In der Schule Jesu – oder: von Jesus lernen
Es gibt viele Wege des Lernens, auch für die, die in der Schule Jesu waren, für seine Jünger und Apostel. Die Pädagogik kennt „nur Hören“, „nur Sehen“, „Sehen und Hören“, „Hören, Sehen und Diskutieren“ und „Hören, Sehen, Diskutieren und selber Tun“, und es ist offensichtlich, welcher dieser Wege am ehesten zu „Lernerfolgen“ führt. All das taucht in der „Schule Jesu“ auf: Die Jünger hören die Bergpredigt, sie sehen Jesu Heilungswun- der, sie sind dabei, als er die Pharisäer zurechtweist, sie diskutieren mit ihm über die Leidensankündigungen nach den erfahrenen Zurückweisungen – und sie bekommen vom Auferstandenen gesagt: „Geht zu allen Völkern und macht alle Menschen zu meinen Jüngern; tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, und lehrt sie alles zu befolgen, was ich euch geboten habe.“ (Mt 28,19-20a)
Im „Container“ leben
Bis zu diesem Moment lebten die Jünger mit Jesus zusammen wie in einem „Container“. Das Bild stammt vom britischen Psychoanalytiker Winfried Bion (1897-1979). Menschen und Menschengruppen – auch wir in der GCL – entwickeln solche „Container“, in denen wir uns auskennen, in denen eigene Riten und Regeln gelten, die eine eigene Sprache haben und sich durch das und viel mehr von anderen „abgrenzen“. Ein Beispiel im Klei- nen: Als ich vor Jahren in Augsburg mit Kopfschmerzen zur Werkheftredaktion kam, schlug Zita mir vor, ob ich mich vielleicht erst einmal für eine „Grundübung“ in Stille auf den Teppich legen wolle, – fragen Sie das einmal so unbedarft eine BWL-Studentin oder ei- nen Soziologen! Ein Beispiel im Großen: was zeichnet eigentlich unsere Nationalstaaten aus – und warum tun wir uns mit so vielem in der Europapolitik so schwer? Allemal gilt: in unserem Container kennen wir uns aus, haben wir Sicherheit, gibt es Geborgenheit und innere Ruhe. „Kommt mit an einen einsamen Ort und ruht ein wenig aus“, rät Jesus in Mk 6,31 seinen Jüngern, als sie von ihren ersten Aussendungen zu ihm zurückkehren.
In der Einsamkeit bleiben…
Und in dieser Faszination und der Verheißung des „einsamen Ortes“ liegen auch dessen Gefahr und dessen Verführung: die Einsamkeit. Wer nur die eigene Sprache kennt, kann sich im „Ausland“ nicht verständigen; wer nur in den eigenen Riten Sicherheit findet, hält die Unsicherheit bei anderen nicht aus. Dem „einsamen Ort“, den Jesus immer wieder sucht, steht sein „öffentliches Wirken“ entgegen, oder besser: es braucht den „einsamen Ort“, um „öffentlich“ wirken zu können. Es braucht den „einsamen Ort“ in uns selbst, um von dort aus unser Tun und Unterlassen steuern zu können. Ziel unserer Sendung ist nicht die Einsamkeit, sondern die Gemeinschaft. Die Grundsätze unserer Gemeinschaft „sollen uns helfen, uns das zu eigen zu machen, was Jesus Christus am Herzen liegt, und so durch Ihn und mit Ihm und in Ihm an seiner liebenden Initiative teilzunehmen, in der sich Gottes Zusage immerwährender Treue ausdrückt“ (Allgemeine Grundsätze der GCL 1). Die Faszination und Verheißung: in unseren Gruppen und Regionen, auf nationa- ler und internationaler Ebene und am „einsamen Ort“ in uns haben wir Jesus im Gegen- über, können wir auf Jesus sehen, ihn hören, betend mit ihm und miteinander diskutie- ren und vieles ausprobieren. Die Gefahr und Verführung: wir bleiben gerne „im Container“.
… oder Fenster und Türen öffnen…
Wenn ich mir – um unsere „Containersprache“ zu verwenden – den Schauplatz zu Mt 28,19f herrichte, sehe ich die Jünger: wie sie auf den Auferstandenen schauen, ähnlich wie in der Bergpredigt, oder ähnlich wie beim Erzählen der Gleichnisse. Mir fällt als Ge- genbild der Morgen des Pfingsttages ein, das „Obergemach“ ein: eingeschlossen wie in einem Container sitzen die Jünger und Maria beieinander, voller Furcht und Angst, und können nur noch sich selbst anschauen, oder ihr Blick geht ins Leere, weil Jesus nicht mehr da ist. Die einzige Alternative scheint das sich Einschließen, das Abschotten, der si- chere und geschlossene Raum zu sein.
… den Container verlassen und sich ins Freie trauen
Aber die das Evangelium abschließende Perikope bringt die Jünger in Bewegung. Der Auftrag des Auferstandenen führt zur 180o-Wende: sie sollen nicht mehr auf Jesus schau- en, sondern mit ihm in seine Richtung. Sie haben Jesus im Rücken! Und wieder das Pfingstfest, die Aussendung des Heiligen Geistes: Sie öffnen Fenster und Türen, gehen hinaus, die Jünger verlassen – nicht das sinkende Schiff, sondern – den „Container“. Sie können so sprechen, dass andere Völker sie verstehen. Im NT folgt die Apostelgeschich- te, die „Geschichte der Apostel“, den Evangelien: Sie haben sich zu eigen gemacht, was Jesus Christus am Herzen liegt, und mit der Gabe des Geistes im Herzen, im eigenen „einsamen Ort“, gehen sie im Auftrag und im Namen Jesu zu allen Menschen. Wissend: er ist bei uns alle Tage bis zum Ende der Welt (vgl. Mt 28,20b). Ihr Container bleibt of- fen stehen, sie treffen all die anderen, die ihre Container verlassen haben, und sie klop- fen an den verschlossenen Containern anderer an, um ihnen Jesus Christus zu bringen. In jeder Gemeinschaft Christlichen Lebens ist Christus nicht nur im Miteinander mit ihm und den anderen, nicht nur im Gegenüber, sondern auch im Rücken erfahrbar, und in den Räumen, die nicht die eigenen sind, sondern in die er selbst uns sendet.
Für das eigene Gebet und das Gespräch in der Gruppe
- Es ist hilfreich, sich der Faszination und der Verheißung des eigenen „GCL- Containers“ bewusst zu werden: wie sieht unser Raum aus, was gehört hinein, vermittelt Heimat und Sicherheit? Was zeichnet unsere Sprache aus? Aus wel- chen „Grundworten“ lebe ich, leben wir? – Und es gilt, die Kehrseite, die Gefahr und die Versuchung dieses „Containers“ zu entdecken.
- Diese Betrachtung können Sie ausweiten auf das „Ganze“ der Kirche an dem Ort, wo und wie Sie sie erleben. An die Grenzen gehen meint mehr, als an die Grenze, die verschlossene Tür des eigenen Containers zu gehen!
- Sie können sich – mit Jesus im Rücken – von ihm „umdrehen“ lassen und sich das zu eigen machen, was Ihm am Herzen liegt. In der Gewissheit, mit Gottes Geist „aufzubrechen“, die Grenzen Ihres „Containers“ hinter sich lassen und Be- gegnung mit anderen und anderem suchen, zu denen, zu dem der Herr Sie sendet. Absprachen mit sich selbst oder in der Gruppe lohnen!
Harald Klein, Köln