Das Leiden und Sterben Jesu nach dem Johannes-Evangelium
Das Johannes-Evangelium und darin die Leidensgeschichte Jesu ist wie ein Fotobuch, das es dir ermöglicht, einzusteigen in diesen letzten Tag des Leben Jesu, oder spirituell, geistlich neben ihm her- und mit ihm mitzugehen.
Es beginnt mit der nächtlichen Verhaftung Jesu durch die römischen Soldaten, die ihn zuerst vor die religiösen Behörden, vor Hannas, den Schwiegervater des Hohepriester Kajaphas führen. Noch folgt ihm Petrus, verleugnet aber bald darauf seine Zugehörigkeit zu ihm.
Im Morgengrauen bringen sie Jesus zu Pilatus – es beginnt mit einem Zwist zwischen den Hohepriestern und Pilatus draußen vor der Tür des Prätoriums, eines für Juden unreinen Ortes. Es geht um die Frage, wessen Jesus überhaupt angeklagt werden soll.
Pilatus lässt Jesus in seinen Saal rufen. Es folgt ein Schlagabtausch in vielen kurzen Sätzen im Inneren des Prätoriums, erneut geht Pilatus vor das Haus und fragt, welchen Gefangenen er, gemäß der Tradition, begnadigen soll. Er setzt sich für Jesus und dessen Begnadigung ein, das Volk erschreit die Freilassung des Räubers Barabas.
Jesu Tod ist noch keine beschlossene Sache. Die Soldaten flechten zwar die Dornenkrone, ziehen ihm einen purpurnen Mantel über, die Hohepriester und ihre Diener skandieren: „Ans Kreuz mit ihm!“ Es geht vor allem um Demütigung. Aus Angst beginnt Pilatus wieder ein Ringen mit Jesus. Er, Pilatus habe Macht, ihn freizulassen; Jesus erwidert, diese Macht sei ihm „von oben“ gegeben worden. Pilatus fürchtet, als Feind des Kaisers zu gelten, wenn er Jesus freilässt – er nimmt auf dem Richterstuhl Platz, ringt noch ein letztes Mal mit den Juden („Euern König soll ich kreuzigen?“), die Hohenpriester verweisen auf den Kaiser als ihren alleinigen König – und erst jetzt liefert Pilatus ihnen Jesus aus, damit er gekreuzigt werde.
Mittlerweile ist es früher Nachmittag, Johannes handelt den ganzen Kreuzweg in nur zwei Versen ab: Jesus, der sein Kreuz selbst tragen muss, dann die Kreuzigung mit zwei anderen auf der Schädelstätte, auf Golgota. Pilatus setzt sich am Ende doch noch durch, ein Schild mit der Aufschrift „Jesus von Nazareth, der König der Juden“ wird an Jesu Kreuz befestigt, es bleibt trotz des Protestes der Hohenpriester. Die Soldaten würfeln um das Gewand Jesu, das nicht zerteilt werden soll. Beim Kreuz stehen Maria, die Mutter Jesu, die Schwester seiner Mutter und Maria von Magdala sowie der Jünger, den Jesus liebte. Die ersten Worte, die Johannes dem gekreuzigten Jesus in den Mund legt, sind: „Frau, siehe, dein Sohn!“ Und zum Jünger „Siehe, deine Mutter!“ Und von da an nahm sie der Jünger zu sich.
Dem dürstenden Jesus am Kreuz reichen die Soldaten einen Schwamm mit Essig auf einem Ysopzweig. Jesu letztes Wort bei Johannes ist „Es ist vollbracht!“, dann neigt der das Haupt und „übergibt den Geist“, so stellt Johannes den Tod Jesu dar.
Die Soldaten zerschlagen die Gebeine der beiden anderen noch lebenden Gekreuzigten, dem Toten Jesus aber stoßen sie mit der Lanze in die Seite. Johannes legt äußersten Wert auf den leiblichen Tod Jesu!
Josef aus Arimathäa bittet Pilatus um den Leichnam Jesu, er nimmt ihn vom Kreuz und bringt ihn mit Nikodemus, einem früheren nächtlichen Besucher von Jesus, in ein Grab in einem Garten, wo sie ihn salben und mit Binden umwickeln. Dann setzen sie Jesus bei.
