Gründonnerstag: Die Lernzone entdecken – oder: (Sich) Ändern und annehmen

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Der Wechsel von der Komfort- in die Lernzone

Die Zeit Jesu in Galiläa mit den Jüngerberufungen den Heilungs- und Speisewundern, der Aufmerksamkeit, die man Jesus, dem „Rabbi“ zollte, den Routinen und Feierlichkeiten habe ich an Palmsonntag als das Leben Jesu in seiner Komfortzone[1] zu beschreiben versucht. Dass Jesus sich aus seiner Komfortzone herausbewegt, dafür steht der Weg hinauf nach Jerusalem. Dieser Weg kann letztlich nur im Rückgriff auf das Verständnis seiner Sendung, seiner Berufung erklärt werden. Ein Bestandteil dieser Sendung, dieser Berufung, wenn nicht sogar der wichtigste Bestandteil wird dabei die Korrektur, die Reformation des jahrhundertelang erwachsenen Gesetzesglaubens Israels sein. Es geht Jesus um die Unmittelbarkeit des Menschen zu seinem ihn und alle Menschen liebenden Gott (Gottesliebe), um die Unmittelbarkeit der praktizierten Liebe zueinander (Nächstenliebe) und – als Antwort auf und zugleich Bedingung für beides – um die liebende Annahme seiner Selbst, gerade in aller Unvollkommenheit. Nicht allein auf dem einfachen Land, unter Fischern, Landarbeitern und ihren Frauen will Jesus diese Reformation, diese Rückbesinnung vorantreiben – er will in die Städte will ins Zentrum der religiösen und der weltlichen Macht, er will und muss nach Jerusalem.

» Wir brauchen keine Magie, um unsere Welt zu verwandeln; wir tragen alle Kraft, die wir brauchen, bereits in uns: Wir haben die Kraft, uns Besseres vorzustellen. «
Rowling, J.K. (2017): Was wichtig ist. Vom Nutzen des Scheiterns und der Kraft der Fantasie, Hamburg, 67.

Der Abendmahlssaal als Lernzone

Ob es die Welt der Beziehungen ist, die Arbeitswelt oder die Lebenswelt, etwa der Umzug in eine neue Stadt – irgendwann gibt es äußere Zwänge oder innere Bewegungen, die Komfortzone zu verlassen. Der richtige Schritt führt in die Lernzone, auch Wachstums- oder Risikozone genannt. Neue Herausforderungen sorgen für Unsicherheiten, fordern vorsichtigen und reflektierten Umgang mit dem oder mit den Neuen, die oder das da begegnet.

Die Lernzone für die Jünger Jesu ist – übrigens damals wie heute – klar umrissen. Es ist keine Konzilsaula, in der weltkirchliche Weichenstellungen verhandelt, besprochen, verändert, beschlossen werden; es ist auch kein Saal in einem Bildungshaus, in dem sich alle 69 Bischöfe und Weihbischöfe als Nachfolger der Apostel, 69 zentrale Vertreter*innen als Nachfolger der Pharisäer und Schriftgelehrten (wenn man das so sagen darf) und ca. 100 weitere Vertreter*innen über einen synodalen Weg verhandeln, der aber noch zu gehen sein wird; man wird sehen! Die bleibend gültige Lernzone der Jünger Jesu jetzt, nach dem gemeinsamen galiläischen Frühling, ist der Abendmahlssaal in Jerusalem.

„Da er die Seinen liebte, die in der Welt waren, liebte er sie bis zur Vollendung“, sagt Johannes in Joh 13,1. Und dass Jesus wusste, er werde jetzt aus dieser Welt zum Vater hinübergehen, seine Stunde sei gekommen. Das, was da im Abendmahlssaal geschieht, ist Jesu letzter Wille und hat testamentarischen Charakter – im doppelten Sinne: zum einen als klarer letzter Wille Jesu, und zum anderen als Bundesschluss; hier wird der „Neue Bund“ abgeschlossen, in einem doppelten Sinne: vertraglich unterzeichnet zum einen, und „mehr als das nicht“ zum anderen. Das Ganze gilt „den Seinen“ (Joh 13,1), das sind nicht nur die im Saal, da sind Sie und ich mitgemeint, es geht um alle, die in der Welt sind.

» Die einzige Weise, mit Sicherheit zu erkennen, wie wir zu Gott stehen, liegt darin, alle unsere menschlichen Beziehungen zusammenzunehmen und anzuschauen. Was in diesen Beziehungen vorhanden ist, das ist auch in unserer Beziehung zu Gott vorhanden. «
Franz Jalics

Von Jesus lernen

Das Evangelium von der Fußwaschung in Joh 13,1-15, aber auch der Abendmahlsbericht des Paulus in 1 Kor 11,23-26 bilden die Lerninhalte, sind der Lernstoff für diejenigen, die sich stellvertretend für alle, die in der Welt sind, im Abendmahlssaal versammelt haben.

