Der Ton macht die Musik
In der Gegend, in der ich aufgewachsen bin, gibt es eine Floskel, die ich eigentlich nur von dort kenne, aus dem Hessischen. Sie fragen Ihren Nachbarn, ob er das Fußballspiel gegen den Nachbarort gesehen hat, und er antwortet nur mit „Ach, geh fort, das war ein einziges Debakel.“ Oder ob er die Auseinandersetzung mit seiner Frau zu einem guten Ende haben führen können, und seine Antwort könnte sein: „Geh mir fort mit der, wir haben uns jetzt getrennt.“
„Geh fort“ hat etwas Abwertendes, zumindest in der Gegend, in der ich groß geworden bin. „Zieh weg“ – wie heute in der Geschichte von Abraham – hat etwas Verheißendes. Beide zielen auf das gleiche Tun. Aber: Der Ton macht die Musik! Und jetzt Achtung: Die revidierte Übersetzung der Einheitsübersetzung von 2016 hat sich hier für „Geh fort!“ entschieden, das „Zieh weg!“ ist überholt.
Mein Inneres Team, von Gott gerufen
Ich stelle mir vor, dass dieser Ruf Gottes an Abraham mir gilt. Und ich höre jetzt nicht mehr, wie in den letzten 50 Jahren, „Zieh weg“ im Sinne von „Brich auf“ sondern ich höre dieses „Geh fort!“. Wenn ich hier „ich“ sage, dann meine ich auch all die Teilpersönlichkeiten, die vielen Mitglieder meines „Inneren Teams“, die in mir ihr Stimme erheben und gehört werden wollen, wenn es um Entscheidungen geht. Allen voran die so genannten Inneren Antreiber: Da ist „der Starke“, dem keine Aufgabe zu viel ist, und der hört „Geh fort!“. Dann „der Perfekte“, der selbst noch das kleinste Detail abstimmen muss, damit es überhaupt nur gut sein kann; „der Gefällige“ will es allen und jedem Recht machen; „der Schnelle“ versucht, es natürlich so flott wie möglich hinzubekommen; und dann ist noch er da in mir, der meint, er müsse sich richtig anstrengen, sonst käme nichts Gutes dabei heraus. Es gibt noch viele mehr dieser Inneren Persönlichkeiten in Ihnen, wenn Sie mögen, spüren Sie denen einmal nach und geben Sie ihnen Namen.
Nach der revidierten Einheitsübersetzung hören alle aus meinem Inneren Team jetzt Gottes „Geh fort!“ – mit Deinem Stark-sein-wollen, mit Deinem Hang nach Perfektion; mit Deinem Bemühen, es allen Recht machen zu wollen; mit Deinem Tempo und Deinem Dich-Beeilen; mit Deinem ewigen Anstrengen.
„Ich werde Dich segnen…“
Aber so ist es ja nicht gemeint, das „Geh fort!“ ist nicht von einer abwertenden Handbewegung begleitet, sondern mit einer hinweisenden Geste, eben ganz im Sinne des „Brich auf!“ oder des „Zieh weg!“ Begleitet wird dieses Wort von Gottes Zuspruch „Ich werde Dich segnen!“ Und das gilt dann natürlich auch wieder all meinen Teilpersönlichkeiten, dem Starken, dem Schnellen, dem Gefälligen, dem Perfektionisten und dem, der meint, er müsse sich immer anstrengen. Die „Jungs“ da in mir, die inneren stimmen oder Teilpersönlichkeiten sind ja nicht per se schlecht, sie müssen nur so arbeiten, dass sie anderen und mir zum Segen werden. Das macht den Unterschied.
„… ein Segen sollst Du sein.“
Wenn ich mich in die Rolle des Abram begebe, und wenn ich das erste Wort Gottes an Abram in hessischem Verständnis höre, dann wird mir einiges klar. „Geh fort!“ – mit all den inneren Stimmen, den Mitgliedern Deines Inneren Teams, Deinen Antreibern, damit musst Du mir nicht kommen. „Zieh weg“ – aus Deinen gewohnten Mustern des Handelns und des Bewertens. Ich will Dich segnen, und all das, was in Dir ist, wer innerlich zu Dir gehört. Du kannst, Du sollst ein Segen sein mit dem, was in Dir ist, mit wirklich all dem!
Vielleicht ist dieser Sonntag die Gelegenheit, sich wie Petrus, Jakobus und Johannes beiseite nehmen zu lassen – so steht es im Evangelium, nur ein kleines „Zieh weg“ – und sich anzuschauen, wer denn da zu meinem Inneren Team gehört, und was geschehen muss, damit diese inneren Stimmen und Teilpersönlichkeiten gesegnet werden und zum Segen werden können.
Petrus, Jakobus und Johannes führte das zur Erfahrung der Verklärung!
Amen.
Köln, 08.03.2020
Harald Klein