Die Zerstörung: Der Phönix erlaubt
den Sonnenstrahlen, sein Nest in Brand zu setzen. «
Die Verhaftung Jesu als zweiter Schritt der Phönixerfahrung Jesu
War das Abendmahl und das Gebet am Ölberg am Gründonnerstag so etwas wie der erste Schritt der Phönixerfahrung Jesu, so kommen am Karfreitag gleich drei Schritte dieser Erfahrung unmittelbar hintereinander in den Blick.
Im zweiten Schritt der Phönixerfahrung erlaubt der Phönix den Sonnenstrahlen, sein Nest in Brand zu setzen.
In Joh 18,1-11 erzählt Johannes seine Version von der Gefangennahme Jesu. Das Zulassen des Geschehens, das von Jesus ausgeht, spiegelt diesen zweiten Schritt der Phönixerfahrung. Jesus flieht nicht, geht den von Judas an den Ort geführten Soldaten sogar entgegen, geht in den Dialog mit ihnen. „Wenn ihr also mich sucht, lasst diese gehen!“ – selbst in der Situation des Ausgeliefertseins stellt er sich schützend vor die Seinen. Petrus, der mit dem Schwert gewaltsam eingreift, wird von hm zurechtgewiesen. Jesus weiß sich in ein größeres Etwas eingeordnet: „Der Kelch, den mir der Vater gegeben hat – soll ich ihn nicht trinken?“ Es ist mit Sicherheit kein passives Abwarten, sondern ein aktives Auf-sich-nehmen, ein Sich-einschwingen in das, was auf ihn zukommt. Jesus erlaubt den Soldaten, ihn abzuführen, und er erlaubt sich eine Deutung des Geschehens, die viele nicht kennen und nicht kennen wollen.
Der Zerfall: Der Phönix zerfällt zu Asche. «
Das Verhör von Hannas und vor Pilatus als dritter Schritt der Phönixerfahrung Jesu
Im dritten Schritt der Phönixerfahrung zerfällt der Phönix zu Asche. Zerfall kennzeichnet diese Szene.
Jesus mit gefesselten Händen, verdächtigt und ausgefragt. Seine Hinweise auf sein offenes und das öffentliches Reden vor aller Welt hilft nichts. Jesus hat nichts zu verbergen. Auch der Hinweis auf Zeugen, auf die, die ihn gehört haben, bleibt ungehört. Der Schlag ins Gesicht kann als Anfang der anderen Gewalttaten gelesen werden, die ihm angetan werden. Die Lehre, das Leben, die gelebte Botschaft Jesu zerfällt und zerrinnt ihm an diesem Ort. Und es zerfällt die Loyalität des Petrus draußen am Lagerfeuer, gleich dreimal, bis der Hahn kräht.
Der ausführlichste Teil der Leidensgeschichte nach Johannes gilt dem Verhör Jesu vor Pilatus. Hier zerfällt des Pilatus Autorität, er macht sich zeitweise abhängig von den Hohepriestern, vom jüdischen Volk das vor dem Palast steht, vom angeklagten Jesus, dem er eine Brücke nach der anderen baut, um dessen Schicksal und sein eigenes zu wenden. Viermal läuft Pilatus raus zum Volk, zu den Hohepriestern und wieder hinein zu Jesus. Das, was wie Macht aussieht, ist zuallererst Ohnmacht! Aber weder mit Macht noch mit Ohnmacht kann er der Vollmacht Jesu, in der dieser sich weiß, begegnen.
Eine neue Normalität: Der Phönix stirbt. «
Der Tod und das Begräbnis als vierter Schritt der Phönixerfahrung Jesu
Im vierten Schritt der Phönixerfahrung stirbt der Phönix. In der Darstellung von Anne Vonjahr wird dieser Schritt mit „Eine neue Normalität“ umschrieben.[1]
Du magst dich dagegen sträuben, aber unter Anerkennung aller Realität stimmt es. Mit dem Tod – und natürlich auch mit dem Tod Jesu – wird eine neue Realität geschaffen. Im Evangelium nach Johannes ist eine der neuen Realitäten, dass der Jünger, den Jesus liebte, dessen Mutter Maria zu sich nahm; es ist eine neue Realität, dass Jesus sich ganz in die Hände der anderen gibt und über sich geschehen lässt; es ist eine neue Realität, dass er nicht mehr unter ihnen lebt und wirkt; es ist eine neue Realität, dass ein in ein Grab gelegt und so den Augen und dem Zugriff aller entschwunden ist. „Normalität“ meint hier: So ist es geworden, und so wird es bleiben. In dieser neuen Normalität endet der Karfreitag.
