Hl. Katharina von Siena: Fliehen in das Heiligtum des eigenen Inneren

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Eine unter vielen

Katharina war das 23. Kind eine Wollfärbers in Siena und im 14. Jahrhundert, sie war in ihrer Familie eine unter vielen. Für ein „Du“ war da kaum Zeit, es wird bei über 20 Kindern eher um ein „Ihr“ gegangen sein. Aus dieser Lebenssituation heraus wird es verständlich, dass sie eine Sehnsucht hatte, angesprochen zu werden in einer Einzigartigkeit.

Ich stelle mir das gar nicht so unähnlich zu einer Schwesterngemeinschaft vor. Sie sind hier zu zwölft, mal mehr mal weniger, knapp halb so viel wie Kinder im Hause der Katharina waren. Und ich, der ich alleine lebe, kann mir gut vorstellen, dass es immer wieder ein Austarieren, ein Absehen und ein Zugeben sein wird, damit das „Wir“ einer Gemeinschaft funktioniert. In Gemeinschaft leben heißt immer, eine oder einer unter vielen zu sein.

„Wo bleibe ich?“ – Wo bleibt das Ich?

Lange war es geistliche Tradition, das „Ich“ aus dem geistlichen Leben herauszuhalten. Für mein Empfinden schlimmer noch: Das geistliche Leben wurde dazu instrumentalisiert, das Ich kleinzuhalten. Ich weiß nicht, wie Sie als ältere Schwestern das sehen, ich glaube, dass sich das rächt, dass es dem Menschen nicht guttut.

In der Lesung heißt es: „Gott ist Licht, und keine Finsternis ist in ihm.“ Wir gehen auf den Sonntag vom guten Hirten auf den Gebetstag für Geistliche Berufe und Berufungen zu. Mit diesem „ich“ und allem was dazugehört, ging man lange genug so um, geht man mancherorts heute noch so um, als sei es „Finsternis“, und Gott könne nur in einem „ich“ wohnen und wirken, das sich selbst ausgelöscht hat. Das ist der bessere Mönch, Priester, Bischof, die ist die bessere Schwester, der sein, bzw. die ihr „Ich“ im je höheren Maß verleugnet. Das „Ich“ und die Betonung des „Ich“ seien nur etwas für die „Weltlichen“, nichts für die „Geistlichen“. Abgesehen davon, dass ich diese Unterscheidung in „Weltliche“ und „Geistliche“ unsinnig finde, bleibt die Frage: Wo bleibt das Ich? Selbst, wenn ich es verleugne, von mir wegschiebe – wo bleibt das Ich, denn dass es bleibt, solange ich lebe, ist klar.

Das Heiligtum des eigenen Inneren

Die Autoren des Tagesimpulses der Erzabtei Beuron schreiben, Katharina habe mit sieben Jahren schon ihre erste mystische Christusbegegnung gehabt und sich Stille und Einsamkeit gesehnt. Beides wurde ihr von ihrem Elternhaus zunächst verwehrt. Sie lernt – schon als Kind – in das Heiligtum ihres eigenen Inneren zu fliehen, wo niemand sie stören kann.[1] Diesen Ort möchte ich Ihnen heute anbieten, das Heiligtum Ihrs eigenen Inneren. Nicht nur, dass Ihr „Ich“ da eine Heimat haben kann. Es trifft dort auch auf Gott, der Licht ist, und in dem keine Finsternis ist. Das Heiligtum des eigenen Inneren ist der Ort, an dem Ihr, an dem mein „Ich“ mit allen Finsternissen, die noch in ihm sind, hell werden kann durch Gottes Licht, und heil werden kann durch Gottes Gegenwart. Hier wird der Ort deutlich für den das Wort Jesu aus dem Evangelium gilt: „Kommt alle zu mir, die Ihr Euch plagt und schwere Lasten zu tragen habt. Ich werde Euch Ruhe verschaffen.“

Für Katharina setzte sich diese Begegnung mit Gott im Heiligtum des eigenen Inneren fort in der Begegnung mit ihm im Dritten Dominikanerorden. In dieser Begegnung mit Gott entwickelte sich ein so starkes Ich, dass ihre Briefe den Papst aus dem Exil in Avignon zurück nach Rom holten. Wer weiß, was mit denen geschieht, wenn sich die, die sich nach Stille und Einsamkeit sehnen, zurückziehen in das Heiligtum ihres eigenen Inneren? Ich weiß nicht, was geschieht, ich weiß aber, dass etwas geschieht.

Amen.

Köln, 28.04.2020
Harald Klein

[1] Vgl. [online] https://www.erzabtei-beuron.de/schott/schott_anz/index.html?datum=2020-04-29&file=proprium%2FApril29.htm [28.04.2020]