4. Adventssonntag – Mir selbst und anderen Engel sein

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Angelus – Der Engel des Herrn

Den Wenigsten sage ich etwas Neues, wenn ich darauf hinweise, dass das Tagesgebet des vierten Adventssonntages das Gebet ist, dass am Ende des Angelus-Gebetes gesprochen wird. Das Gebet ist entstanden als das Stundengebet der einfachen Menschen, das zum Morgen-, zum Mittag- und zum Abendläuten auswendig gebetet werden konnte, sei es in der Küche, auf dem Acker, beim Handwerk. „Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft / und sie empfing vom Heiligen Geist“ – „Maria sprach: Siehe, ich bin die Magd des Herrn / mir geschehe nach Deinem Wort“ – „Und das Wort ist Fleisch geworden / und hat unter uns gewohnt.“ – dazwischen ein Ave Maria, und am Ende das Schlussgebet: „Allmächtiger Gott, gieße Deine Gnade in unsere Herzen ein. Durch die Botschaft des Engels haben wir die Menschwerdung Christi, deines Sohnes, erkannt. Führe uns durch sein Leiden und Kreuz auch zur Herrlichkeit der Auferstehung, durch Christus, unsern Herrn. Amen.“

Ein Fehler im Gebet?

Ich weiß nicht, wie oft Sie das Gebet schon gesprochen haben, aber ist Ihnen mal aufgefallen, dass da im Schlussgebet ein Fehler drinsteckt? Zumindest könnte man das so meinen. Hören Sie nochmal hin: „Allmächtiger Gott, gieße Deine Gnade in unsere Herzen ein. Durch die Botschaft des Engels haben wir die Menschwerdung Christi, deines Sohnes, erkannt. Führe uns durch sein Leiden und Kreuz auch zur Herrlichkeit der Auferstehung, durch Christus, unsern Herrn. Amen.“

Hören Sie den Fehler? Müsste es nicht heißen: „Durch die Botschaft des Engels hat Maria die Menschwerdung Christi, Deines Sohnes, erkannt?“ Der ganze Vorspann des Gebetes bezieht sich doch auf das erste Kapitel des Lukas-Evangeliums – wieso kommt da auf einmal das „wir“, wie kommt das „Ich“ hinein?

Drei Weisen des Verstehens

Wenn Sie Anleitung des Ignatius von Loyola für den, der Geistliche Übungen gibt, kennen, ist Ihnen der Satz geläufig. Auf uns hier angewendet, sagt Ignatius: „Jeder Christ muss bereitwilliger sein, die Aussage des Nächsten zu retten, als sie zu verurteilen, und wenn er sie nicht retten kann, erkundige er sich, wie jener sie versteht und versteht jener sie schlecht, so verbessere er ihn mit Liebe.“[1] Ich möchte Ihnen drei Weisen anbieten, diesen scheinbaren Widerspruch – von „Lüge“ möchte ich doch nicht reden – aufzulösen.

Eine erste Weise: In der Lectio Divina mit Gottes (und hier besonders mit des Engels) Wort auf Du und Du sein. Die Schritte sind Ihnen sicher vertraut: Lesen – Bedenken – Beten – still vor Gott da sein – anders leben[2]. Die Verkündigung ist zusammen mit der Begegnung Mariens mit Elisabeth und dem Magnifikat Mariens sicher eine der am meisten gelesenen Evangelien im Kirchenjahr Das „auf Du und Du sein“ mit diesem Evangelium kann dazu führen, dass die Worte des Engels in der Betrachtung und im Gebet wie zu mir gesprochen erscheinen. Schauen Sie sich im Evangelium die Botschaft des Engels an, sie ist für Engelsgeschichten schon recht üppig! Nehmen Sie einen Vers nach dem anderen, vielleicht am stärksten das „Der Heilige Geist wird über Dich kommen, und die Kraft des Höchsten wird Dich überschatten.“ Lesen, Bedenken, Beten, still werden vor Gott, anders leben – weil Gott die Initiative übernimmt. Sie können beten um den Heiligen Geist, um die Kraft des Höchsten, und auf einmal stellen sich die Worte des Engels an Maria als Worte an Sie ein, Sie werden sehen. Die erste Weise, die Aussage zu retten: Beten in der Lectio Divina.