„Was ist Wahrheit?“ Die Perspektive des Richters
Ein Einfühlen in die Situation Jesu wird dir genauso schwerfallen wie mir. Es geht um ein Ausgeliefertsein, um ein Aufgeben jeder Art von Kontrolle über sein eigenes Leben, über das – zumindest vermeintliche – Ende aller Selbstwirksamkeit. In dieser gedachten Situation ist einer der „inneren Bewohner“, dessen Stimme zu hören ich mir dann wünschte, der Richter[2]. Kurz gefasst ist seine Botschaft, dir erkennen zu helfen, was sicher, wahr und gerecht ist. Auf der Lichtseite bewirkt der Richter dein Gleichgewicht, die Breitschaft zu Zuhören und Verantwortung, zu Reflexion und Gerechtigkeit u.v.m. Auf der Schattenseite bewirkt er Kritiksucht, Härte, Selbstverurteilung, Perfektionismus, emotionale Kälte u.v.m. Diesen „inneren Bewohner“, den Richter, im Sinn habend, kannst an dem beinahe stoischen Jesus in seinen Ketten und dem unruhig-nervösen und unsteten Pilatus ablesen, was das Hören auf die Stimme des Richters in dir auslösen und bewirken kann, selbst in extremen Situationen, vor allem aber im alltäglichen Miteinander. Du kannst es am bitterlich weinenden Petrus durchspielen – welchem „Richter“ hat er da wohl sein Ohr geschenkt?
„Sei gegrüßt, König der Juden!“ – Die Perspektive des Kriegers
In der Leidensgeschichte des Karfreitags tobt sich die Gewalt aus – bei allen Beteiligten, außer bei Josef von Arimathäa, Nikodemus und natürlich bei Jesus selbst. Dass Jesus zwar einen gewaltigen Auftritt hat, ohne dabei Gewaltauszuüben, könnte im Hören auf eine innere Stimme liegen, die Anne Vonjahr den Krieger nennt.[3] Es ist der „innere Bewohner“ in dir, der in der Lage ist, deine innere Stärke zu entfesseln und der die Kraft verleiht, den Herausforderungen des Lebens zu bestehen. Auf der Lichtseite verhilft dir der Krieger zu Tapferkeit, Intuition, Selbstlosigkeit. Er lässt dich deine eigenen Stärken erkennen, ermutigt sich, für deine Überzeugungen einzutreten u.v.m. Auf der Schattenseite entwickelt er Wut, Aggression, Rücksichtslosigkeit, steigt ein in sinnlose Machtkämpfe, kann den Verlust an Emotionen bewirken u.v.m.
Wieder ist es das Ringen zwischen Pilatus und Jesus im Prätorium, das klar erkennen lässt, welche „inneren Bewohner“ auf welcher Seite – Licht- oder Schattenseite – gerade den Pilatus und dann den ausgelieferten Jesus leiten. Ich meine ihn aber auch im Wort an seinen Lieblingsjünger zu entdecken, an dessen Stärke Jesus appelliert, Maria zu sich zu nehmen.
Für diesen Karfreitag nehme ich mir mit und lege es dir ans Herz, hinzuspüren auf das eigene Ausgeliefertsein an wen oder was auch immer, und den „inneren Bewohnern“ zuzuhören. Und dann dasselbe im Blick auf Menschen, die wir als „ausgeliefert erfahren“. Was raten uns da unsere „inneren Bewohner“? Und umgekehrt: die in den Blick zu nehmen, die sich uns ans Herz gelegt haben, und denen wir vielleicht im Unrecht begegnet sind. Ich bin gespannt, den „inneren Bewohnern“ zuzuhören.
Soviel für heute.
Köln, 27.03.2025
Harald Klein
[1] vgl. Vonjahr, Anne (2023): Die Phönix-Erfahrung. Wie du auf einer magischen Reise deine Schatten heilst und dein wahres Selbst erkennst, 2. Aufl., München, 56f.
[2] vgl. Vonjahr, Anne (2024): Die Phönixkarten. 44 Archetypen für dein inneres Licht. Anleitungen und Deutungen, Begleitbuch zu den Karten, Königsfurt, 145-147.
[3] vgl. Vonjahr, Anne (2023): Die Phönix-Erfahrung. Wie du auf einer magischen Reise deine Schatten heilst und dein wahres Selbst erkennst, 2. Aufl., München, 94-96.