Gründonnerstag: Gott zeigt sich so, wie er ist

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Der Novize feiert das Abendmahl

Sie erinnern sich an den Palmsonntag? Der Vorschlag war, sich wie ein Novize oder wie eine Novizin auf die Suche nach Gott zu machen, mit Eifer den Gottesdienst zu feiern und nach unserer Fähigkeit zu schauen, auch Widerwärtiges zu ertragen. Das sind die Vorgaben der Regula Benedicti für einen Novizen – und mit diesen Vorgaben gehen wir in die Heilige Woche und in das Triduum paschalis.

Stellen Sie sich an diesem Gründonnerstag vor, Sie seien einer der Apostel im Abendmahlssaal, einer von 12 neben Jesus. Oder, wenn das leichter fällt, Sie seien von einem der Zwölf mitgenommen worden. Sie sind früh genug dran, und Sie schauen sich die anderen Gefährten Jesu und deren Weg zum Glauben, die „Jüngerprofile“[1] an. Da sitzt Matthäus, der Zöllner, und neben ihm Simon, der Zelot, der eigentlich sein Gegenspieler ist. Da sitzen Jakobus und Johannes, die beiden Brüder, da sind Andreas, Philippus und Nathanael, da sitzt Thomas, der Zwilling, da sind Judas Iskariot und Judas Thaddäus, und da sitzt natürlich Simon Petrus, der Sprecher. Ach, schau, und ich meine, wenn ich genau hinsehe, dass ich auch Maria Magdalena erkennen kann. Völlig verschiedene Menschen, mit anderem Hintergrund, anderen familiären Situationen, anderen Berufen, aus verschiedenen Schichten und Milieus – aber eines eint sie: Sie alle suchen Gott. So wie Sie. Sie suchen mit Ihnen!

Keiner da im Kreis fängt bei Null an. Sie alle haben ihre religiösen Erfahrungen, ihre Gottesbilder, zum Teil seit vielen Jahren.

Zuerst die Gottesbilder: Je nach Beruf, nach Herkunft, nach Alter ist Gott für die Apostel dort vielleicht eher wie ein Hirte, oder wie ein König, oder wie ein Richter, oder wie Vater und Mutter, wer weiß. Das ist ein wenig wie bei uns hier. Für den einen mag Gott eher Hirte sein, für die andere eher König, andere suchen und hoffen auf den Richter, wieder andere haben den liebenden Vater und die gute Mutter vor Augen.

Und dann die Feier vor Gott und für Gott – für die im Abendmahlssaal wird es die Feier des Paschas sein. Das kennen sie, da sind sie sich sicher in Ihrer Erinnerung: Am Zehnten des Monats ein fehlerfreies, männliches einjähriges, Lamm für jedes Haus, in der Abenddämmerung zu schlachten; mit Bitterkräutern und ungesäuertem Brot zu essen; mit gegürteten Hüften, Schuhen an den Füßen und dem Stab in der Hand; und die Türpfosten mit Blut bestreichen, damit der Herr vorbeiziehe. So oder ganz ähnlich spielt sich der Pessach-Abend ab, und darauf sind alle eingestellt, die an diesem Abend jetzt im Saal versammelt sind.

Das ist wiederum ein wenig wie bei uns hier. Wir wissen, wie es abläuft, in unseren Gottesdiensten, in unserer Feier vom Letzten Abendmahl. Und letztlich sitzen Sie ganz ähnlich da in der gleichen Erwartung wie die Zwölf oder die Dreizehn, wenn Sie sich als Novize oder Novizin dazusetzen wollen. Das geht hier in den Riten und Gebeten so weiter wie immer.

Jesus durchbricht den Ritus

Und dann passiert das Unglaubliche. Numerisch gleich zweimal zweimal, zuerst in den Worten beim Abendmahl und dann in der Fußwaschung – und doch steht beides für dasselbe, für eines!

Die Worte Jesu beim Mahl: „Nehmt und esst, das ist mein Leib für Euch. Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Und ebenso beim Kelch: „Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blut. Tut dies, sooft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis!“ Von wegen ein einjähriges, fehlerfreies, männliches Lamm. Jesus wird zu diesem Lamm, macht sich selbst zu diesem Lamm, gibt sich selbst hin. Was muss das für ein innerer Aufschrei bei den Frommen gewesen sein, als Jesus beim Abendmahl klar macht: es geht nicht um ein Erinnern an etwas Geschehenes, es geht um den Moment; es geht nicht um den Ritus des Lammes, es geht um die Hingabe seiner selbst. Und wenn ihr von diesem Brot esst und aus diesem Kelch trinkt, geht es um Eure Selbsthingabe an Gott. Unglaublich!

