Leben: Vor Gott – mit Gott – ohne Gott

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„Et si deus non daretur“ – als ob es Gott nicht geben würde!

In einer mündig gewordenen Welt als gläubiger Christ leben, dies zu beschreiben war Dietrich Bonhoeffers große Vision, großer Wunsch, große Leistung.

Anders ausgedrückt: wenn weiter vorn in diesem Heft von „Kinderglauben“, „pubertärem Glauben“ und „erwachsenem Glauben“ die Rede war, ist Bonhoeffer ein guter Wegbegleiter aus den Kinder- und pubertären Glaubensschuhen heraus in einen erwachsenen, reifen Glauben. Dieser Weg kann in den Gruppen der GCL oder in anderen Familien- und Hauskreisen gut nachgegangen werden, und wieder soll die Wüstenwanderung Israels in Ex 15,22-18,27 die Quelle der Schrift sein, die diesem Weg seine Wegmarken gibt.

Religiosität – Frömmigkeit – Spiritualität

Der Anfang kann durch drei Kärtchen gemacht werden, die auf dem Tisch liegen: „Religiosität“ – „Frömmigkeit“ – „Spiritualität“. Sie fragen danach, ob ich mich eher „religiös“, eher „fromm“ oder eher „spirituell“ bezeichnen würde. Der Benediktinerabt Christian Schütz kennzeichnet „Religion“ als Bedürfnis und Fähigkeit des Menschen, sich mit einer höheren Instanz in irgendeiner Weise in Beziehung zu setzen. „Frömmigkeit“ ist die subjektive Seite der Religiosität eines Menschen, meint also die Gesten, Riten, Haltungen des Menschen, die seiner Religion entspringen. „Spiritualität“ geht darüber hinaus. Sie meint das Ganze des Lebens. Ein spiritueller Mensch deutet sein Leben, das, was ihm widerfährt, und das, was er selber an Taten handelnd in die Welt setzt, aus einem bestimmte Geist heraus. Von daher kann es eine ökologische, eine buddhistische, eine humanitäre – und eben auch eine christliche Spiritualität geben. Drei Kennzeichen setzt Schütz für alle Spiritualitäten voraus: sie müssen (1) alltagstauglich sein, weil sie das Ganze des Lebens und eben nicht nur „fromme Zeiten und Zeichen“ umfassen. Sie müssen (2) dialogisch sein, d.h. ich muss sie sprachlich und vernünftig anderen erklären können. Und sie müssen dem Humanen dienen, d.h. einen Weg zu einem „Mehr“ an Menschlichem führen. Christlich ist Spiritualität erst dann, wenn sie ihr Maß an Jesus Christus, seinem Leben, seinen Worten, seinem Schicksal nimmt. – Es lohnt das Nachdenken darüber, ob ich mich anhand dieser Dreiteilung eher als religiösen, frommen oder (christlich) spirituellen Menschen betrachte – und als solcher erkannt werde.

Leben als „Wüstenwanderung“?

Bonhoeffers Theologie ist eine „Theologie im Werden“. Mit 39 Jahren im KZ Flossenbürg hingerichtet, sind seine Gedanken zu einer erdverbundenen Theologie nur in Fragmenten erhalten und laden zum Weiterdenken ein. Eines ist ihm klar: in der Menschwerdung Christi, in seinem Hinabsteigen in die Welt, ist der Gegensatz zwischen Diesseits und Jenseits, zwischen Himmel und Erde überwunden. Der Dienst und die Aufgabe des Christen, Gottes Geschenk an die Christen ist es, der Erde treu zu bleiben – wie Gott selbst der Erde treu bleibt. Diese Treue ist ein Einschwingen in die Sendung Christi! Sie will durchgetragen sein, sie fordert Geltung in guten wie in schlechten Tagen.

Es ist ein im letzten sich ausdrückender weltverneinender „Kinderglauben“, zu beten: „Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm’“. Ein (nach Schütz) „frommes Gebet“. Ein „erwachsener Glaube“ betet eher mit Jesu Worten: „Dein Reich komme, im Himmel und auf Erden!“ Und die Hoffnung des Christen, seine Spiritualität (nach Schütz) bezieht sich nicht nur auf ein vertröstendes Jenseits, sondern nimmt das Diesseits in den Blick, ins Herz, unter die Füße, in die Hände und ins Gebet.

Nun ist die Welt aber mündig geworden, fragt nicht mehr oder kaum noch nach Gott. Und die Frage ist zu beantworten, wie es dabei um mich steht, um uns als Gruppe oder gar als Gemeinschaft, um uns als Kirche.

Ist all das – ich selbst und mein Beten, meine Gruppe, meine Gemeinschaft, Kirche – ein Ort der „Religion“, an dem ich mich mit einem überirdischen Wesen in Beziehung setze? Sind unsere Werke der „Frömmigkeit“ Gesten und Riten, um die „Wüste’“ aus unserem Leben zu verbannen? Oder ist meine, ist unsere Spiritualität ein Einschwingen in den Geist Jesu Christi, in dem wir diese Welt annehmen, empfangen und oft auch aushalten müssen -, wie sie eben ist, um sie eben aus diesem Geist zu gestalten?

