Fünf Brote und zwei Fische – eine Grenzerfahrung

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Hinter den Kulissen der Brotvermehrung

Haben Sie schon einmal „hinter die Kulissen“ der Geschichte von der Brotvermehrung geschaut? Das, was wir unter der „Brotvermehrung“ kennen, bezeichnet nur eine erste, eine „offen-sichtliche“ Ebene in dieser sehr vertrauten Geschichte des Evangeliums. Sie muss sehr zentral in der frühen Kirche gewesen sein, denn sie findet sich in allen vier Evangelien.

Der 2002 in Würzburg verstorbene Neutestamentler Rudolf Schnackenburg hilft, den tieferen Gehalt dieser „Grenzgeschichte“ Jesu zu entdecken. Er weist als erstes auf den Ort hin, in der Mt 14,13-21 steht. Zwei kurze Episoden sind der sog. „Ersten Brotvermehrung“ vorangestellt: In Nazareth begegnet Jesus der „inneren Grenze“ der Menschen seiner Heimat, der Ablehnung seiner selbst und vor allem dem Unglauben der Menschen vor Ort. Und an diese „innere Grenze“ schließt sich eine „äußere Grenze“ an, die Bedrohung von außen, die durch die Ermordung des Täufers durch Herodes Gestalt gewinnt. Die Jünger des Johannes begraben dessen Leichnam, gehen zu Jesus und erzählen ihm alles. Und dann setzt die „Brotvermehrung“ mit dem (inneren wie äußeren) Rückzug Jesu in die Einsamkeit an, sie fährt fort mit dem Vertrauen der Kranken und deren Angehörigen, die ihm folgen, und sie findet einen ersten Höhepunkt im Mitleid Jesu mit den „Grenzgängern“ – und mit den Heilungen der Kranken, die unter ihnen waren.

Dann kommt der Abend, und die eigentliche Erzählung der Brotvermehrung beginnt.

Erinnern an den Hunger der Menschen

Ein tiefer Sinn dieser „Komposition“ liegt in der Erinnerung des Mt an den „Hunger“ der Menschen. Der Evangelist mag an das Speisewunder mit dem Manna auf dem Wüstenzug Israels (Ex 16) denken, oder an die Speisung der 100 Gerechten des Propheten Elischa (2 Kön 4,42-44), allemal verweist er auf das eigene Mitleiden Jesu mit den „hungernden“ Menschen um ihn herum und darauf, dass Jesus wie sein himmlischer Vater selbst noch größere Gaben zu geben bereit ist – alle aßen und wurden satt, und von seinem gegebenen Brot bleiben ganze zwölf Körbe voll übrig.

Jesus an der Grenze begegnen

In unserem Zusammenhang dürfen wir glauben: Jesus nimmt an unserem Hunger Anteil, er ist voll des Mitleids, und er reagiert auf die Not, die die Menschen ihm „vortragen“. Fromm gesagt: er wohnt nicht nur in unserer, in meiner „Mitte“, er hält auch aus, hält sich auch auf an unserer, an meiner „Grenze“, er geht mit an diesen Ort, und er steht dort voll des Mitleids. Wir können uns einreihen in das durch die Wüste ziehende Gottesvolk und auf das „Manna“ hoffen, das er uns geben will. Wir können am „Abend“ unseres Vermögens, kurz vor dem bedrohlich und angstvoll wirkenden Einbruch der „Nacht“, ihm unseren Hunger hinhalten und das Wenige, das wir haben, die fünf Brote und die zwei Fische, mit Johannes sagend: „Was ist das für so viele?“

Herstellendes und darstellendes Handeln

Und wieder gilt: das Entscheidende spielt sich dann „hinter den Kulissen“ ab. Es gilt, der inneren Bedrohung von Nazareth, dem Unglauben, und der äußeren Bedrohung durch Herodes, des Verfolgtseins durch Ängste, falsche Pläne und Erwartungen, zu entkommen Der emeritierte Bischof von Limburg, Franz Kamphaus, predigte oft über den Unterschied zwischen „herstellendem“ und „darstellendem“ Handeln. Christen, die dem „herstellenden Handeln“ anhangen, glauben sich oft „in persona Christi“ handelnd: sie erwar- ten das Wunder von sich selbst. Das geht schief! Da sind die fünf Brote und die zwei Fi- sche immer zu wenig – und sieben Brote mit zwölf Fischen wären es auch! In der Hal- tung des „darstellenden Handelns“ kann ich aber auf das Mitleid Jesu vertrauen, ich bringe ihm meine Not und traue darauf, dass ich mit meinen fünf Broten und meinen zwei Fischen dem Hunger der Menschen und dem eigenen Hunger begegnen darf. Ganz anfanghaft, ganz einfach – und dass ich, an der Grenze aushaltend, sie gestalten darf.

Sendung als „Sei du, und sei da!“

In der Auseinandersendung mit der Grenze, die mir selbst gesetzt ist, und mit den Grenzen, die mein Leben mit sich bringt, habe ich mir immer wieder die Frage nach meiner „Sendung“ als Christ in der GCL gestellt. In der Gruppe und im Austausch über „unsere Sendung“ kam mir eine kurze Formel, die „Sendung“ umschreibt: „Sei du, und sei da.“ Ich glaube, dass Jesus nie mehr von denen verlangt, die ihm folgen, als genau dies: „Sei du – so wie du geschaffen bist, mit deinen Grenzen und mit all dem, was diesseits der Grenzen „eingefriedet“ ist und vom Herrn noch „eingefriedet“ wird. Und „Sei da“ – sei gegenwärtig, aufmerksam und hellwach, um mit dem, was „in deinen Grenzen“ ist, tätig werden zu können. Den „fünf Broten und zwei Fischen“ in meinen Grenzen gilt auch Ps 147,14: Er verschafft meinen Grenzen Frieden.

Für das eigene Gebet und das Gespräch in der Gruppe

Es bietet sich an, in und mit den eigenen Grenzen zu beten, um dann der eigenen Sendung an und mit diesen Grenzen auf die Spur zu kommen. Einige Impulsfragen könnten sein:

  1. Welche inneren und äußeren Grenzen, die mir gesetzt sind, nehme ich gegenwärtig in meiner eigenen Person, in meinem Umfeld wahr?
  2. Wo und wie erlebe ich hier die Not des eigenen Unglaubens, die Tendenz zum „herstellenden Handeln“, die Einladung zum „darstellenden Handeln“
  3. Wie kann sich mein (in der Gruppe: unser) Verständnis von Sendung als „Sei du, und sei da!“ äußern und Form gewinnen?

Am Ende des Gebetes, der Betrachtung oder des Gesprächs in der Gruppe fällt mir kein besserer Schluss ein als das, was sich „hinter den Kulissen“ abspielt, mit den Worten Te- resas von Avila zu besingen: „Nada te turbe, nada te espante. Solo dios basta!“ Nichts soll dich erschrecken, nichts soll Dir die Hoffnung nehmen. Gott allein genügt. Er verschafft deinen, meinen, unsern Grenzen Frieden.

Harald Klein, Köln