Liebe Alex, lieber Paul,
eine außergewöhnliche Hochzeit, die wir heute feiern – vom Ort der Vorbereitung und des Traugesprächs angefangen, über den Ort der Feier bis hin zur Wahl der Lesung, die man zum Teil ja besser singen als lesen kann, des Evangeliums und des Trauspruchs aus dem Hebräerbrief. Mit all dem gebt Ihr mir die Gliederung für die Ansprache ja vor: Schöpfungsgeschichte – Emmaus-Evangelium und Trauspruch.
Füreinander geschaffen sein
Los geht es mit der Schöpfung und der Schöpfungsgeschichte.
Ein paar Ideen gehören verworfen. Es mag sich anbieten, über die Berge, das Wandern und Euer beider Geschichte mit dem gemeinsamen Weg oder dem Auf und Ab beim Klettern in die Predigt einzubauen. Das wissen alle hier – spätestens beim Versuch, den Knoten von der Einladungskarte zu lösen. Darüber zu predigen, über gemeinsame Wege, über Höhen und Tiefen, über das Sich gegenseitig sichern – das wäre zu billig.
Es mag sich auch anbieten, über die „Schöpfung“ von Haydn zu predigen. Auch da gäbe es genug Anknüpfungspunkte. Wenn man Euch beide so ansieht, könnte man mit Gabriel singen: „Mit Staunen sieht das Wunderwerk der Himmelsbürger frohe Schar“. Und was Uriel von Sonne und Mond singt, mag vielleicht – manchmal in vertauschten Rollen – auch für Euch gelten: „In vollem Glanze steiget jetzt die Sonne strahlend auf, ein wonnevoller Bräutigam, ein Riese stolz und froh, zu rennen seine Bahn. Mit leisem Gang und sanftem Schimmer schleicht der Mond die stille Nacht hindurch.“ Und was wann und wo auch immer wirklich geschieht, wenn sich bei Dir, Paul, oder bei Dir, Alex, vom tiefsten Meeresgrund der Leviathan auf schäumender Well‘ emporwälzt, darüber möchte ich auch nicht predigen.
Anbieten möchte ich Euch gerne meine Deutung von „Schöpfung“ oder von „geschaffen sein“. Ihr kennt hoffentlich noch den „Domino Day“, eine Sendung auf RTL, in der ganze Kunstwerke aufgebaut wurden, nur aus aufgestellten Domino-Steinen. Der erste Stein wurde angestoßen, und dann kippt einer auf den anderen, bis am Ende ein echtes farbiges Kunstwerk entsteht. Im Oberstufenunterricht im Fach Religion hat es mir beim Thema „Schöpfungslehre“ genügt, sagen zu können, dass es immer einen „Nicht-Domino-Stein“ braucht, der das Ganze des Domino-Bildes ins Kippen, ins Rollen, ins Laufen bringt. Christen und Juden nennen diesen „Nicht-Domino-Stein“ dann „Schöpfer“. Und „Geschöpf“ ist das, was geschieht, was sich ereignet, was sich zeigt, wenn die Steine ineinandergreifen. Auf den ersten Blick mag das Ganze aussehen, wie ein seltsamer Baukasten mit verschiedenen Steinen. Aber wenn Gott den Anstoß gibt, dann wird was draus.
Das ist mein fester Glaube, Euch zusagen zu können, dass Gott Euch füreinander geschaffen hat. Dass er Euch beiden seinen göttlichen Anstupser gab, der Euch zueinander geführt hat. Und jetzt kippen die Steine und formen ein wunderschönes Bild. Euren Trauspruch – ich nehme ihn hier zum ersten Mal in die Predigt – verstehe ich so, dass Ihr im Aufeinander-achten und im Anspornen zur Liebe und zu guten Taten gut darauf aufpasst, in der Spur dieser kippenden Steine zu bleiben, damit mehr und mehr dieses wunderschöne Bild Eurer Ehe sich vollende. Der erste Teil: in einer wunderbaren sich entfaltenden Schöpfung stehen, und feiern, füreinander geschaffen zu sein. Wenn Ihr gleich im Trauspruch sagt: Alex, ich nehme Dich an als meine Frau bzw. Paul, ich nehme Dich an als meinen Mann, dann darf dieses „weil Gott Dich für mich geschaffen hat“ ruhig mitklingen.