Und dann steht Jesus auf vom Mahl, legt sein Gewand ab, umgürtet sich mit einem Leinentuch, gießt Wasser in eine Schüssel und beginnt, denen im Abendmahlssaal die Füße zu waschen und mit dem Leinentuch zu trocknen, mit dem er umgürtet war. Ich vermute, sie waren alle erst einmal sprachlos. Der, der für sie Hirte war, oder König, oder Richter, oder wie Vater und Mutter, der beugt sich zu ihnen hinunter, der wäscht ihnen die Füße. Stellen Sie sich vor, Sie säßen im Kreis, Jesus käme auf Sie zu. Vermutlich wird es Ihnen gehen wie dem Petrus: „Du, Herr, willst mir die Füße waschen? – Niemals sollst Du mir die Füße waschen.“ Da stimmen die Bilder überhaupt nicht mehr, da kippt etwas aus dem Ritual, aus der alten Frömmigkeit heraus. Und dann das Wort Jesu: „Wenn ich Dich nicht wasche, hast Du keinen Anteil an mir.“ Es kann sein, dass Petrus das passivisch hört: „Wenn Du Dich nicht waschen lässt, hast Du keinen Anteil an mir.“

Dieses Anteil-an-Jesus-haben, dieses „Gott suchen“, wie es in der Benediktsregel heißt, soll nicht verloren gehen. Kein Wunder, dass Petrus dann, wohl mehr bittend als erstaunt oder erregt, fortfährt: „Herr, dann nicht nur meine Füße, sondern auch die Hände und das Haupt.“

Der Ritus deutet die Gegenwart

Erinnern Sie den Anfang der Predigt? Stellen Sie sich an diesem Gründonnerstag vor, Sie seien einer der Apostel im Abendmahlssaal, einer von zwölf neben Jesus. Oder Sie seien von einem der Zwölf mitgenommen worden. Was können Sie mitnehmen aus diesem Abendmahl?

Ein Erstes: Im Laufe Ihrer Geschichte mögen sich manche Gottesbilder angesammelt haben, die Ihnen zum Teil lieb, zum Teil fremd sind. Vom Hirten war die Rede, vom Richter, vom König, von Vater und Mutter. Im Abendmahlssaal zeigt Jesus, wie Gott ist – in Worten ausgedrückt und im Zeichen der Fußwaschung. Gott gibt sich selbst in seiner Liebe für den Menschen hin, er dient dem Menschen und macht sich für ihn klein. „Selbstoffenbarung“ ist bei Karl Rahner das große Wort: Selbst-Offenbarung: Nur Gott kann zeigen und sagen, wie er ist; und Selbst-Offenbarung: Gott hält da bei nichts von sich zurück, sagt, zeigt, wie er ist, ganz und gar. Alle unsere Bilder von ihm müssen daran Maß nehmen, so sie es können.

Ein Zweites: Es geht in allen Feiern, in allen Riten, in all unseren Gottesdiensten immer darum Anteil an Gott zu haben. Alles Feiern, alle Riten, alle Gesänge sind kein Selbstzweck, sondern sollen helfen, dass wir, Sie und ich, Anteil an Gott haben. Dafür steht das „Nehmt und esst“ und das „Nehmt und trinkt“ und das „trinkt alle daraus“, dafür stehen das geteilte Brot und der geteilte Wein.

Ein Drittes: Dieses Anteil-an-Gott-haben ist die Triebkraft dafür, so zu handeln, wie Jesus an uns gehandelt hat und handelt. Die Fußwaschung ist das Bild des Zusammenlebens derer, die sich auf Christus berufen. Er hat uns ein Beispiel gegeben, damit wir so handeln, wie er an uns gehandelt hat und handelt. „Dem oder der neben mir die Füße waschen, kann heißen…“, aber auch „Mir von Dir die Füße waschen lassen geschieht dann, wenn…“ – das ist Leben im Geiste Jesu.

Wenn Sie aus dem Abendmahlssaal in Jerusalem nach Hause gehen, könnte es sein, dass Sie jemand fragt, was Sie dort erlebt haben. Dann sind Sie angehalten, das Geschehen beim Abendmahl und auch bei der Fußwaschung in eigene Worte zu fassen. Das ist nicht ohne! Eine sehr einfache und gelungene Antwort bietet ein Gebet, das im Messbuch als „Schlussgebet zur Auswahl Nr. 5“[2] steht. Mit diesem Gebet möchte ich enden:

 

Köln, 08.04.2020
Harald Klein

[1] Vgl. Mertes, Klaus (1989): Jüngerprofile. Die Gefährten Jesu und ihr Weg zum Glauben, Frankfurt/Main

[2] Messbuch für die Bistümer des deutschen Sprachgebrauchs, 2. Aufl. 1988, Freiburg, 526.