Die Berufung des Petrus in Lk 5,1-11
Mit einer – im wahrsten Sinne des Wortes – tiefen Geschichte schildert Lk 5,1-11 die Berufung des Petrus. Im Gedächtnis werden Ihnen sicher drei Passage sein: Die Traurigkeit der Jünger, die an Land sitzen und nichts gefangen haben; das Wort Jesu „Fahr hinaus auf den See. Dort werft das Netz noch einmal aus“ samt der Antwort des Petrus: „…doch wenn du es sagst…“ – und dann der reiche Fischfang samt dem Petrus, der sich vor Jesus auf den Boden wirft: „Geh weg von mir, ich bin ein Sünder.“ Und natürlich das Berufungswort Jesu: „Fürchte dich nicht, von jetzt an wirst du Menschen fangen.“
Für dieses Heft möchte ich Ihren Blick auf die „stilleren“ Momente in der Erzählung lenken. Eine innere Betrachtung des Schauplatzes kann dabei helfen. Steigen Sie dazu doch einmal mit allen Sinnen in den Text ein und werden Sie Zeuge oder Zeugin dessen, was da geschieht.
Gebetszeit – eine Situation des Aussteigen und der Reinigung der Netze
Mit Jesus sehen Sie die beiden Boote und die Fischer, die ausgestiegen sind und die ihre Netze waschen. Sie können die Traurigkeit des Petrus nachempfinden – sein Netz ist leer, und er reinigt das Netz vom Unrat, um es für einen erneuten Versuch im Morgengrauen des neuen Tages herzurichten.
Auf mich wirkt diese „Einstiegssituation“ wie die Umschreibung einer Gebetszeit: Wenn ich ins Gebet „einsteigen“ will, ist es hilfreich, aus dem Alltag „auszusteigen“, nicht, um den Alltag einfach hinter mir zu lassen, sondern um ihn betrachten zu können, ihn in den Blick nehmen zu können, zu sehen und zu verkosten, was mir an diesem Tag „ins Netz“ gekommen ist, was die Frucht dieses Tages war. Ich steige mit Petrus und den anderen aus dem Alltag aus und reinige mein „Netz“ – die Stimmung wahr- und annehmend, die mich dabei begleitet.
Gebetszeit – Mit Jesus in einem Boot
Die zweite Station: Jesus wird zum „Einsteiger“, er wählt das Boot des Petrus, er steigt in mein Boot, ich sitze mit ihm in einem Boot – und ich höre ihm zu, schaue ihn an, wie er das Volk lehrt. Vielleicht der stillste Moment, der kontemplativste Moment in dieser Gebetszeit. Ich höre die Worte Jesu, sehe seine Mimik, seine Gestik, lasse mich vom Klang seiner Stimme bewegen. Die Worte, die ich höre, gelten nicht nur mir, sondern allen, die ihn hören wollen und hören können. Was ist es, das ich hier und heute höre?
Gebetszeit – das persönliche Gespräch mit Jesus
Die dritte Station: Jetzt schaut Jesus mich an, ganz persönlich, und ich höre genau in der Stimmung, in der ich da bin, und in diese Stimmung hienin sein Wort: „Fahr hinaus auf den See. Dort werft das Netz noch einmal aus.“ Ich kenne den Zweifel des Petrus: „Meister, wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.“ Aber ich kenne auch seine Hoffnung: „Doch wenn du es sagst, werde ich die Netze auswerfen.“
Gebetszeit – der gemeinsame Ertrag…
Zwei „Kleinigkeiten“ sprechen mich an: Jesus schickt den Petrus nicht an eine andere Stelle, an einen anderen See, er soll in den gleichen See aufbrechen, in den Alltag, in sein Alltägliches zurückkehren. Und das Zweite: Jesus wechselt vom Singular in den Plural: „Fahr hinaus auf den See“: der Singular. „Dort werft das Netz noch einmal aus.“: der Plural: „Dort werft das Netz noch einmal aus. Dieser Wechsel zeigt mir: Es braucht den Willen und den Aufbruch des einzelnen, meinen Willen und meinen Aufbruch, um dann mit anderen gemeinsam im Alltäglichen das Netz voll – besser: die Seele satt – zu bekommen. Petrus erkennt das nicht sofort, seine Antwort ist umgekehrt herum erst im Plural und dann im Singular geschrieben: „Die ganze Nacht haben wir <der Plural> gearbeitet und nichts gefangen. Doch wenn du es sagst, werde ich <der Singular> die Netze auswerfen.“ Erst später muss er seine Gefährten herbeirufen, die ihm helfen, das volle Netz einzufahren. Ich überlasse es Ihrer Phantasie, das sich anschließende Bekenntnis des Petrus „Geh weg von mir, ich bin ein Sünder!“ in dieser Gebetszeit auf Ihre Situation hin umzudeuten.
… und der nächste Schritt
In all das Erleben und das Mit-Erlebte hinein folgt jetzt die Berufung des Petrus. „Fürchte dich nicht. Von jetzt an sollst Du Menschen fangen.“ Daraufhin lassen Petrus, aber auch Jakobus und Johannes, alles zurück und folgten Jesus nach.
Es sind die „stillen Momente“ in Lk 5, die so ganz unspektakulär dahingeschriebenen, die es mir angetan haben. Das „Aussteigen“ und das „Reinigen der Netze“, der stille Blick auf Jesus, der mit mir in einem Boot sitzt, und das Ausharren bei seinen Worten, die Niedergeschlagenheit, die in der Hoffnung durch den Zuspruch Jesu eine Antwort erfährt, und vor allem die Rückkehr an den Ort des Alltäglichen, mit dem gleichen Tun, aber in einer anderen Haltung: „Wenn Du es sagst…“
Das „Fahr hinaus auf den See“ heißt im Lateinischen „Duc in altum“. Das Wort „altum“ meint zugleich die (Himmels-) Höhe und die (Meeres-) Tiefe, das Hohe und Erhabene, das Ferne. In der deutschen Übersetzung geht es doch sehr verloren.
Die Tiefe der „stillen Momente“ nutzen
Die „stillen Momente“ in Lk 5 zeigen mir, dass es nicht gleich ein Exerzitienhaus sein muss, eine lange Zeit der Besinnung, sondern dass ich die Tiefe, die Weite, das Hohe und Erhabene mitten im Alltäglichen, im Alltag finden kann – es kommt auf die Blickrichtung an, auf die Weise, wie ich mit „Ñetz“, meinen Blick auf und über dieses Alltägliche lege. Das „Wirf das Netz noch einmal aus“ Jesu meint ja den Ort, an dem Petrus lebt und arbeitet, an dem ich lebe und arbeite. Anders ist lediglich die „Seite des Bootes“, die Richtung des Blickes, die Haltung, die ganz im Vertrauen auf Jesu Wort wurzelt.
In die Tiefe gehen – für die ignatianische Spiritualität heißt das, das MEHR im Alltäglichen zu entdecken und darauf zu vertrauen, dass die Welt – in den Worten von P. Alfred Delp SJ – „Gottes so voll“ ist. Es ist ein lohnender Übungsweg, in die Tiefe des Alltäglichen aufzubrechen, auf Jesu Wort hin, und dann den Reichtum zu entdecken, der da ist.
Harald Klein, Köln