Bonhoeffers „vor Gott und mit Gott leben wir ohne Gott“ kann zweifach verstanden werden. Das „ohne Gott“ kann heißen, gottlos, in einem wehrlosen Kinder- oder einem wünschend-(für)-bittenden pubertären Glauben zu verharren. Es kann aber auch heißen, mit der Himmelfahrt anzuerkennen, dass Gott in Jesus Christus nicht mehr da ist. Es gibt ihn nicht mehr greifbar, wie Mose und Aaron im Wüstenzug greifbar (und angreifbar) für Israel da war. Es gilt, mich und uns selbst zunächst einmal anzunehmen als „Gesandte an Christi statt“ (2 Kor 5,20). Es gilt, als christlich-spirituelle Menschen im Geist Jesu Christi und in seiner Erdverbundenheit vor Gott und mit Gott zu leben. Die Geschehnisse des Wüstenzugs Israels mögen das verdeutlichen.

Stationen des Wüstenzugs Israels

Allem voran mag das Murren Israels stehen. Immer dann, wenn es schwierig wird, murrte das Volk gegen Mose. Als ihnen das Wasser ausging und das Wasser in Mara bitter war (Ex 15,24); als dem Volk das Essen ausging (Ex 16,2); und dann in Massa und Meriba, wo die Not noch größer wurde (Ex 17,3). Israel zieht sich aus der Verantwortung. Sie wählten sich einen Anführer, dem sie zujubeln konnten, solange es gut ging und selbst das Meer sich durch dessen Zusammenwirken mit Gott teilte. Aber jetzt, wo es ihnen mulmig wird, schlägt die Stimmung um. Mose wird zum Sündenbock, zum Buhmann Israels. Mit Gott und vor Gott lebt Israel ohne Gott, ohne den eigenen Akt des Vertrauens in seine Treue und seine Führung, der einen erwachsenen, reifen Glauben ausmacht.

Es kann hilfreich sein, in der Gruppe die Szene in Mara, am Bitterwasser (Ex 15,22-27), anzuschauen. Wie oft mag das Leben einen bitteren Geschmack gehabt haben, mag der Durst nach Leben, Freiheit, Versöhnung, Neuanfang übergroß geworden sein. Und manchmal genügt ein kleines Stück Holz, mit dessen Hilfe der Durst gelöscht werden kann und Wege zu neuen Oasen sich auftun. Ohne Gott leben hieße, im Murren über die Umstände zu verharren, die Verantwortung abzugeben, den Sündenbock bzw. den Buhmann kennen und ihn beim Namen nennen. Mit Gott und vor Gott leben heißt hier, sich selbst auf die Suche nach dem „Stück Holz“ zu machen, im Vertrauen, dass Gott es uns zeigen wird. Ob es hier Erfahrungen zum Mit-Teilen gibt?

Die zweite Station, das Geschenk der Wachteln und des Manna (Ex 16,1-15) geht in die gleiche Richtung. In der Gruppe kann mitgeteilt und hoffentlich gemeinsam darüber gestaunt werden, wie Gott oft gleichsam über Nacht, von heute auf morgen, den Hunger des Leibes und der Seele bei uns gestillt hat. Ohne Gott leben hieße, im Murren über den eigenen Hunger und murrend im Hungern zu bleiben oder den Hunger der anderen übersehen zu wollen, mich nicht davon berühren zu lassen. Vor Gott und mit Gott leben hieße, den eigenen Hunger bei Namen zu nennen und unterscheidend Klarheit zu gewinnen, ob es ein wirkliches „Mehr“ wäre, ihn zu stillen, und dann entschieden Schritte selbst zu gehen (oder es eben zu lassen). Vor Gott und mit Gott zu leben hieße auch, dasselbe hinsichtlich des Hunger der anderen zu tun!

Hier hinein gehört auch das Sammeln des Brotes, das Gott doch nur für den heutigen Tag gibt, versichernd, dass er es morgen wieder und erneut geben wird. Ohne Gott und ohne Gottvertrauen lebt Israels, wenn es horten, einsammeln, festhalten, will. Vor Gott und mit Gott leben hieße, ganz gegenwärtig zu sein; darauf vertrauen, dass Gott „an jedem neuen Tag“ mit mir, mit uns leben und gehen, vor allem sorgen will. Das zu entdecken ist Ziel des Gebetes der liebenden Aufmerksamkeit.

Und schließlich der Akt des lebenslangen Lernens, den Mose tut. Im Kampf gegen Amalek stützen ihm Aaron und Hur die Arme (Ex 17,12), auf Rat seines Schwiegervaters Jitro wählt Mose Männer, die ihm in der Rechtsprechung unterstützen. Ohne Gott leben hieße, nur auf die eigene Kraft vertrauen, ein „Self-made-man“ sein zu wollen. Vor Gott und mit Gott leben heißt, sich nach Kräften in dieser Welt einzusetzen für das Kommen des Reiches Gottes, seine Grenzen zu kennen und zu akzeptieren und sich bereitwillig unterstützen zu lassen in seiner Schwäche – von Gott selbst, und von Menschen, die vor Gott und mit Gott, vielleicht sogar ohne Gott leben! Wer weiß?

 

Harald Klein, Köln
Benedikt Lülf, Student der Physik, Aachen
Marius Kulassek, Student des Maschinenbaus, Aachen