Ein „Versehen“ – und ein „Verhören“
Den weißen Neger Wumbaba dürften Sie kennen, aber kennen Sie auch Agathe Bauer? Den Dickschädel-Blues oder den Schnitzelwagen? Oder wussten Sie schon, dass Sie besoffen bestellen sollten? Wenn nicht, kann ich Ihnen nur empfehlen, auf YouTube mal das Stichwort „Radiosongs verhört“ einzugeben. Da passiert Folgendes: Sie hören ein Lied, sehen den Originaltext und lesen darüberstehend, was man auch hören könnte, natürlich, wenn man sich verhört. Da wird aus „I`ve got the power“ schon mal „Agathe Bauer“, aus „a deep shade of blue“ schon mal der “Dickschädel-Blues“, aus „hope of deliverance“ wird „Hau auf die Leberwurst“, aus „all my feelings grow“ wird „Oma fiel ins Klo“, und besonders schön: aus „It must have been something you said“ wird „Du musst besoffen bestell’n“. Und selbst deutsche Schlager gehen da nicht leer aus: Aus Roland Kaisers „Santa Maria“ und dem Satz „den Schritt zu wagen“ dann „den Schnitzelwagen“.
Was passiert da? Sie kennen die Vexierbilder, „Alte Frau- Junge Frau“, „Hase oder Ente“, die Bilder, in denen man das eine oder das andere sehen kann, je nachdem, aus welchem Blickwinkel man schaut oder wo das Auge den Mittelpunkt setzt, von woher es mit dem Hirn zusammen beginnt, sich das Bild zusammenzubauen. Auf YouTube „Radio Verhörer“ anschauen: da sehen Sie, dass dasselbe auch mit dem Gehör passiert. Sie lesen einen „Verhörer-Text“ über dem Originaltext, hören die Liedzeile, und Sie hören, was Sie lesen: den Verhörer: „Du musst besoffen bestell’n“ oder eben „Agathe Bauer“.
Um das Rätsel vom weißen Neger Wumbaba zu erklären, falls Sie es nicht kennen: ein kleines Kind singt das Lied vom Mond, der aufgegangen ist, kann sich aber unter „dem weißen Nebel wunderbar“ nichts vorstellen, und so konstruiert sein denken etwas, was er versteht – und dann auch hört: den weißen Neger Wumbaba.
Sein Denken erneuern
Und jetzt hören Sie mal Paulus zu, der den jungen Christen in Rom sagt: „Gleicht euch nicht dieser Welt an, sondern wandelt euch und erneuert euer Denken, damit ihr prüfen und erkennen könnt, was der Wille Gottes ist, was ihm gefällt, was gut und vollkommen ist.“
„Erneuert euer Denken!“ – Das ist es, was ich aus den Texten des heutigen Sonntags Ihnen gerne mit auf den Weg geben möchte, natürlich mit einem Grinsen und einem Augenzwinkern dabei. Schauen Sie mal darauf, wie Sie über sich selbst denken. „Vexierbild“ – sehen Sie die alte oder die junge Frau, den Hasen oder die Ente? Wo geht Ihr Blick zuerst hin, und was von sich gruppieren Sie um diesen Punkt herum, dass genau dieses Bild von Ihnen bei Ihnen entsteht? Hören Sie sich mal selbst zu, wenn sie von sich selbst denken oder zu sich selbst oder zu anderen reden. Kann es sein, dass Sie da auch in Ihrem Lebenslied nur „Agathe Bauer“ hören, wo doch „I’ve got the Power“ gesungen werden könnte, von Gott her gesungen werden soll? Und aus der Einladung nicht Roland Kaisers, sondern Gottes, den Schritt zu wagen, verstehen Sie nur „Schnitzelwagen“.
Zu prüfen, was Gott gefällt, was gut und was vollkommen ist, setzt immer wieder voraus, den Blick auf sich selbst, auf die um mich herum und auf das um mich herum ganz einfach aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten. Eine Hilfe – wie bei den Vexierbildern oder den Radioverhörern – kann sein, andere zu fragen, was sie denn in diesen Lebensbildern (bei Ihnen selbst, bei anderen) sehen oder was sie da in den Lebensmelodien (bei Ihnen selbst, bei anderen) hören.
Bei Jeremia steht das schöne Wort vom „Du hast mich betört, o Herr, und ich ließ mich betören; du hast mich gepackt und überwältigt“. Und er deutet es wie in einem Vexierbild von der dunklen Seite: betört werden, gepackt und überwältigt werden – das macht mich zum Gespött der Leute, die mich verhöhnen. Sie können diese Worte aber auch von ihrer liebevollen Seite sehen: ganz betört von jemandem, von einer Idee sein, mich packen lassen, überwältigt sein – prüfen Sie, was Gott gefällt, was gut und vollkommen macht.
Die Dinge von verschiedenen Seiten sehen wollen
Ich glaube, bei den vielen Möglichkeiten, Dinge von verschiedenen Seiten zu sehen oder Worte zu „Verhörern“ werden zu lassen, gibt es ein gutes Kriterium, das Siegmund Freud aufgestellt hat. Gottes Sehnsucht ist der reife Mensch, der, der denken, prüfen, unterscheiden kann, der wählen kann und seiner Wahl treu bleibt. Von Freud heißt es, er habe auf die Frage, was ein reifer Mensch sei, geantwortet: „Einer, der liebes- und leidensfähig ist, der entscheiden kann und dann entschieden lebt, und einer, der genießen kann.“
Vielleicht können Sie so auch den harten Satz Jesu deuten: „Wer sein Leben um meinetwillen verliert, wird es gewinnen.“ Das ist kein Aufruf zu Martyrium, da hätten Sie sich wohl verhört. Das ist das Angebot der Möglichkeit, mal den Blickwinkel zu ändern, unter dem ich mein Leben retten will (und es dabei verliere), mal anders hinzuhören und mich selbst, die anderen und das um mich herum anders zu verstehen. Jesus fragt: „Um welchen Preis kann ein Mensch sein Leben zurückkaufen?“ Zurückkaufen geht nicht, aber es mir schenken lassen, Liebes- und Leidensfähigkeit einüben, Entscheidungen treffen und entschieden zu leben üben, und Genießen dürfen, das geht!
Der weiße Neger Wumbaba kann das nicht, Agathe Bauer auch nicht, aber der richtige Satz stimmt: „I’ve got the Power“ – diese Kraft, diese Macht haben Sie und ich bekommen. Schauen Sie nur genau hin, und hören Sie sich selbst und den anderen, dem anderen nur gut zu. Nicht „Schnitzelwagen“, sondern „den Schritt zu wagen …“.
Amen.
Harald Klein, Köln
(und zum Schluss: Hier finden Sie auf YouTube die Radio-Verhörer – viel Spaß dabei!