Freiheit erlernen
„Alles vermag ich durch ihn…“ (Phil 4,13). – Paulus erlernt Freiheit: Die Freiheit vom Gesetz ist für den Pharisäer Saulus ein Gräuel, für den Apostel Paulus vielleicht der (theologische) „Gewinn“ des Christentums. Sein Weg dorthin ist lang, erfordert nicht nur ein Umdenken, sondern auch ein Umwerten aller und alter Werte, die durch das Kreuz geschieht. Das „zur Freiheit befreit“ ist an anderer Stelle dieses Heftes schon oft genug zur Geltung gekommen, hier gilt es, Spuren paulinischer Freiheit im Brief an die Philipper zu sichten.
Der Brief an die Lieblingsgemeinde des Paulus atmet Freiheit – immer verbunden mit Freude und mit Hoffnung. Und genau darin liegt ein erstes Kennzeichen paulinisch verstandener Freiheit: sie ist verbunden mit Freude und Hoffnung. Für Paulus ist Freiheit immer zielgerichtet: sie ist immer zuerst die Freiheit von etwas – von den eigenen Plänen, von der eigenen Zukunft, von den eigenen Gesetzen und Geboten; und sie ist immer auch Freiheit für etwas, besser: Freiheit auf jemanden hin: auf Christus, auf die Verbundenheit mit Ihm, auf das Geschenk der mehr und mehr wachsenden Christusförmigkeit des eigenen Lebens.
Paulus „freit“ die Philipper
Ein erster Ansatzpunkt, dies zu verdeutlichen, seien Dank und Fürbitte zu Beginn des Briefes (Phil 1,-11). Paulus dankt seinem Gott jedes Mal, wenn er an die Philipper denkt, und immer betet er mit Freude für sie, hoffend, dass Gott das gute Werk, das er in ihnen begonnen hat, auch vollende. Hat er als Pharisäer noch ein „Programm“ gehabt, Gebote und Gesetze, nach denen seine Gemeinde zu leben und sich (aus-) zu richten hatte, so ist dieses Programm nun „nur noch“ ein Mensch, wenn auch der Gottmensch, Jesus Christus. In all seiner Macht, die eher Vollmacht ist, mit allen Mitteln, die zu wählen er frei ist, verkündet er zusammen mit seinen Gefährten in Philippi Christus. Und er lässt frei, gewährt einen Raum der Freiheit, in dem sich das Leben in Christus dort entwickelt. Dass das nicht immer so ist, zeigt der 1 Kor, mit kaum einer anderen Gemeinde hat er so viel Ärger und muss so viele Zerwürfnisse und Missverständnisse klären. Doch selbst wenn er klare Worte spricht, er lässt die Entscheidung wachsen, gibt sie nicht vor. Er betet darum, dass die Liebe der Philipper „immer noch reicher an Einsicht und Verständnis wird, damit ihr beurteilen könnt, worauf es ankommt.“ (Phil 1,9f). Das ist wahre Freiheit in geistlichen Dingen: sich mit allen zu Verfügung stehenden Mitteln einsetzen, und dennoch den anderen frei lassen. Dazu ist es nötig, die Mittel zu kennen und die rechten zu wählen; für Paulus war es in Philippi sein eigener Glaube und das Leben, dass er mit den Philippern geteilt hat. „Ahmt auch ihr mich nach, Brüder, und achtet auf jene, die nach dem Vorbild leben, das ihr an uns habt“, sagt er (Phil 3,17). Freiheit – ein erstes Fazit: mit allen zur Verfügung stehenden geistlichen Mitteln so leben, dass Freude und Hoffnung wachsen.
Frei sein für Christus
Ein zweiter Ansatzpunkt, dass es Paulus hinsichtlich der Freiheit immer um Christusförmigkeit geht, immer darum, dass entweder er selbst oder die, denen er predigt, mehr christusförmig leben, ist der Schlussteil, der Dank des Apostels in Phil 4,10-20, besonders die Verse 4,11-13: „Ich habe gelernt, mich in jeder Lage zurecht zu finden. Ich weiß Entbehrungen zu ertragen, ich kann im Überfluss leben. In jedes und alles bin ich eingeweiht. In Sattsein und Hungern, Überfluss und Entbehrung. Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt.“ Paulus schreibt diese Zeilen in „Bedrängnis“, wohl aus dem Gefängnis in Ephesus. Was für eine Freiheit, statt der Klage über die eigene Lage die Freude darüber auszudrücken, dass die Gemeinde in Philippi sich seiner sorgt. Frei von der Angst um sich selbst, ist er frei für die, die sich ihm – die er sich – anvertraut hat. All das vermag er „durch ihn, der mir Kraft gibt“. Christliche, paulinisch verstandene Freiheit ist kein Altruismus, keine philosophische „Größe“, sie ist Konsequenz einer gewählten Bindung an Christus. Christliche, paulinisch verstandene Freiheit mag von sich selbst absehen können, aber niemals von Christus! Auf ihn hin ist sie ausgerichtet, von ihm her bekommt sie ihre Kraft.
Für das Gebet und das Gespräch in der Gruppe:
- Sich in einer Gebetszeit Menschen vor Augen halten, die mir Freiheit gewährten, statt mich auf ihre als gut erkannten Wege zu lenken; Menschen, die mich ziehen ließen und in aller Freiheit –betend, hoffend, lieben – begleiteten, damit meine Liebe in Freiheit wachsen konnte und ich mehr beurteilen lernte, „worauf es ankommt“ (vgl. Phil 1,9)
- Mir vor Augen halten, wem ich selbst in dieser Weise des „Freiens“ begegnen kann und darf: wo, wem gegenüber vermag ich in Seiner Kraft so frei begegnen, dass sich der andere „befreit“ fühlt und ich ihm dennoch „verbunden“ bin?
- Mit der einfachen Frage umgehen, von was ich mehr frei werden muss, um mehr frei für Ihn zu sein? – Wie können Wege des Einübens dieses „Frei sein von“ gegangen werden? Und auf welche Weise kann das „frei sein für“ mich mehr locken? Wie kann die Gruppe dabei helfen?
- Den Dank des Apostels zu meinem Dank machen: Überfluss und Entbehrung, Sattsein und Hungern vor Augen halten, mit Namen und Erinnerungen füllen, einander in der Gruppe davon erzählen – und miteinander Staunen darüber, wie sehr Gott selbst in all dem gegenwärtig ist: dem Gekreuzigten in den Entbehrungen und dem das Mahl Feiernden im Überfluss begegnen, dem Blut Schwitzenden in der Angst und in der Entbehrung, dem Herrn auf dem See im Boden, der sich unter mir öffnet, und dem in den Sand Schreibenden und Vergebenden im Bekenntnis meiner Schuld. In allem gilt: „Alles vermag ich durch ihn, der mir Kraft gibt.“
Harald Klein, Königstein