Erster Fastensonntag – Den inneren Goldklumpen freilegen – Großzügig sein

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Am einen Ende sparen…

Schauen Sie mal ins heutige Evangelium. Wie es sich gehört, geht es zu Beginn der Bußzeit um die Versuchung Jesu in der Wüste. Fällt Ihnen auf, dass Markus dieses Geschehen in seinem Evangelium mit nur einem Vers in Mk 1,13 beschreibt: „Jesus blieb vierzig Tage in der Wüste und wurde vom Satan in Versuchung geführt. Er lebte bei den wilden Tieren, und die Engel dienten ihm.“

Matthäus braucht in Mt 4,1-11 dazu elf Sätze mit drei Dialogen zwischen Jesus und dem „Versucher“ (so heißt es in Mt), Lukas schmückt die Erzählung in Lk 4,1-13 in 13 Versen aus, und auch hier kommen die drei Dialoge mit dem „Teufel“ (so heißt es in LK).

Wie kommt es, dass im ersten und ältesten Bericht nur ein Vers für das Geschehen genutzt wird, die nachfolgenden Evangelien, die auf Mk aufbauen, aber gleich beinahe ein ganzes Kapitel daraus machen? Mein Antwortversuch, den ich Ihnen anbiete: Markus spart am eher Unwesentlichen, am Inhalt der Versuchung Jesu, um Raum zu haben für das Wesentliche, für die Botschaft und für das Geschick Jesu. Nicht die Versuchung, wie sie auch Jesus kennt, in ihren vielen Farben und Verlockungen sind ihm wichtig, sondern die Erlösung, die hinter und über dieser Versuchung steht.

M.a.W.: Sie können sich von Matthäus und Lukas ausmalen lassen, wie Jesus, wie auch und wie sogar Jesus mit sich, um sich ringen und kämpfen musste, da sind Sie nah bei ihm, nah an ihm dran, aber ob es hilfreich ist? Oder Sie lassen sich das von Markus kurz sagen und schauen auf das, was dann kommt: „Er lebte bei/mit den wilden Tieren und die Engel dienten ihm.“

» Immer wieder wird durch die Freude des Gebens die Verbindung zum Besten in uns und anderen hergestellt. «
Mannschatz, Marie (2019): Vollkommen unvollkommen. Zehn Qualitäten, die das Beste in uns zum Vorschein bringen, München, 13.

… um am anderen Ende beschenkt zu sein

Versuchen Sie doch einmal eine kleine Phänomenologie des Begriffes „Versuchung“. Fällt Ihnen auf, dass nur der Mensch in Versuchung geraten kann, der einen Plan, eine Idee für das eigene Leben hat? Sie brauchen eine Richtung, einen Maßstab, von denen Sie eine Versuchung mit einem bestimmten Reiz weglocken kann.

Im Klartext: Wichtiger, als die Versuchungen zu betrachten, sich ihrer zu erwehren und sich treu zu bleiben ist doch ein klares Bild Ihrer selbst, wer Sie sind, für was Sie stehen und einstehen, und wohin Ihr Blick geht, für was Ihr Herz schlägt. Wie bei Markus beschrieben, werden Sie mit den wilden Tieren (der Versuchungen) leben müssen, aber diese klaren Bilder und Visionen Ihrer selbst und die Menschen, die Sie darin unterstützen, haben die Qualität von Engeln, die ihnen dienen.

Um an das Bild des Aschermittwochs zu erinnern und daran anzuknüpfen: „Den Goldklumpen in uns und in andern zu erkennen, ihn freizulegen und zu polieren, darum geht es in der buddhistischen Lehre“[1] – und man müsste mit starken Argumenten kommen, um zu zeigen, dass es nicht auch im Christentum darum ginge.

Diesen Goldklumpen in Ihnen dürfen Sie als ein großzügiges Geschenk Ihres Schöpfers annehmen. Sie sind Bundespartner Gottes, das erzählt die erste Lesung, und sollten Sie getauft sein, ist diese Taufe kein billiger Abwasch oder Abklatsch, sondern das Zeichen für ein gutes Gewissen, das sich am Auferstandenen ausrichtet, so die zweite Lesung. Und Ihnen sind Engel an die Seite gestellt, die Ihnen helfen können, diesen Goldklumpen freizulegen, das sagt das Evangelium.