Jesus legt sein Gewand ab. Das ist das Erste! Irgendwie passt das nicht mit dem Farbcode und der klaren Kleiderordnung der Kardinäle (mit rotem Birett und purpurroter Kleidung), den violetten Soutanen der Bischöfe oder den Talaren, Messgewändern und Kollarhemden der Priester und Diakone zusammen. Hier macht das Gewand den Menschen, steht die Kleidung für das Amt. Jesus legt sein Gewand erst einmal ab! Es geht ganz schlicht um den bloßen, den einfachen, den Menschen so, wie er geschaffen ist, nicht mehr und nicht weniger. Darin ist Jesus uns wirklich und ganz und gar Bruder! „Ohne Stolz, zugänglich und sanftmütig“ wird in der Lehrrede des Buddha über die Liebende Güte (unserem Begleittext durch Fasten- und Osterzeit) derjenige beschrieben, der den Frieden des Geistes als Ziel seines Lebens erkannt hat. Das gilt für Jesus – und das wird denjenigen gelten müssen, denen er sich jetzt zuwendet.

Jesus wäscht seinen Jüngern die Füße. Das ist das Zweite! Wenn sie es in Galiläa noch nicht verstanden haben, jetzt wird es ihnen vor Augen geführt. Ich bin für euch da, sagt diese Geste. Ich bin gekommen, um euch zu dienen, nicht, um über euch zu herrschen. „Lass es nur zu“, scheint er dem Petrus zuzuflüstern, der sich weigern möchte, der diesen Dienst nicht von Jesus annehmen möchte. Dieselben Worte sagte Jesus zu Johannes dem Täufer, als er sich weigern wollte, Jesus zu taufen – schließlich müsse doch er von ihm getauft werden. „Lass es nur zu!“ – einer der Kernsätze in dieser Lernzone.

Und schließlich: „Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe.“ Das ist das Dritte! Das Beispiel Jesu – im doppelten Sinne: das Beispiel, das er seinen Jüngern – und uns, die in der Welt sind – gibt; und das Beispiel, das sein Leben darstellt, dem es nachzufolgen gilt.

Man muss nicht Christ sein, um sein Würdengewand hinter sich zu lassen, um den anderen zu dienen, um dieses Beispiel nachzuahmen (im Übrigen haben viele Religionen und Weltanschauungen ähnliche „Beispiele“). Es ist das Abendmahl, es ist die Eucharistie, die das Ganze zu einem fast möchte ich sagen „christ-lichen“ Handeln werden lässt. Es sind die vielen kleinen Dienste der Selbsthingabe, vielleicht sogar die Haltung der Selbsthingabe, die durch das „Tut dies zu meinem Gedächtnis“ mit dem geschichtlichen Jesus in Verbindung gebracht werden. Der Dienst der Fußwaschung das Teilen von Wein und Brot, von Alltag und Fest, ist weder spezifisch christlich noch steht er für eine Art von Religion. Gut so! Aber was die Jünger – und wir, die wir in der Welt sind – im Abendmahlssaal lernen, ist: fürs Christsein braucht es drei Dinge: (1) der Mensch jenseits seiner „Gewänder“ ist gefragt; (2) wir begegnen einander im Modus des Dienens, der „Fußwaschung“; und (3) mehr ist nicht nötig, um diesem Jesus von Nazareth wirklich nachzufolgen, denn das ist das Beispiel, dass er uns quasi testamentarisch gegeben hat. Da stellt sich schon die Frage, ob oder wofür es fürs Christsein Institution braucht. Wer dient hier wem – und warum?

» Wir sollten aufhören zu glänzen
und anfangen zu leuchten. «
Buttgereit, Michael, Positionierungsdesigner, Gute Botschafter GmbH [online] https://diestillerevolution.de [19.01.2022]

Christentum umlernen: Sich ändern und die Fußwaschung annehmen

Die Jünger im Abendmahlssaal sind in einer vergleichbaren Situation wie wir. Ihr Kirchenbild, ihr Verständnis von Religion stürzt ein. Zumindest scheinen die Schriftgelehrten und die Pharisäer, die Hohepriester und die religiösen Bewegungen ihrer Zeit den Blick auf Gott mehr zu verstellen als ihn zu öffnen. In der Lernzone des Abendmahlssaales könnten Lernprozesse in Angriff genommen werden, die viel zu tun haben mit Schlichtheit, mit Dienen, mit Nachahmung und Vergegenwärtigung eines Beispiels, das Jesus gegeben hat, aber auch mit Hingabe und Begegnung, mit Essen und Trinken, Brot und Wein und Begegnung.

Offen gesagt: Mir ist der Abendmahlssaal als Lernort und die Fußwaschung samt Abendmahl näher und sympathischer als eine Konzilsaula oder Konferenzsaal eines Bildungshauses. Und die Form von Kirche im Abendmahlssaal, die leuchtet! Bis hinein in die Ölberstunde, die für Jesus noch einmal zu einer ganz eigenen Lernzone werden wird.

Amen

Köln 07.04.2022
Harald Klein

[1] In der Wahl und der Definition der Begrifflichkeiten des sog. 3-Zonen-Modells greife ich auch hier zurück auf [online] https://karrierebibel.de/3-zonen-modell/ [07.04.2022].