Eine zweite Weise: die Zusammenstellung des Raumes, wie sie Ignatius in den Geistlichen Übungen vorschlägt. Vor Ihrem geistigen Auge entfaltet sich die Stadt in Galiläa namens Nazareth, entfaltet sich ein Bild von Maria und ihrem Verlobten Josef. Sie sehen gleichsam die Stube, in die der Engel eintritt – wie mag er sich zeigen? Sie spüren den Schreck der Maria, sehen sie nachdenken, was der Gruß des Engels zu bedeuten habe. Und so schauend, hörend, gehen Sie das Evangelium durch, mit allen Sinnen, als wären Sie dabei. Mit Maria hören die Worte des Engels, mit Maria gehen Sie mit Jesus schwanger, mit Maria geschieht seine Menschwerdung in Ihnen und durch Sie, mit Maria bringen Sie Christus zur Welt.

Und auf diese Weise können Sie „durch die Botschaft des Engels die Menschwerdung Christi“ erkennen, obwohl die Worte an Maria gesagt sind. Sie überwinden den „garstigen Graben“, den Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) und dann später noch einmal Soren Kierkegaard (1813-1855) beschrieben haben – den zeitlichen Abstand zwischen dem „Damals“ des Evangeliums und dem „Heute“ des Betenden. Sie werden, so sagt es Eugen Drewermann, zu einem „Gleichzeitigen.“ Sie erkennen hier und jetzt durch die Botschaft des Engels die Menschwerdung Christi, des Sohnes Gottes, obwohl die eigentliche Nachricht jemandem ganz anderen gilt – oder auch nicht (auch das dürfen wir glauben)!

Und schließlich die dritte Weise, die aber nichts anderes ist als die Zusammenfassung der beiden ersten – Ignatius würde von einer Wiederholungsübung sprechen und empfehlen, danach zu schauen, wie der Betende Nutzen ziehen kann aus dem, was er betrachtet. Zugegeben, das Wort vom „Nutzen“ ist sehr ignatianisch, klingt sehr nach kaufmännischem oder ökonomischem Denken. Sie können es gerne durch „Folgen“ oder“ Impulse“ ersetzen. Aber jetzt zur dritten Weise, die Aussage von der Botschaft des Engels an uns, an mich zu retten. Aus der ersten Weise, der Lectio Divina, wählen Sie ein Wort nach dem anderen, das Sie lesen, bedenken, beten, mit dem Sie still da sein können vor Gott, um daraus einen Impuls für ein Verändern des alltäglichen oder des großen Lebens zu erahnen. Und aus der zweiten Weise, der Zusammenstellung des Raumes, bleiben Sie ganz in Ihrem Raum, in Ihrem Haus, an den Orten, an denen Sie leben, reden, handeln, arbeiten, feiern oder was auch immer. Auf diese Weise haben Sie die Dimension der Gleichzeitigkeit ganz dicht. Der Engel, der Ihnen zuspricht, der Ihnen die Gnade Gottes ins Ohr und unters Herz legt, bekommt ein Gesicht, einen Namen. Die Zweifel der Maria sind Anknüpfungspunkt für Ihr eigenes Zweifeln und für Ihre Fragen. Der Zusammenhang von Empfangen und Gebären, in die Welt tragen, hat auf einmal mit Ihrem Alltag zu tun. Keine Weise des Betens kann in Zeiten von Corona so gut behaupten: „Weihnachten findet statt!“ wie diese dritte Weise, die Aussage zu retten. Durch die Botschaft des Engels haben wir die Menschwerdung Christi, Deines Sohnes erkannt – nicht nur bei Maria, sondern auch bei uns, nicht nur für Maria, sondern auch für uns; nicht nur durch Maria, sondern auch durch uns.

Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft…

Zwischen dem „Der Engel des Herrn brachte Maria die Botschaft…“ und dem „… und sie empfing vom Heiligen Geist“ liegen im Lukasevangelium zehn Verse. Das entspricht der Erfahrung der Heiligen wie auch der Erfahrung der einfachen Christen: Der Glaube kommt zwar vom Hören, aber vom ausgesprochenen Anspruch an mich, von einem Anruf, der mich trifft, bis zur Antwort, die ich gebe, darf es schon mal zehn Verse dauern. Entscheidend ist, was dazwischen geschieht. Die Worte des Anrufs – wie in der Lectio Divina – lesen, sie bedenken, mit ihnen beten, still werden vor Gott, und dann im Ändern meines Lebens die Antwort geben. Oder die Zusammenstellung des Raumes sehen, wer und was sie da alles zeigt; erahnen, wer ein Engel für mein Leben ist, und mich ansprechen lassen, rufen, herausrufen lassen zu einem Mehr an Menschwerdung – das ist das Ziel der Botschaft des Engels!

Amen.

Köln 18.12.202
Harald Klein

 

[1] Vgl. Knauer, Peter (Hrsg.) (1998): Geistliche Übungen. Nach dem spanischen Urtext übersetzt von Peter Knauer, Ignatius von Loyola, Würzburg, 37.

[2] Vgl.[online] https://www.lectiodivina.de [18.12.20]