Offene Augen und brennendes Herz
Ein Zweites: Das Emmaus-Evangelium. Es mag den einen oder anderen Skeptiker geben, der sagt, dieses „Du bist für mich ein Geschenk Gottes, Du bist für mich geschaffen“ sei fromme Spinnerei. Recht hat er, der Skeptiker. Beweisen kann man es ihm nicht. Aber so deuten darf man es. Das ist wie mit den beiden aus der Emmaus-Geschichte. „Bist Du so fremd in Jerusalem, dass Du als einziger nicht weißt, was in diesen Tagen dort geschehen ist?“ Und dann heißt es von Jesus: „Und er legte ihnen alles aus, ausgehend von Mose und den Propheten, was in der gesamten Schrift über ihn geschrieben steht.“
Auslegung, Deutung, dass ist es, was für mich in dieser Emmaus-Erzählung so wichtig ist. In der Emmaus-Geschichte heißt weiter hinten: „Da wurden ihnen die Augen aufgetan und sie sagten zueinander: Brannte uns nicht das Herz, als er unterwegs mit uns redete und uns den Sinn der Schrift eröffnete?“
Das ist es! Darum geht, und das ist der springende Punkt: in den vielfältigen Möglichkeiten des Wählens und des Deutens – ist jetzt Paul der Richtige, ist Alex die Richtige? Ist das das Richtige, Du in Mainz, ich in Köln und Bonn, und eine Wohnung in Wiesbaden – in den vielfältigen Möglichkeiten des Wählens das wählen und nehmen, was einem den Blick hell und das Herz brennen macht. Das muss nicht viel sein: Brot, Wein, ein Stück gemeinsamer Weg, ein offenes und gutes Gespräch.
Das würde ich dem Skeptiker entgegnen: Beweisen kann ich das füreinander geschaffen nicht, aber ich glaube, dass da zwei füreinander geschaffen und einander zugeführt sind, einfach deswegen, weil mir in dieser Deutung das Herz brennt und der Blick hell wird, wenn ich sie mir so ansehe – und ich glaube, den beiden geht es miteinander ähnlich. Beides wären Kriterien für eine der Wahrheit nahekommende Deutung dessen, was da geschieht. Euren Trauspruch – ich nehme ihn hier ein zweites Mal in die Predigt – kann ich auch auf die Emmaus-Geschichte hin deuten: „Lasst uns aufeinander achten und uns zur Liebe und zu guten Taten anspornen“, das kann auch heißen: „Lass uns einander so begegnen, dass wir einander Grund dafür sind, dass der Blick des anderen hell bleibe und dass unsere Herzen brennen, wenn wir einander begegnen und miteinander unterwegs sind.“ In der indischen Spiritualität hieße dass: Geht so miteinander um, dass der Christus, der im einem wohnt, dem Christus, der im anderen wohnt, begegnet. Dafür steht das indische Grußwort „Namastè“, mit den gefalteten Händen an der Brust und der Verbeugung voreinander, ein Bild, das mich sehr fasziniert.
Der Trauspruch
Ein Letztes: Euer Trauspruch. „Lasst uns aufeinander achten und uns zur Liebe und zu guten Taten anspornen.“ Das steht im Plural! Ginge es nur um Euch beide als Eheleute, würde der Singular genügen. Der eine sagt zur anderen „Lass und…“ Aber nein, es steht im Plural, es gilt im Original den „Hebräern“, den jüdischen Gläubigen, die in der Diaspora verstreut leben, und heute gilt es uns hier, wir sind mit hineingenommen!
Ich weiche mal ab zur Singular-Version, zum Spruch von Paul an Alex und umgekehrt. Der Trauspruch beginnt immer mit der Namensnennung: „Alex, ich nehme Dich an…“ oder „Paul, ich nehme Dich an.“ Ihr habt beide schon eine Geschichte miteinander, kennt Euch – aber was kommt, wisst Ihr nicht. Diese Namensnennung besagt: „Ich nehme dich an, so wie Du warst, so, wie Du bist, und so wie Du werden wirst.“ Gewagt! Und damit dieses Wagnis gelingt, mag für Euch beide Euer Trauspruch gelten: Achtet aufeinander, spornt Euch gegenseitig zur Liebe und zu guten Taten an.
Und ich nehme gerne Euch, die anderen mit in den Blick – im Plural. Wir haben die Hefte in der Hand, der Trauspruch springt uns in die Augen. Das gilt auch uns. In den familiären Verbindungen, in den Freundschaften und Beziehungen, die irgendwie und auf vielerlei Weise hier gegenwärtig sind: „Lasst uns aufeinander achten und uns zur Liebe und zu guten Taten anspornen.“ Das nannte man in neutestamentlicher Zeit Gemeinde oder Hauskirche. Und das ist die Weise, in der Glaube auch in Zukunft besteht und Zukunft hat: „Lasst uns aufeinander achten und uns zur Liebe und zu guten Taten anspornen.“
Hochzeit feiern
Das sind die drei Aspekte, die ich Euch gerne mitgeben möchte: Die Deutung dieses Tages als ein „Wir sind füreinander geschaffen“, die Worte vom hellen Blick und dem brennenden Herzen im Beieinandersein und Miteinandersein, und das Geheimnis, das hinter den Namen steht, wenn Ihr Euch gleich anredet: „Alex, ich nehme dich an“ und „Paul, ich nehme Dich an“, verbunden mit dem gegenseiteigen Versprechen, aufeinander zu achten und zur Liebe und zu guten Taten anzuspornen.
Amen.
Köln, 26.07.2019
Harald Klein