Gebetshilfen aus der Schrift – Gründe haben…

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Stippvisiten in Städten und auf dem Land

Städtetrips – meine drei letzten führten mich im September 2019 nach Dresden, im Dezember 2019 nach Amsterdam, und dann – unter Corona-Bedingungen – im August 2020 nach Maulbronn, auf die Spuren Hermann Hesses, der dort als Jugendlicher im Internat war.

Diese 2-3tägigen Ausflüge haben einen wiederkehrenden Mechanismus: Zuerst die großen, staunenden Augen: Was zeigt sich da, was gibt es zu entdecken, im Zwinger, neben den Grachten, in der mittelalterlichen Klosteranlage?

Dabei bleibt es nicht. Hesse schreibt in seinem Gedicht „Stufen“: „Kaum sind wir […] eingewohnt, so droht Erschlaffen.“ Irgendwann nach einer Zeit der Gewöhnung meldet sich das Unverstandene, das Seltsame, das, was mich verunsichert. Warum ist nur das touristische Dresden so herausgeputzt? Wieso lassen sich die Menschen in den Niederlanden ins Wohnzimmer schauen? Wieviel Unrecht ist in diesem Klosterinternat wohl geschehen? Und dann kommt der entscheidende Moment: Kann ich auch das Dunkle, das Unverstandene in meinen ersten so guten Eindruck hinein integrieren, oder folgt Ablehnung, drehe ich dem Ganzen den Rücken zu und lasse es links, besser: hinter mir liegen? Tun sich mir in der Begegnung mit dem Fremden, dem Neuen „Gründe“ auf, die mich darin heimisch werden lassen, oder gewinnen die „Ab-Gründe“, gewinnt das Unverstandene, das vielleicht sogar bedrohlich Wirkende? Finde ich gute Gründe zu bleiben und vielleicht wiederzukommen, habe ich Grund, habe ich Boden unter den Füßen, der mich stehen und bestehen lässt, oder will ich lieber gehen, vielleicht sogar fliehen? Bleibe ich, um nochmals Hesse zu zitieren, in „lähmender Gewöhnung“, oder bin ich bereit zu „Aufbruch und Reise, neuen Räumen entgegenzugehen?“

Mit Paulus in Athen

Nach dieser langen Ouvertüre schlage ich Ihnen vor, mit Paulus zusammen einen Städtetrip nach Athen zu machen. In Apg 17 wird berichtet, wie diese Stadt auf ihn wirkt, und wie er in diese Stadt hineinwirkt. Im Artikel „Praktisch umgesetzt“ finden Sie den entsprechenden Text aus der Apostelgeschichte. Im Sinne einer „Bereitung des Schauplatzes“ können Sie sich diesem Text mit allen Sinnen widmen.

Silas und Timotheus, die Begleiter des Paulus, sind noch in Beröa, Paulus ist vor einigen feindlichen Juden geflohen und wartet jetzt in Athen auf seine Begleiter. Mit einer gewissen Ungeduld schreitet er durch die Stadt. Vielleicht ist es gerade diese Ungeduld, die den heftigen Zorn in ihm weckt, weil hier so viele Götzenbilder zu sehen sind. An was die Menschen hier so alles glauben, wem sie opfern, und wen sie anbeten – vielleicht wäre Mitleid oder Empathie angemessener als Zorn. „Aus welchem Grund opfert ihr zu diesem Gott oder betet ihr zu jenem Gott“, könnte er fragen.

Paulus geht ins Gespräch, mit den einfachen Menschen am Markt, aber auch mit den Philosophen verschiedenster Schulen. Sie kennen das Gemäldes Raffaels von der Philosophenschule in Athen? Stellen Sie sich vor, die Philosophen kämen aus dem Bild heraus auf Paulus zu, und Paulus spräche sie an – nicht umgekehrt. „Welche Gründe habt Ihr, auf die ihr ein gutes Leben aufbaut, an wen, an was glaubt ihr“, könnte er die Philosophen fragen. Aber man tut ihn in Athen als Schwätzer ab.

