Zum Hintergrund
Sowohl im Kreis der Gefährten als auch in der Glaubensgruppe, der ich angehöre, wird die Frage nach „geistlichen“ oder „spirituellen“ Erfahrungen immer wieder gestellt. Es gibt sicher eine Sehnsucht nach solchen Erfahrungen, aber kaum Kriterien, sie von anderen Erfahrungen oder gar Erlebnissen zu unterscheiden. In einem Gesprächsvorschlag, der auf einen ca. 90min Austausch hin konzipiert ist, soll versucht werden, die Frage nach den Kriterien für eine „Geistliche Erfahrung“ zu beantworten, insofern sie überhaupt zu beantworten ist!
Die knappen Stichworte dieses Beitrages gibt es als Download hier .
Zum Einstieg
- Wir erzählen uns kurz drei beliebige Erlebnisse aus den vergangenen Tagen, die uns jetzt noch nachgehen.
- In einer kurzen Stille versuchen wir, die eigenen Erlebnisse zu attribuieren: das Erlebnis war „schrecklich“, „überraschend“, „wunderbar“… – und werden dabei wahrscheinlich erleben machen dabei wahrscheinlich die Erfahrung, das andere dieses Erleben anders attribuieren würden.
- Erste These: Erfahrungen sind von Erlebnissen zu unterscheiden – Erlebnisse können in ihrem Ablauf, in ihrem Entstehen und in ihren Wirkungen beschrieben werden; Erfahrungen sind immer Deutungen von Erlebtem, die innerhalb eines ganz bestimmten Horizonts Daraus ergibt sich eine erste Antwort auf die Leitfrage: Es „gibt“ (in ontologischem Sinne) keine Geistliche Erfahrungen, es gibt aber sehr wohl (in einem konstruktivistischen oder hermeneutischen Sinne) Erlebnisse, die durch Deutung innerhalb eines religiösen/spirituellen Horizonts als „Geistliche Erfahrung“ gedeutet und geglaubt werden.
Erste Austauschrunde
- Es sei an die Vexier-Bilder erinnert: Was sehe ich, was siehst Du, wenn Du hinschaust? Gibt es Erklärungen, wieso das eine, das andere oder sogar beides „gesehen“ (= „erlebt“) werden kann?
- Zweite These: in den Deutungen von Erlebnissen gibt es die Gegenüberstellung von Offenheit vs. Engstirnigkeit bzw. Absichtslosigkeit vs. Absicht. Das Logo von FedEx zeigt, dass ein Hindrängen zum Selbstverständnis des Konzerns durch eine Art Vexierbild – nichts anderes ist der Schriftzug! – nicht gelingt, weil Offenheit und Absichtslosigkeit der Betrachter stärker sind! Erst wenn das „Vexierbild“ des Schriftzuges erklärt wird und man die Erklärung nachvollziehen kann und will, kann man die Lösung immer wieder erkennen und erfahren. – In religiösen Vollzügen übernimmt diese Aufgabe die Dogmatik S.v. von Lehre und die Frömmigkeit i.S.v. von Vollzug.
- Dritte These: Vorschlag einer Definition: Geistliche (oder auch Spirituelle) Erfahrung ist
- persönliche Deutung von Erlebtem,
- die an einen spezifischen Deutungshorizont zurückgebunden ist
- und innerhalb dieses Horizontes nach vorn – auf ein Wachstum z.B. im Menschsein – weist;
- die sprachlich zur Verfügung gestellt werden kann,
- und von der Vernunft her nachvollziehbar ist, ohne übernommen oder geteilt werden zu müssen,
- die im besten Fall nicht neben dem Alltäglichen steht, sondern ihm entspringt, ihn deutet und Perspektiven aufzeigt;
Zweite Austauschrunde
- Hinsichtlich „Geistlicher Erfahrungen“: Welche „Deutungshorizonte“ liegen bei mir oben auf bzw. wähle ich immer wieder?
- Gibt es „Muster“, mit deren Hilfe (wenn es denn eine „Hilfe“ ist) ich „Erlebnisse“ durch Deutung zu meinen „Erfahrungen“ mache?
- Passt die oben beschriebene Definition dessen, was eine „Geistliche Erfahrung“ sein kann“ in mein Erleben, in meine Erfahrung? Was ist mir neu, was kenne ich schon, was stößt bei mir auf Kritik?
- Welche „Geistlichen Erfahrungen“ erinnere ich, kann ich hier ins Gespräch bringen und anderen zur Verfügung stellen?
Abschluss: Blitzlicht
Folgende Satzanfänge können abschließend und zusammenfassend ergänzt werden:
- Hinsichtlich meiner Erlebnisse…
- Hinsichtlich meiner Deutungsmuster…
- Hinsichtlich der Frage nach Geistlichen Erfahrungen…
- Unser Austausch war für mich…
Köln, 08.11.2022
Harald Klein