Hermann Hesse: „Bist du eigentlich glücklich?“

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Abbrüche im Leben

Das Jahr 1904 steht in Hermann Hesses Biografie als ein Jahr der Befreiung. Davor kann sein Leben mit dem Begriff des „Abbruchs“ umschrieben werden. So sehr er seinen verwinkelten Wohnort Calw mit den engen Gassen und den urigen Typen von Menschen liebte, brach als Kind, mehr noch als Jugendlicher mit dem schwäbischen Pietismus seiner Eltern, brach mit der Lateinschule in Calw und der Vorbereitung auf das Landexamen in Göppingen, floh aus dem Klosterinternat Maulbronn und unternahm dort zwei Suizidversuche – im Alter von 14 Jahren. Danach wurde er in Bad Boll, später in Stetten wegen Verdachts auf Depression und Suizidalität eingeliefert. Ende 1892 konnte er in Cannstatt das Gymnasium besuchen und brach seine Schulausbildung 1893 mit dem „Einjährigen“ – in etwa der Mittleren Reife – ab.

In Esslingen am Neckar begann er eine Buchhändlerlehre, die er nach drei Tagen beendete; im Frühsommer 1884 folgte eine 14monatige Mechanikerlehre in der Turmuhrenfabrik Perrot in Calw. Es zog ihn zur Literatur und zur geistigen Auseinandersetzung. Hesse ging nach der Lehrzeit bei Perrot nach Tübingen zur Buchhandlung Heckenhauer und lernte en Beruf des Buchhändlers. Hier arbeitet er von 1885-1899, bricht dann die Zelte in Tübingen ab und zieht nach Basel; er kündigt die Stelle in der Reich’schen Buchhandlung und reist für längere Zeit nach Italien.

Der „Gaienhofener Umweg“

1902 lernt er die neun Jahre ältere Maria Bernoulli, genannt Mia, kennen und reist mit ihr – für ihn ein zweites Mal – nach Italien. 1904 heiraten die beiden. Hermann Hesse hat einiges Einkommen über frühe Bücher und kleinere Veröffentlichungen, Mia Bernoulli ist die erste Berufsfotografin der Schweiz; jetzt können sie es sich nach vielen Umbrüchen und Abbrüchen leisten, ein eigenes Haus zu kaufen, und zwar an einem Ort, der den Lebensweisen der beiden entspricht, in aller Einfachheit, Zurückgezogenheit und Stille, wie es vor allem Hermann Hesse suchte, und nahe der schweizerischen Heimat, wie Mia es um des Heimatkontaktes willen erhoffte. Sie landeten schließlich 1904 in Gaienhofen am Untersee des Bodensees auf der Halbinsel Höri, bauten einen günstig abgegebenen alten Bauernhof um, ohne fließendes Wasser und ohne Elektrizität, ziemlich in der Dorfmitte gelegen. Hier lebten sie den nächsten drei Jahre. Hesse sprach von der ersten Zuflucht seiner jungen Ehe und der ersten legitimen Werkstatt seines Berufes. Später, in seiner Zeit in Montagnola,  sprach er vom „Gaienhofener Umweg“.

Man könnte meinen, nach den Abbrüchen und Umbrüchen sei Hermann Hesse nun in Gaienhofen „angekommen“. 1904 schreibt er:

„Es ist schön, es ist schmeichelnd und wohlig, an seinem sicheren Tisch zu sitzen, ein sicheres Dach über sich, einen zuverlässigen Wein in der Kanne, eine wohlgefüllte große Lampe brennend, und nebenan bei offener Tür meine Frau am Klavier, Chopin und Kerzenlicht… Plötzlich steigt mir wie eine Seifenblase die Frage auf: Bist du eigentlich glücklich?“[1]

Als Einstieg in den thematischen Teil möge Hesses Frage dienen: „Bist du eigentlich glücklich?“

Statt Vorgaben für das Gespräch: Lasst uns gemeinsam überlegen, welche Fragen hilfreich sind, wenn es um das Thema „Glück“ geht…

Zum Schluss ein weiterführendes Zitat von Ajahn Brahm: „Du sollst auch überhaupt nicht weiterkommen. Bleib, wo du bist, wo immer das sein mag, und gehe in die Tiefe. Es geht nie voran, sondern immer nur hinein. Dort liegt das, was du suchst, die nächste Stufe. […] Erlebe die Kraft der Ein-Sicht. Aus-Sichten dagegen …, nun, die werden dich nur aufregen!“[2]

Köln, 21.10.2022
Harald Klein

[1] Aus: Wenn es Abend wird (1904) – Infoblatt des Hermann-Hesse-Museums Gaienhofen, 13.10.2022

[2] Brahm, Ajahn (2018): Wie hilft der Bär beim Glücklichsein? Fragen und Antworten für den buddhistischen Weg zu einem achtsamen und erfüllten Leben, München, 71.