Mehr noch, sie scheinen ihn vorführen zu wollen. Die Philosophen führen ihn zum Areopag, wo man die „letzten Neuigkeiten“ verkünden oder hören kann. Der Ort der Schlagzeilen, die oft „Schlag-Zeilen“ werden. Athens „Fake-News“ wohnen hier.

Der unbekannte Gott und das Gehen

Paulus wirft sich ins Zeug! Eben noch zornig gewesen, wandelt er den Zorn in gewinnbringendes Schmeicheln um: „Nach allem, was ich sehe, seid ihr besonders fromme Menschen. Denn als ich umherging und mir eure Heiligtümer ansah, fand ich auch einen Altar mit der Aufschrift: EINEM UNBEKANNTEN GOTT. Was ihr verehrt, ohne es zu kennen, das verkünde ich euch.“

Schauen Sie sich die Predigt an, ein wunderschöner Text für die, die schon „drin“ sind. Versuchen Sie nachzuempfinden, wie es dagegen den (heidnischen!) Athenern beim Zuhören erging. Ihnen fehlten bei aller Philosophie und bei aller griechischen Theologie die Anknüpfungspunkte; selbst, wenn sie wollten, sie konnten den Prediger Paulus nicht verstehen. Und spätestens beim Hinweis auf das Gericht durch den Auferstandenen steigen sie aus oder spotten: „Darüber wollen wir dich ein andermal hören!“ Nur wenige finden einen Grund zu bleiben und mit Paulus mitzugehen. Die anderen gehen.

Der bekannte Gott und das Bleiben

Es braucht Gründe, um zu bleiben, will es ein entschiedenes Bleiben und nicht nur die faule Gewohnheit sein. An der Predigt des Paulus auf dem Areopag in Athen können Sie Ihre Entscheidung, bei Gott zu bleiben oder zu gehen, gut festmachen.

Da ist die Frage nach dem Bild, das Sie von Gott haben. Paulus stellt den Schöpfer vor, der weder Tempel noch Opfer braucht. Es geht um den Schöpfer, der Leben, Atem und alles andere gibt. Dieser Schöpfer ist Grund Ihres Lebens – er bewirkt Ihr Dasein, auf ihm stehen Sie fest. Wollen und können sie so von Gott denken? Ein erster Grund des Bleibens.

Dieser Gott, so Paulus, hat Sie mit allen anderen Menschen genau in diese Zeit, genau an diesen Ort hineingestellt, sie „eingegrenzt“ in Raum und Zeit. Können und wollen Sie das annehmen? Dann wäre es ein zweiter Grund des Bleibens.

Auf ihm, dem lebendigen Stein, stehen und gegründet sein, um ihn zu suchen, ihn zu ertasten und ihn zu finden – darin liegt Ihre Bestimmung. Wollen und können Sie das annehmen? Das wäre ein dritter Grund des Bleibens.

In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir. Paulus gibt all dem, was uns umgibt, eine göttliche Note, hebt die ungute Trennung von „sakral“ und „profan“ auf. Mehr noch: „Wir sind von Gottes Art“, diesen Satz der griechischen Denker teilt Paulus. Wollen und können Sie so groß von der Welt um sie herum und von sich denken? Ein tiefer vierter Grund des Bleibens.

Paulus mahnt, die Mach(t)werke der Menschen nicht mit denen des lebendigen Gottes zu verwechseln. Wollen und Können Sie diese Unterscheidung treffen? Ein fünfter Grund des Bleibens.

Und schließlich, am Ende der Hinweis auf den, der von den Toten auferstanden ist, um die Welt in Gerechtigkeit zu richten. Da hat die schlichte Zustimmung etwas Naives, da ist das Vertrauen gefragt, weil die Erfahrung oft fehlt. Wollen und können Sie hier vertrauensvoll Ja sagen? Dieses Ja kann ein sechster Grund des Bleibens werden, wenn die anderen fünf Gründe so gut wie möglich mit Erfahrung gesättigt wurden.

Gegründet sein in den Gott Jesu Christi setzt nicht nur Predigt, sondern auch Erfahrung und deren Deutung voraus. Das fehlte den Athenern!

Harald Klein, Köln
*1961, Priester und Sozialpädagoge
mit Schwerpunkt
„Spiritualität für Soziale Berufe“,
gebundenes Mitglied in der GCL