„Hey, Du!“ – Jemandem das Christsein absprechen?

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Lieben – in Tat und Wahrheit!

Der Johannesbrief, die zweite Lesung, beginnt mit einem Paukenschlag: „Meine Kinder, wir wollen nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit!“ Schauen Sie sich einmal um – wem würden Sie das gerne sagen, hier im Kirchenraum, in der Familie, am Arbeitsplatz, in der Kirche, in der Politik. Oder besser: Schauen Sie einmal in den Spiegel, und lassen Sie es sich gesagt sein: „Hey Du! Du sollst nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit!“ Ich nehme mich dazu – wen von uns würde es nicht irgendwo treffen?

Die erste Lesung – da trifft es den Paulus hart: „Als Paulus nach Jerusalem kam, versuchte er, sich den Jüngern anzuschließen. Aber alle fürchteten sich vor ihm und konnten nicht glauben, dass er ein Jünger war. Da gilt auch: „Hey, Paulus, du sollst nicht mit Wort und Zunge lieben, sondern in Tat und Wahrheit!“ Und in der Tat – da brachte Paulus ja einiges mit!

Die Begegnung mit dem Fremden – im eigenen Raum

Aber zurück in unseren Kirchenraum. „Hey, Du!“ Das ist schon einmal ein guter und erster Schritt, wenn die, die hier zu Hause sind, einen Fremden im eigenen Raum ansprechen Mal ehrlich – selbstverständlich ist das nicht. Das melden manche der Studierenden, mit denen ich arbeite, häufig zurück. Ich war da oder dort zum Gottesdienst, aber angesprochen hat mich niemand, heimisch werden konnte ich da noch nicht. Wie ist das mit den Fremden im eigenen Raum?

Und noch schwieriger: wie ist das mit den Fremden im eigenen Raum, wenn sie so anders aussehen? Wenn sie sich fremd bewegen oder sich nicht so auskennen? Wenn Sie eine Geschichte mitbringen, die ich kenne und die ich abstoßend finde? Oder die ich gar nicht wissen möchte?

Die Begegnung mit dem Fremden – auf dem „Marktplatz der Welt“

Und dann gehen Sie mal raus, auf den Kirchenvorplatz, auf den „Marktplatz der Welt“. Was Sie da alles sehen und erleben können. Da gehen zwei Männer oder Frauen, und die gehen Hand in Hand. Da sehen Sie junge und alte Menschen, voller Tattoos. Da sehen Sie den Obdachlosen, und jemanden, der sich einfach mal dazusetzt. Da spricht einer in der KVB die Passanten an und bittet um etwas Kleingeld, und ein Zweiter fängt einfach ein Gespräch mit ihm an. Und jetzt die Apostelgeschichte – zugegeben, ein wenig verfremdet: „Die zwei Männer, der Obdachlose, die mit den Tattoos kommen in die Kirche und versuchen, sich den Jüngern anzuschließen. Aber alle fürchten sich vor ihnen und können nicht glauben, dass sie Jünger sind!“ Können Sie das nachvollziehen?

In Furcht vor dem Herrn leben – und wachsen durch die Hilfe des Heiligen Geistes

Zum Glück zeigt die Apostelgeschichte auch einen Ausweg. Da gibt es den Barnabas, einen angesehen Jünger, der den Paulus zu den Aposteln bringt und Fürsprache für ihn einlegt. Und so wird er aufgenommen. Und am Ende heißt es: „Die Kirche in ganz Judäa, Galiläa und Samarien – in ganz Köln – hatte nun Frieden; sie wurde gefestigt und lebte in der Furcht des Herrn. Und sie wuchs durch die Kraft des Heiligen Geistes.“

Nicht in Furcht vor dem Fremden leben – sondern in der Furcht, der Ehrfurcht vor Gott, das scheint das Zaubermittel zu sein. Nicht den Heiligen Geist für sich beanspruchen, sondern ihm auch im anderen, im Fremden wirkend sehen wollen, das scheint das Zweite. Sich zum Fürsprecher für Fremdes machen, das man verstanden hat, das scheint das Dritte. Und sich dann an der Vielzahl, an der Vielfältigkeit – die Soziale Arbeit spricht von „Diversity“ – freuen, statt sie auszugrenzen – das ist Wachstum durch die Hilfe des Heiligen Geistes.

Das Bild vom Weinstock

Das heutige Evangelium soll nicht zu kurz kommen. Das Bild vom Weinstock und von den Reben, die Frucht bringen. In der Vielfalt der Charismen, der Lebensentwürfe, der Wirkungen des Geistes Gottes kann ich viele Reben erkennen, die Frucht bringen. Ich habe meinen Platz in einer der Reben des Weinstocks, mögen sie nun KatHo heißen, oder Bistum, oder Agnes, Kunibert oder Ursula. Aber ich spreche das Fruchttragen den anderen nicht ab, ich spreche denen den Heiligen Geist nicht ab, die einen anderen Geschmack am Leben haben – sofern sie in der Tat und in der Wahrheit lieben.

Zurück zum „Hey, Du!“ Was würde wohl geschehen, wenn das kein empörtes Rufen wäre, sondern ein fragendes? Wenn es nicht ausschließend klingen würde, sondern neugierig? Uns gingen die Augen auf, wie das „in der Tat und in der Wahrheit lieben“ aussehen kann, und auf wie vielfältige Art und Weise der Heilige Geist wachsen lässt und Früchte hervorbringt. Ich muss es nur sehen wollen, nur angstfrei sehen wollen.

Amen.