Um was es geht
Es mag den einen oder anderen Tag geben, an dem mir Lyrik in ihren vielen Formen nicht begegnet – eine Woche, geschweige denn einen Monat ohne Lyrik kenne ich nicht. Vielfach werden die kleinen und kurzen Texte dann in anderes „eingebaut“ – dabei könnte es geschehen, dass sie ihres Eigenwertes verlustig werden.
So möchte ich in diesem Jahr beginnen, die Sammlung „Ein Gedicht, zum Beten geeignet“ einerseits zu erweitern. Andererseits werden die „Newcomer“ unter den Gedichten hier aber zeitlich zugeordnet und Monat für Monat als „aktuelles Thema“ in Erinnerung und in den Blick gebracht.
Auf dass die Freude an Sprache, an Bild und an Bildsprache geweckt und gefördert werde.
Köln, 01.02.2025
Harald Klein
Monatsgedichte im Februar 2025
Peter Rühmkorf: Komm heraus!
Komm raus aus deiner Eber-Einzelbucht,
aus deiner Ludergrube.
Komm raus aus deiner kaskoversicherten Dunkelkammer!
Auch dein Innenleben
findet öfter statt, merk ich gerade –
(Komm raus aus deinem Farbbandkäfig)
Im Prinzip – ja? – P r i n z i p
sind doch längst alle Schleusen geöffnet, Gitter gefallen …
Immer noch vielerlei Licht hier, wo sich
keine Anzeigenseite dazwischenschiebt,
keine Helium-Annonce -:
DIE SONNE
unverwandt, mit angezogenen Strahlen –
(Komm raus aus deinem Leichen-Entsafter)
Vor dir das Meer und hinter dir
die Waschmaschine …
(aus deinem Metzelwerk, aus deinem Familien-Gefrierfach)
Hier nichts gewollt zu haben
ist soviel wie verspielt, das weißt du, oder?
Heda, du eingerahmtes Tier, du kriegst
den Kopf wohl gar nicht mehr raus aus dieser Paste, laß sehn!
Unbeugsam reflektierst du dich
an der Schreibtischkante –
(eisern nach innen blickend, ein Vesuv mit geschlossenen Augen)
Komm raus aus deinem handversiegelten Hockergrab!
Auch K u l t u r
ist nur eine unmaßgebliche Schutzbehauptung.
Eine Schlacht im Sitzen gewinnen:
schön wär’s!
Und schön der Gedankeda, wer sich nicht rührt,
hat wenigstens Anspruch auf Schicksal – Aus deiner Tropfsteintruhe!
Komm raus aus deinem Todeskoben, überleg dir das Leben:
Die Morgenschiffe rauschen schon an –
Ein Tag aus Gold und Grau:
willst du mit rein? –
aus: Rühmkorf, Peter (1996): Gedichte, Reinbek, 10f.
Monatsgedichte im Januar 2025
Juliane Liebert: grob gefasst
grob gefasst ist
das menschliche Herz
ein kegelförmiges, muskulöses
hohlorgan
in etwa so groß wie die faust
des betreffenden
aus: Liebert, Juliane (2021): ieder an das große nichts, Berlin; in: Worms, Oliver (Hrsg.) (2024) Dreizehn + 13 Gedichte, Themenheft Liebe, Hamburg, 118.
Heiner Müller: Ich kann dir die Welt nicht zu Füßen legen
Ich kann dir die Welt nicht zu Füßen legen
Sie gehört mir nicht. Ich werde dir keinen Stern
Pflücken:
Ich habe kein Geld für Blumen und keine Zeit
Verse zu machen nur für dich: mein Leben
Wird so und so zu knapp sein für ein ganzes.
Wenn ich dir sage: für dich werd ich alles tun
Werde ich dir eine Lüge sagen. (Du weißt es)
Ich liebe dich mit meiner ganzen Liebe.
aus: Worms, Oliver (Hrsg.)(2024) Dreizehn + 13 Gedichte, Themenheft Liebe, Hamburg, 108.