» Dankbarkeit ist die Schwester der Großzügigkeit. Sie wirkt wie eine Brille, die uns einen klugen Blick auf die Welt ermöglicht. Die Welt ändert sich nicht, aber wie sehen sie mit anderen Augen, wenn wir all die vielen Momente erkennen, in denen uns das Leben beschenkt. «
Mannschatz, Marie (2019): Vollkommen unvollkommen. Zehn Qualitäten, die das Beste in uns zum Vorschein bringen, München, 25.

Großzügig sein – eine Haltung, viele Wege

Ein erster Weg, eine der „Vollkommenheiten“ in buddhistischer Spiritualität zu lebe, ist die Großzügigkeit. Diese Haltung können Sie in der Bußzeit auf vielfältige Weise einüben, um den Goldklumpen in Ihrem Inneren zum Leuchten zu bringen.

Kirchliche Tradition spricht vom Fastenopfer, erinnert an Nächstenliebe und Verantwortung den Schwestern und Brüder gegenüber. In der katholischen Kirche meldet sich das Hilfswerk Misereor zu Wort, in der evangelischen Kirche gib t die Aktion „7 Wochen ohne“ Anstöße. Dagegen ist nichts zu sagen, im Gegenteil. Aber Großzügigkeit fängt viel früher an. Am Frühstückstisch vielleicht, auf dem Weg zur Arbeit oder zu Schule/Hochschule (so es diesen Weg gerade gibt), am Supermarkt, im Bus, beim Telefonat mit einer Freundin, einem Freund … – suchen Sie es sich aus. Egal wo und wie: „Großzügiges Geben ist ein Ausdruck der Fähigkeit, loslassen zu können.“[2] Ich hafte an nichts so sehr an, dass ich nicht bereit sei, es loslassen zu können. Durch die Freude des Gebens wird die Verbindung zum Besten in Ihnen und anderen hergestellt. Kein Wunder, dass die Gastfreundschaft in wohl allen Religionen einen so hohen Stellenwert hat – sie ist ein ausgezeichneter Weg, den inneren Goldklumpen zum Vorschein kommen zu lassen. Anstatt zu betonen, was ich nicht darf in einer solchen Bußzeit, scheint es hilfreicher, die Bereitschaft, großzügig loszulassen zu locken.

» Die Grundessenz der Großzügigkeit ist Loslassen. Und wie sollten wir Loslassen und innere Befreiung ohne Vergebung erfahren? «
Mannschatz, Marie (2019): Vollkommen unvollkommen. Zehn Qualitäten, die das Beste in uns zum Vorschein bringen, München, 29.

Ein Zweites: Großzügigkeit zeigt sich auch in der Weise, in der Sie dankbar sind und Wertschätzung zeigen. Beide Haltungen – anderem, anderen oder sich selbst entgegengebracht, führen unweigerlich dazu, dass die Schichten, die Ihren Inneren Goldklumpen bedecken, abgetragen werden.

Und ein Drittes: „Die Grundessenz der Großzügigkeit ist Loslassen. Und wie sollten wir Loslassen und innere Befreiung ohne Vergebung erfahren? In jedem menschlichen Dasein gibt es Verletzungen, ebenso wie die Suche nach Heilung. Nur das Vergeben erschließt uns den Weg in eine von den Wunden der Vergangenheit unbelastete Zukunft.“[3]

Eine Zeit des Einübens

Um es abzuschließen: Sie können sich vieles sparen in dieser Bußzeit. Sparen Sie sich die Beschäftigung mit der Frage, was Sie fasten sollen in dieser Bußzeit – was, außer dem eigenen Heroismus auf die Spur kommen zu können könnte dieser Verzicht leisten? Nehmen Sie diese Zeit als Geschenk, sich als beschenkt und auch als Geschenk, als „Goldschatz“ zu sehen. Und üben Sie Großzügigkeit als den Weg, diesen Goldschatz zum Leuchten zu bringen. Gute Hilfen dazu sind großzügiges Geben, Danken, Wertschätzen, Vergeben. Sie werden damit allerhand zu tun bekommen, aber wichtiger als das Tun ist das Entdecken, das Erkennen – und die Erfahrung, dass Ihr innerer Goldklumpen mehr und mehr zum Leuchten kommt.

Amen.

Köln 20.02.2021
Harald Klein

[1] Mannschatz, Marie (2019): Vollkommen unvollkommen. Zehn Qualitäten, die das Beste in uns zum Vorschein bringen, München, 9.

[2] A.a.O., 13.

[3] a.a.O., 29