesus mit den beiden spricht, und sie folgen ihm. Möchten Sie mitgehen? Sind Sie neugierig? Oder lässt das Sie kalt? Wo ist Ihr Platz in diesem Geschehen?

Möge Ihnen Hören und Sehen vergehen…

Angefangen haben wir mit dem eher bedrohlichen Satz „Du sollst mich kennen lernen!“ Stellen Sie sich Jesus als Ihr Gegenüber vor, der Sie fragt: „Magst Du mich kennen lernen?“ Oder: Magst Du mich heute neu kennen lernen?“ Ich wünsche Ihnen Respekt in diesem Kennenlernen, weil es immer wieder neu ist. Ich wünsche Ihnen Empathie, ein einfühlsames Hinhören und Hinschauen, weil Jesus Ihnen sein Wort und Tun immer zu Besten gereichen will. Und vor allem wünsche ich Ihnen allen die immer neue Sehnsucht, Jesus immer neu kennen zu lernen und immer neu verstehen zu wollen. Das „Du sollst mich kennenlernen“ klingt hier anders. Es könnte sein, dass Ihnen ein wenig das alte Hören und das alte Sehen vergeht!

Harald Klein, Köln